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März 28, 2024

Ist Pessimismus die bessere Weltanschauung für Anleger?

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST August 5, 2019 2384

Optimisten und Pessimisten sind sich seit jeher uneins. Während Optimisten von sich behaupten, sie seien gesünder, glücklicher und hätten erfolgreichere Beziehungen, sagen Pessimisten über sich, dass sie ein realistischeres Weltbild besäßen und grundsätzlich immer auf das Schlimmste vorbereitet wären. Doch welche Einstellung ist besser für Anlagen geeignet?

Eine eher pessimistische Einstellung bringt eine Reihe von offensichtlichen Vorteilen mit sich. Wie die Ameise in der Fabel von Äsop neigen Pessimisten tendenziell stärker dazu, überhaupt zu sparen. So dürfte es einem Pessimisten lohnender erscheinen, für harte Zeiten zurückzulegen, da diese seiner Ansicht nach wahrscheinlicher sind. Optimisten sind wie die Heuschrecke in Äsops Fabel, deren positive Einstellung ihr die Zuversicht gibt, dass alles gut verlaufen wird. Wenn also alles in Ordnung ist, warum sollte man dann Rücklagen für den Fall bilden, dass man entlassen wird oder alles den Bach runter geht?

Der Hang von Pessimisten, zu sparen, ist ein eindeutiger Vorteil. Sie dürften früher mit dem Sparen beginnen und mehr zurücklegen. Dadurch können sie von den langfristig positiven Auswirkungen des Zinseszinseffekts profitieren. Beginnt man beispielsweise bereits mit Anfang 20 Anlagen zu tätigen, wird man sich bei Eintritt in den Ruhestand in einer wesentlich besseren finanziellen Situation befinden als jemand, der sich dieser Thematik erst mit 40 oder 50 Jahren widmet. Legt man jeden Monat 100 Euro zur Seite, hat man bei einer monatlichen Aufzinsung und einem Zinssatz von 5 % p. a. nach 15 Jahren rund 27.000 Euro und nach 30 Jahren etwa 83.000 Euro angespart.

Pessimisten sind womöglich auch vorsichtig im Hinblick auf ihre Anlagen und vermeiden so starke Verluste.

Schmerzhafte Verluste vermeiden

Pessimisten sind womöglich auch vorsichtig im Hinblick auf ihre Anlagen und vermeiden so starke Verluste. Anleger sollten sich durch kurzfristige Schwankungen zwar nicht von ihrer langfristigen Strategie abbringen lassen, erhebliche Verluste bleiben aber unter Umständen nicht folgenlos.

Je größer die Verluste, desto stärker muss eine Anlage später im Wert steigen, um wieder das ursprüngliche Niveau zu erreichen. Um etwa einen Verlust von 10 % innerhalb eines Jahres auszugleichen, ist ein Gewinn von 11 % erforderlich, und bei einem Verlust von 30 % muss der Wertzuwachs gar 43 % betragen. Mit anderen Worten: Vermeidet man starke Einbrüche, dürften sich die langfristigen Renditen verbessern. Ein langsam, aber kontinuierlich wachsendes Portfolio entwickelt sich tendenziell besser als aufregende, dafür aber volatile Anlagen.

Zudem dürften sich Pessimisten nicht für kurzlebige Anlageideen begeistern. Ganz gleich, was die Verfechter des Bitcoins über dessen langfristiges Potenzial auch erzählen mögen, ein Pessimist dürfte diese Anlage nicht sonderlich interessant finden. Pessimisten, die Kryptowährungen als zu spekulativ ablehnen und nach deren Auffassung sich die zugrunde liegende Technologie noch in einer zu frühen Entwicklungsphase befindet, haben zwar möglicherweise nicht von einigen der großen Wachstumspotenziale der vergangenen Jahre profitiert, im Gegenzug wurden ihre Portfolios jedoch auch nicht durch den abrupten Einbruch des Sektors im vergangenen Jahr beeinträchtigt.

