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November 22, 2024

Gewinn oder Gewissen: Müssen sich Anleger für eines von beiden entscheiden?

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST Oktober 3, 2023 493

Vielen Anlegern ist es wichtig, beim Investieren ihren Prinzipien treu zu bleiben. Sie wollen nicht, dass ihr Geld in Unternehmen fließt, deren Produkte sie aus ethischen Gründen nicht kaufen würden. Doch es wird noch immer befürchtet, dass es sich negativ auf die Rendite auswirkt, wenn man beim Investieren auf sein Gewissen hört. Da die Strategien für verantwortungsbewusstes Investieren immer ausgereifter werden, ist diese Sorge inzwischen weitgehend unbegründet.

Bis ins letzte Jahrzehnt hinein war verantwortungsbewusstes Investieren eher eine Kunst als eine Wissenschaft. Nur wenige Unternehmen lieferten ausreichende Informationen für eine fundierte Analyse von Themen wie CO2-Emissionen, Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen oder Auswirkungen auf die Biodiversität. Anleger, die verantwortungsbewusst investieren wollten, waren gezwungen, Sektoren wie Tabak, Glücksspiel oder Rüstungsproduktion und zunehmend auch fossile Brennstoffe auszuschließen. Da es sich dabei in vielen Fällen um defensive Sektoren handelte, die bei wirtschaftlichen oder finanziellen Turbulenzen als widerstandsfähiger gelten, wurden ethische Investitionen als riskanter wahrgenommen.

Diese Annahme wird zunehmend infrage gestellt, da verantwortungsbewusstes Investieren immer mehr zum Mainstream wird. Aufgrund regulatorischer Änderungen wie der EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (SFDR) und der künftigen EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen werden Finanzinstitute und andere Unternehmen umfangreichere Informationen zu ihren ökologischen und sozialen Auswirkungen offenlegen müssen. Dies ermöglicht es Anlegern, fundiertere Entscheidungen zu treffen.

Anleger, die etwas bewirken wollen, sind bei ihren Investitionen nicht auf Start-ups oder andere kleinere und riskantere Unternehmen beschränkt.

Die weltweiten Sorgen in Bezug auf den Klimawandel haben das Wachstum von Unternehmen beflügelt, die sich auf die Bereitstellung von Lösungen zur Bekämpfung der globalen Erwärmung konzentrieren. So gibt es heute große, reife Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien, die über wiederkehrende Einnahmen und solide Cashflows verfügen. Anleger, die etwas bewirken wollen, sind bei ihren Investitionen daher nicht auf Start-ups oder andere kleinere und riskantere Unternehmen beschränkt.

Breites Angebot an verantwortungsbewussten Investitionen

Angesichts der hohen Nachfrage nach verantwortungsbewussten Investitionen brachten Investmentgesellschaften neue Produkte auf den Markt oder verbesserten bestehende Produkte. Nach Angaben von Morningstar fallen heute mehr als die Hälfte der europäischen Fonds unter Artikel 8 oder 9 der SFDR, wobei sie ein Vermögen von insgesamt fast 5 Billionen Euro verwalten. Artikel-8-Fonds („hellgrün“) „bewerben ökologische oder soziale Merkmale“, während es sich bei Artikel-9-Fonds („dunkelgrün“) um „ökologisch nachhaltige Investitionen“ handelt.

Durch die Vorschriften soll die Transparenz in Bezug auf den Umgang von Vermögensverwaltern mit ökologischen und sozialen Aspekten erhöht werden. Es wird jedoch noch einige Zeit dauern, bis dieses Ziel vollständig erreicht ist. Derzeit besteht noch immer Unklarheit darüber, wie die Vorschriften anzuwenden sind, und die Nachhaltigkeitsdaten der Unternehmen weisen erhebliche Lücken auf.

Inzwischen gibt es eine Reihe von Ansätzen. Die Berücksichtigung von ESG-Aspekten (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) ist bei vielen Fondsgesellschaften heute Standard. Dies erfolgt jedoch eher im Rahmen des Risikomanagements, um sicherzustellen, dass die Unternehmen im Hinblick auf den ökologischen oder sozialen Wandel nicht auf der falschen Seite stehen oder bei bestehenden Problemen Maßnahmen ergreifen, um Risiken zu mindern. Fondsgesellschaften treten oft in den Dialog mit Unternehmen und fordern sie auf, Probleme im Zusammenhang mit CO2-Emissionen oder Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette anzugehen.

Auf diese Weise können Fondsgesellschaften unter anderem in fossile Brennstoffe oder sogar in die Tabakbranche investieren, sofern die Unternehmen Maßnahmen zur Verringerung bestehender Risiken ergreifen oder auf nachhaltige Geschäftsmodelle umstellen. Sie können in Ölgesellschaften investieren, die über Pläne für den Umstieg auf erneuerbare Energien verfügen, oder in Chemieunternehmen, die Konzepte für das Recycling oder die Wiederverwendung gefährlicher Abfälle entwickelt haben.

Nachhaltigkeitsziel

Strengere Ansätze erfreuen sich jedoch zunehmender Beliebtheit. Fonds, die unter Artikel 9 der SFDR fallen und angeben, ein Nachhaltigkeitsziel zu verfolgen, das über die Erwirtschaftung einer Anlagerendite hinausgeht, sind bestrebt, durch ihre Investitionen eine positive Wirkung zu erzielen. Statt sich darauf zu beschränken, nicht in Unternehmen zu investieren, die Schäden verursachen, setzen sie gezielt auf Unternehmen, die aktiv zum Wandel beitragen, sei es durch die Entwicklung von Technologien zur Kohlenstoffabscheidung, den Aufbau von Infrastrukturen für erneuerbare Energien oder den Vertrieb von Software zur Verbesserung der Energieeffizienz.

