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November 22, 2024

Müssen wir den herkömmlichen Diversifizierungsansatz überdenken?

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST Juli 20, 2023 1289

2022 versagten die herkömmlichen Strategien zur Anlagediversifizierung ganz offensichtlich. Vermeintlich sichere Staatsanleihen schützten nicht vor einem Rückgang der Aktienmärkte und stellten die historische Beziehung zwischen Anleihen und Aktien infrage. Müssen Anleger ihre Diversifizierungsstrategie überdenken?

Beim herkömmlichen Diversifizierungsansatz werden Staatsanleihen der Industrieländer zusätzlich zu den volatileren Anlagen am Aktienmarkt gehalten. Dies ist dadurch bedingt, dass sich Staatsanleihen aus Industrieländern bei schwächerem Wirtschaftswachstum und deflationärem Druck tendenziell günstiger entwickeln, während die Aktienmärkte in der Regel bei einer Expansion der Wirtschaft stärker sind, nämlich wenn die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen steigt und die Unternehmen höhere Gewinne erzielen.

Warum also traf diese Theorie 2022 nicht zu? Sowohl die Renten- als auch die Aktienmärkte reagierten empfindlich auf Überraschungen bei den Inflationserwartungen. Angesichts des dauerhaften Inflationsanstiegs und der darauffolgenden Zinserhöhungen zeigten sich beide Aktivklassen mit zweistelligen Indexrückgängen geschwächt.

Günstige Inflationsbedingungen

Längerfristig betrachtet ist dies nicht besonders ungewöhnlich. Der Ökonom Matt Roberts-Sklar von der Bank of England stellte 2016 fest, dass Aktien und Anleihen über lange Zeiträume in den vergangenen 250 Jahren eine positive Korrelation aufwiesen. Nur in Zeiten günstiger Inflationsbedingungen kommt der Diversifikationseffekt zum Tragen.

Das galt für einen Großteil der vergangenen drei Jahrzehnte. Die aufstrebende Wirtschaftsmacht China und ihre riesige Fertigungsindustrie, die alternde Bevölkerung und die Festlegung eines glaubwürdigen Inflationszielwerts durch unabhängige Zentralbanken haben zur Senkung der Inflationserwartungen beigetragen. Das Problem ist, dass die Anleger mittlerweile der Meinung sind, dass eine Mischung aus Anleihen und Aktien grundsätzlich Diversifizierung bietet.

Es sei erwähnt, dass die Diversifizierung von Aktien und Anleihen 2022 zwar nicht funktionierte, andere Diversifizierungsstrategien sich aber als effizient erwiesen. Anleger mit einem Portfolio aus Value- und Growth-Aktien konnten beispielsweise feststellen, dass der Rückgang in Wachstumssektoren wie Technologie durch ein Engagement in Value-Bereichen wie Energie oder Grundstoffe ausgeglichen wurde. Gleichzeitig wiesen einige Schwellenmärkte nur eine geringe oder gar keine Korrelation zu den US-amerikanischen und europäischen Märkten auf – der indische Aktienmarkt etwa verzeichnete im Laufe des Jahres zweistellige Gewinne.

Das Gleiche galt für die Anleihenmärkte. Das höherverzinsliche Segment reagiert stärker auf das Kreditrisiko als auf Zinsveränderungen. Die Ausfallraten blieben relativ niedrig, und Anleihen mit niedrigerem Rating schnitten besser ab als ihre Pendants mit Investment-Grade-Rating. Auch Schwellenmarktanleihen schützten das Kapital der Anleger über das Jahr hinweg.

Ein wichtiger Fakt ist, dass die Diversifizierung und die Korrelation zwischen verschiedenen Anlageklassen nicht statisch, sondern dynamisch sind — abhängig von den Marktbedingungen korrelieren Anleihen und Aktien manchmal miteinander und manchmal nicht.

Dynamische Diversifizierung

Die Aussage, dass Diversifizierung allgemein nicht funktioniert hat, stimmt also nicht ganz. Stattdessen sollten wir die Diversifizierung mittels Anleihen und Aktien genauer betrachten. Ein wichtiger Fakt ist, dass die Diversifizierung und die Korrelation zwischen verschiedenen Anlageklassen nicht statisch, sondern dynamisch sind. Abhängig von den Marktbedingungen korrelieren Anleihen und Aktien manchmal miteinander und manchmal nicht. Dieser Umstand muss bei jeder Diversifizierungsstrategie berücksichtigt werden.