Menschen, die die Aussichten weniger optimistisch einschätzen, dürften ihre Verluste eher begrenzen können. Optimisten sind selbst dann häufig davon überzeugt, Recht zu haben, wenn erdrückende gegenteilige Beweise vorliegen. Pessimisten (oder Realisten, wie sie sich selbst nennen würden) geben zu, dass sie sich irren können. Im Anlagebereich ist dies eine wertvolle Erkenntnis. Zu akzeptieren, dass sich eine Anlage schlecht entwickelt hat und sich die Umstände geändert haben, ermöglicht Pessimisten unter Umständen, eine Position aufzulösen, bevor die Verluste noch größer werden.

Irrationale Überschwänglichkeit verstehen

Der Ankereffekt – der Glaube, dass der Preis einer Anlage nicht erheblich von ihrem historischen Preis abweichen wird – ist an den Finanzmärkten ein allgemein anerkanntes Phänomen. Pessimisten dürften sich von Marktstimmungen weniger mitreißen lassen. Im Gegensatz zu Optimisten erkennen  sie eher, dass die Aktienmärkte durch kurzfristige Erwägungen in Aufruhr versetzt werden können und Anleger nicht immer rational handeln. Sie sind daher möglicherweise dazu in der Lage, Störgeräusche an den Märkten auszublenden und sich auf langfristigere Entwicklungen zu konzentrieren. Für den Vermögensaufbau stellt dies einen bedeutenden Vorteil dar.

Übervorsichtiges Verhalten birgt jedoch auch Gefahren. Zu viele Menschen halten einen zu großen Teil ihrer langfristigen Ersparnisse in Barmitteln. In Großbritannien erfolgen beispielsweise etwa drei Viertel der steuerfreien Sparanlagen in Barmitteln. Als im Oktober die Marktvolatilität stieg, berichtete der europäische Fondsverband EFAMA, dass lediglich Geldmarktfonds Nettozuflüsse verzeichneten und andere Sektoren entweder unverändert blieben oder Kapitalabflüsse verbuchten.

Angesichts der niedrigen Zinssätze stellen Baranlagen eine schlechte Investition dar. Die Zinsen für langfristig auf Sparkonten gehaltene Beträge dürften nicht über der Inflation liegen, wodurch sich der tatsächliche Wert des Vermögens im Laufe der Zeit verringert. Barmittel gehören in Portfolios, um einen kurzfristigen Kapitalbedarf zu decken oder eine Notfallreserve zu bieten. Langfristig gesehen haben sich Aktien jedoch trotz gelegentlicher Schwächephasen besser als nahezu alle anderen Anlageklassen entwickelt. Laut der Ausgabe 2018 der jährlich erscheinenden Equity Gilt Study von Barclays haben britische Aktien seit 1899 eine inflationsbereinigte jährliche Rendite (Compound Return) von 5,1 % erzielt.

Pessimisten konnten während der Finanzkrise zwar unter Umständen einige schmerzhafte Verluste vermeiden, sie dürften aber auch einige der darauffolgenden erheblichen Wachstumschancen verpasst haben.

Verpasste Wachstumschancen

Pessimisten neigen möglicherweise dazu, bei jedem Anzeichen von Schwierigkeiten an den Märkten zu verkaufen. Sie sehen Marktschwankungen unter Umständen als Vorboten ernsthafterer Entwicklungen. Wie der amerikanische Ökonom Paul Samuelson einmal sagte, ist das Problem dabei, dass „der Aktienmarkt neun der letzten fünf Rezessionen vorhergesagt hat“. Pessimisten konnten während der Finanzkrise zwar unter Umständen einige schmerzhafte Verluste vermeiden, sie dürften aber auch einige der darauffolgenden erheblichen Wachstumschancen verpasst haben.