Angesichts der vielfältigen Anlagestrategien können die Anlageergebnisse verantwortlicher Fonds sehr unterschiedlich ausfallen.

Angesichts der vielfältigen Anlagestrategien können die Anlageergebnisse verantwortlicher Fonds sehr unterschiedlich ausfallen. Die Vermögenswerte eines ESG-Fonds unterscheiden sich möglicherweise kaum von denen eines traditionellen Fonds. So können beispielsweise Technologieaktien aufgrund ihrer geringen CO2-Emissionen hoch gewichtet sein. Impact-Fonds konzentrieren sich dagegen womöglich auf innovative Unternehmen, die in bestimmten Phasen des Konjunkturzyklus ein hohes Wachstum erzielen, während sie sich in anderen Phasen schwertun.

Eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze wurde in den letzten Jahren entwickelt. In den Jahren 2020 und 2021 zeigten sich die Anleger begeistert von den Chancen der Energiewende und die Aktienkurse von Unternehmen, die entsprechende Lösungen anzubieten schienen, schossen in die Höhe. Dies spiegelte sich in der Performance von Fonds wie dem iShares Global Clean Energy ETF wider, dessen Wert sich zwischen April 2020 und Januar 2021 fast verdreifachte. Die Kurse schwächten sich jedoch 2021 ab, als der Krieg in der Ukraine die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen wieder anheizte.

Die starke Entwicklung traditioneller Energieunternehmen stellte für reine Nachhaltigkeitsfonds im Jahr 2022 ein Problem dar. Spät erkannten die Anleger, dass die Energieknappheit den Übergang zu erneuerbaren Energien letztlich wahrscheinlich beschleunigen wird. Doch in vielen Fällen waren die entsprechenden Unternehmen bereits hoch bewertet.

Anleger, die verantwortungsbewusst investieren, stecken häufig in einem Dilemma.

Kompromisse beim verantwortungsbewussten Investieren

Anleger, die verantwortungsbewusst investieren, stecken häufig in einem Dilemma. Wenn sie Sektoren wie traditionelle Energieunternehmen oder Versorger ausschließen, die in der Vergangenheit hohe Dividenden gezahlt haben, wird es für sie schwieriger, ein Portfolio aufzubauen, das ihnen ein stetiges Einkommen bietet. Wenn Anleger mit ihren Investitionen eine möglichst große positive Wirkung erzielen wollen, werden sie sich wahrscheinlich eher auf kleinere Unternehmen und Wachstumswerte konzentrieren, was zu Stil-Abweichungen im Vergleich zu traditionellen Aktienindizes führt. Diese Ausrichtung wird sich in bestimmten Phasen des Marktzyklus positiv und in anderen negativ auswirken. Anleger sollten in jedem Fall bedenken, welche Folgen dieses Vorgehen für ihr Gesamtportfolio und ihre persönlichen Anlageziele hat.

Verantwortungsbewusstes Investieren kann zur Über- und Untergewichtung einzelner Sektoren führen, was sich unter unterschiedlichen Marktbedingungen unterschiedlich auf die Performance auswirkt. Generell stellt sich die Frage, ob sich die Kurse von Unternehmen, die ihre Risiken in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung effektiv steuern, besser entwickeln als die von Unternehmen, die dies nicht tun. Es erscheint logisch, dass Unternehmen mit einer effizienteren Risikokontrolle besser abschneiden, wenn auch nicht über alle Zeiträume hinweg.

Es erscheint logisch, dass Unternehmen mit einer effizienteren Risikokontrolle besser abschneiden, wenn auch nicht über alle Zeiträume hinweg.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des US-amerikanischen institutionellen Vermögensverwalters Federated Hermes über die Auswirkungen von ESG-Faktoren auf die Aktienkursentwicklung zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Aspekten in den Bereichen Soziales und Unternehmensführung und höheren Aktienkursen. Der Zusammenhang zwischen Umweltfaktoren und den Aktienkursen ist schwächer, scheint aber in den letzten zwei Jahren zugenommen zu haben. Dies ist auf die steigenden Transparenzanforderungen zurückzuführen, da Unternehmen, denen Umweltschäden vorgeworfen werden, ein Reputationsverlust droht.

Wenn immer mehr Investoren wie Pensionsfonds verlangen, dass Unternehmen ihre ESG-Risiken effektiv steuern, wird es weniger Käufer für Aktien von Unternehmen geben, die diese Anforderungen nicht erfüllen, und ihre Aktienkurse dürften entsprechend unter Druck geraten. Allerdings könnte dies auch dazu führen, dass diese Unternehmen sich von der Börse zurückziehen.

Anleger müssen für ein gutes Gewissen keine finanziellen Opfer bringen, und entsprechend auch nicht ihr Gewissen für Gewinne opfern. Das Angebot am Markt für verantwortungsbewusstes Investieren ist mittlerweile so vielfältig, dass Anleger Nachhaltigkeitsfonds und Einzelanlagen auswählen können, die ihrer Risikobereitschaft und ihren finanziellen Zielen entsprechen. Dabei sollten sie sich jedoch darüber im Klaren sein, dass die Wertentwicklung – wie bei allen Anlagen – je nach den Marktbedingungen schwanken kann, unabhängig davon, für welche Art von verantwortungsbewussten Investitionen sie sich entscheiden.