Die Bedeutung von ESG-Faktoren in Unternehmen
Inwiefern sind ESG-Faktoren für ein Unternehmen wichtig? Wie kann man sie in seine Strategie einbeziehen und zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung handeln? Alessandra Simonelli, Head of Sustainable Development bei der BIL, erklärt uns in diesem Gespräch, wie wichtig es ist, ökologische, soziale und die Governance betreffende Belange im Geschäftsalltag eines Unternehmens zu berücksichtigen.
Guten Tag Frau Simonelli. Können Sie uns erklären, worin die ESG-bezogenen Herausforderungen eines Unternehmens bestehen?
ESG-Faktoren sind die Auswirkungen, die ein Unternehmen durch seine Geschäftstätigkeit auf die Umwelt und die Menschen haben kann. Ein Unternehmen muss sich mit der Frage befassen, wie es die Menschen und den Planeten beeinflusst und was es tun kann, um eine positivere Wirkung zu erzielen. Bei einer Branche, die starke Verschmutzungen verursacht, spricht man beispielsweise von (schädlichen) Umweltauswirkungen. Doch auch die umgekehrte Perspektive ist zu berücksichtigen. Ich nenne oft die Landwirte als Beispiel, die unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden. So muss ein Unternehmen nicht nur auf seine eigenen Auswirkungen achten, sondern auch darauf, welche Auswirkungen die Umwelt oder die Gesellschaft auf seine Geschäftstätigkeit haben können. Diese Herausforderungen gilt es zu bewältigen.
Was ist der Unterschied zwischen ESG und CSR?
Die Grenzen zwischen den beiden sind fließend. Corporate Social Responsibility oder CSR steht für die soziale Verantwortung der Unternehmen. Gemeint sind also alle von diesen unternommenen Anstrengungen, um eine positive Wirkung auf die Umwelt, die Gesellschaft oder die Wirtschaft zu erzielen. Man spricht von einem CSR-Ansatz oder einer CSR-Politik.
Der Begriff ESG – E für Umwelt, S für Soziales und G für Governance – bezieht sich auf die sogenannten ESG-Kriterien oder -Faktoren. Das heißt auf Indikatoren, mit denen die Leistung eines Unternehmens gemessen werden kann: seine CO2-Bilanz, Fehlzeiten der Mitarbeiter, die Verwaltung usw. Mithilfe von ESG-Kriterien können wir messen, wie effizient ein Unternehmen in Bezug auf seinen CSR-Ansatz ist.
Die nicht-finanziellen Auswirkungen eines Unternehmens werden künftig genauso wichtig sein wie seine finanzielle Leistung.
Inwiefern sind diese Aspekte für ein Unternehmen wichtig und nicht zu vernachlässigen?
Es ist heutzutage nicht mehr möglich, ein Unternehmen nur aus einer rein finanziellen Perspektive zu betrachten. Durch seine Geschäftstätigkeit beeinflusst es die Menschen und unseren Planeten, wobei die Auswirkungen langfristig sein können. Natürlich ist der wirtschaftliche Aspekt von großer Bedeutung. Ein Unternehmen muss profitabel sein, um sich weiterzuentwickeln. Für einen reibungslosen Ablauf muss es jedoch auch die Umwelt, in der es tätig ist, und die Angestellten usw. respektieren. Es wäre nachteilig für ein Unternehmen, wenn es diese Aspekte vernachlässigt. Im Übrigen sind ESG-Kriterien für Kunden, Mitarbeiter und Anleger zunehmend wichtig. Die nicht-finanziellen Auswirkungen eines Unternehmens werden künftig genauso wichtig sein wie seine finanzielle Leistung.
Was bedeuten diese ESG-bezogenen Herausforderungen für eine Bank?