Erst dann zu reinvestieren, wenn sich das Marktumfeld spürbar verbessert, hat sich im Allgemeinen als schlechte Strategie erwiesen. Untersuchungen des amerikanischen Spezialisten für Indexanlagen Vanguard haben gezeigt, dass sich die Rendite eines Anlegers, der die besten zehn Tage an den Märkten seit 1986 verpasst hat, halbiert hätte. Da diese bedeutenden Aufschwungphasen in der Regel unmittelbar nach einer Marktkorrektur auftreten, sollten Anleger lieber investiert bleiben.

Dieses Fazit wird von einer jährlichen Studie der amerikanischen Research-Gruppe Dalbar gestützt, nach der Anleger durch den Kauf und Verkauf zum falschen Zeitpunkt in den vergangenen 30 Jahren durchschnittlich 8 % pro Jahr eingebüßt haben. Die psychologisch nachvollziehbare Vorgehensweise, bei schwierigen Marktbedingungen zu verkaufen und mit der Wiederanlage zu warten, bis das Umfeld besser scheint, hatte für Anleger überwiegend stark negative Folgen.

Der Wald vor lauter Bäumen

Darüber hinaus konzentrieren sich Pessimisten auf die schlechten Titel in ihrem Portfolio und sehen so den Wald vor lauter Bäumen nicht. Viele Anleger sorgen sich etwa um die Wahrscheinlichkeit eines langsameren Wirtschaftswachstums in China. Auf die Entwicklung der Geschäftstätigkeit vieler Unternehmen hat dies jedoch geringe oder gar keine Auswirkungen. Dennoch hat die allgemein schlechte Anlegerstimmung auch deren Aktienkurse nach unten gezogen. Für Anleger, die dazu in der Lage sind, sich auf die harten Fakten zu konzentrieren und Störgeräusche zu ignorieren, können sich so echte Gelegenheiten ergeben.

Wenn sie als Anleger erfolgreich sein möchten, müssen sowohl Optimisten als auch Pessimisten versuchen, sich nicht zu sehr von ihren natürlichen Neigungen beeinflussen zu lassen. Da die Aktienmärkte im Laufe der Zeit tendenziell Zuwächse verzeichnen, werden Optimisten in der Regel dafür belohnt, volatilere Anlagen im Portfolio zu halten. Andererseits können diese Anleger durch Investitionen in Unternehmen belastet werden, die zwar gerade im Trend liegen, bei denen die Erwartungen die tatsächliche Entwicklung jedoch übertreffen. Pessimisten sind möglicherweise so vorsichtig, dass ihre Anlagen nicht von stärkeren Wachstumstrends profitieren.

Bei dem Versuch, zwischen der Sorge, Gelegenheiten zu verpassen, und der Freude, schwerwiegende Korrekturen vermieden zu haben, ein Gleichgewicht herzustellen, handelt es sich eine komplexe Aufgabe. An den Aktienmärkten täglich eine positive Rendite zu erwirtschaften, ist reine Glückssache. Je größer jedoch der Anlagehorizont ist, umso höher sind auch die Erfolgsaussichten. Eine langfristige Denkweise ist eine Grundvoraussetzung für jede Anlage in Aktien. Ob man nun Pessimist oder Optimist ist oder für einen das Glas halbvoll oder halbleer ist, spielt dabei keine Rolle. Denn das Glas wird immer zu einer Hälfte mit Wasser und zur anderen Hälfte mit Luft gefüllt sein. Einen realistischen Blick zu behalten und den Kopf nicht stur in den Sand zu stecken, ist das, was wirklich zählt. Eine natürliche Skepsis gegenüber gerade angesagten Investitionen, ein solides Risikomanagement und ein Hang, Rücklagen für schlechtere Zeiten zu bilden, helfen beim langfristigen Vermögensaufbau. Anleger sollten nur darauf achten, dass sie ihre Vorsicht nicht blind für wahre Wachstumsgelegenheiten macht.

„Lieber Optimist, lieber Pessimist, während Sie darüber diskutiert haben, ob das Glas nun halbvoll oder halbleer ist, habe ich es ausgetrunken.“ Der Opportunist