Werden Anleihen und Aktien dementsprechend in unmittelbarer Zukunft miteinander korrelieren? Sicherlich verhielten sich die Anleihenmärkte  Anfang 2023 ganz anders aus als zwölf Monate zuvor, als die Rendite eines zehnjährigen US-Schatzwechsels von 1,8% auf 3,9% stieg. Nach der Entscheidung der japanischen Zentralbank, ihre Renditeziele im Dezember 2022 zu verringern, gab es keine Staatsanleihen mit negativer Rendite mehr – verglichen mit einem Umfang von 18 Billionen US-Dollar im Jahr 2020.

Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt können Anleger ein beträchtliches Einkommen aus Staatsanleihen erzielen, und Anleihen scheinen ihrer Diversifizierungsrolle in den Portfolios nun wieder gerecht zu werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass Anleger auf eine aktive Diversifizierung ihrer Portfolios verzichten können. Das Umfeld kann sich rasch ändern und die Korrelationen zwischen den Anlageklassen können sich situationsbedingt wieder verstärken, sodass eine Diversifizierung sowohl über die Anlageklassen hinweg als auch innerhalb dieser nötig ist.

Beispielsweise kann eine Reihe verschiedener Arten von Aktien gehalten werden – zuverlässige, defensive Unternehmen in Kombination mit dynamischeren Aktien mit höherem Wachstum. In Zeiten der Deglobalisierung und des erhöhten Protektionismus können Anleger einen größeren Nutzen aus der Diversifizierung erzielen, wenn sie in verschiedene Regionen investieren. Die Allokation in Anlagen aus sowohl Industrieländern als auch Schwellenmärkten kann ein breiteres Chancenspektrum bieten. Bei festverzinslichen Wertpapieren kann die Kombination von hochverzinslichen oder Schwellenmarktanleihen mit qualitativ höherwertigen Investment-Grade-Anleihen und Staatsanleihen zu einem ausgewogenen Portfolio beitragen und es auf unterschiedliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen vorbereiten.

Die Rolle alternativer Anlagen

Auch alternative Anlagen spielen eine Rolle, um sicherzustellen, dass ein Portfolio angemessen diversifiziert ist. Einige Anlageklassen wie Infrastruktur und Gewerbeimmobilien sind anfällig für steigende Zinsen, bieten aber einen gewissen Inflationsschutz. Einige Hedgefonds-Strategien und Absolute-Return-Fonds sind so konzipiert, dass sie eine geringe Korrelation zu den Aktien- und Anleihenmärkten aufweisen. Natürlich kann es besonders talentierten Fondsmanagern gelingen, unter allen Marktbedingungen Renditen herauszuholen – allerdings sind auch diese Strategien nicht zu 100% sicher.

Die Bedeutung von liquiden Mitteln zu Diversifizierungszwecken ist nicht zu unterschätzen. Zwar kann es riskant sein, in Zeiten hoher Inflation liquide Mittel in großem Umfang zu halten, doch 2022 wurde der Wert von Portfolios dadurch insgesamt deutlich besser geschützt als bei vielen anderen Anlageklassen. Zusätzlich bot sich für Anleger dadurch die Möglichkeit einer flexiblen Reinvestition in die Märkte.

Auch Gold kann in ein Investmentportfolio aufgenommen werden. Es entwickelt sich umgekehrt zu den Zinssätzen: Da es kein Einkommen generiert, schneidet es bei hohen Zinsen in der Regel schlecht ab, weil die Opportunitätskosten für das Halten höher sind. Der Goldpreis blieb 2022 auf dem gleichen Niveau, wenngleich er im Jahresverlauf von erheblicher Volatilität betroffen war. Es lässt sich kaum beurteilen, wann Gold sich gut entwickeln könnte, daher ist in vielen Vermögensallokationen konstant eine kleine Position enthalten.

Keine Diversifizierungsstrategie ist unter allen Marktbedingungen erfolgreich.

Es ist nicht nötig, aufgrund der zuletzt starken Korrelation zwischen Anleihen und Aktien die Art und Weise zu überdenken, wie Anleger den Faktor Diversifizierung bewerten. Wir sollten uns jedoch stets bewusst sein, dass keine Diversifizierungsstrategie unter allen Marktbedingungen erfolgreich ist und dass Anleger einen disziplinierten Ansatz verfolgen sollten. Niemand kann die Zukunft voraussagen, und Diversifizierung stellt oftmals die einzige Möglichkeit dar, ein Portfolio vor unvorhersehbaren Marktentwicklungen zu schützen.