Genau wie andere Unternehmen auch müssen wir auf unsere sozialen und ökologischen Auswirkungen achten: Wir müssen für das Wohlergehen unserer Mitarbeiter sorgen, auf unsere CO2-Bilanz achten, unseren Abfall entsorgen usw. Als Finanzintermediär investieren wir allerdings auch in Unternehmen und finanzieren ihre Projekte. Bisher lag der Schwerpunkt auf den wirtschaftlichen Aspekten der Governance.
Inzwischen werden auch gute Governance-Praktiken und etwaige soziale oder ökologische Kontroversen berücksichtigt. Wir sind verpflichtet, ESG-Faktoren zu berücksichtigen, um die Leistung der Unternehmen zu messen und unsere finanziellen Entscheidungen zu treffen: sei es bei der Frage, ob wir in bestimmte Unternehmen oder nicht, bei der Abwägung, ob wir Kredite gewähren oder nicht usw.
Unsere Aufgabe besteht darin, den Wandel zu begleiten und unsere Kunden zur Verbesserung ihrer Leistung zu veranlassen. Das ist eine neue Dimension, die sich in unserem Geschäftsbereich aufgetan hat. Wir führen Schulungen durch, um unsere Kunden angemessen beraten zu können und müssen uns jede Menge neues Fachwissen aneignen.
Welche Unternehmen sind betroffen?
Im Moment sind vor allem große Unternehmen betroffen. Ab dem 1. Januar 2025 werden Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern aufgrund der CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive) verpflichtet sein, einen nicht-finanziellen Bericht zu einer Reihe von Umwelt- und Sozialindikatoren zu veröffentlichen. Ein Unternehmen, das heute seine Finanzergebnisse, seine Schulden usw. offenlegt, wird morgen auch seine Treibhausgasemissionen, die Krankheitsrate seiner Mitarbeiter usw. aufführen müssen. Anhand dieser Indikatoren lässt sich beurteilen, ob es sich um ein leistungsfähiges Unternehmen handelt. Zwar gelten diese regulatorischen Verpflichtungen für kleine Unternehmen derzeit noch nicht; sie werden in Zukunft aber alle betreffen.
Wie kann ein Unternehmen diese Aspekte in seine Strategie einbeziehen?
Es muss zunächst die wesentlichen Faktoren ermitteln und sich fragen, ob seine Geschäftstätigkeit eher Auswirkungen auf die Umwelt oder auf die Gesellschaft hat. So bestimmt es die für das Unternehmen wichtigsten Themen und kann anschließend beginnen, seine Wirkung zu messen, um konkrete Korrekturmaßnahmen zu ermitteln. Es darf nicht vergessen, seine Interessengruppen (Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer usw.) einzubeziehen und ihnen die Frage zu stellen, auf welchem Gebiet sich das Unternehmen ihrer Meinung nach engagieren soll. Darauf basierend wird es seine CSR-Strategie festlegen.
Sie haben davon gesprochen, dass Unternehmen ihre Auswirkungen messen müssen. Was können sie konkret bewerten?
Auf Ebene der Bank messen wir beispielsweise in Bezug auf den Faktor Umwelt unseren Energie- und Wasserverbrauch und unsere CO2-Bilanz, wiegen den Abfall, den wir produzieren usw. Im Bereich Soziales sehen wir uns die Fehlzeiten und die Krankheitsrate der Mitarbeiter, die Diversitätsrate, die Teilzeitquote usw. an. Je nach Branche gibt es zahlreiche unterschiedliche Indikatoren. Im Bauwesen werden eher schwere Zwischenfälle und Unfälle bewertet, während ein IT-Unternehmen seine Kontrollen auf die Datensicherheit seiner Kunden konzentrieren wird. Alle Unternehmen müssen jedoch auf eine gute Governance achten: Sie müssen Gesetze einhalten, Steuern zahlen, klare Richtlinien vorweisen, einen unabhängigen Verwaltungsrat haben usw.
Ein Flugzeug in vollem Flug zu stoppen, ist schwierig. Doch selbst mit kleinen Aktionen lässt sich viel erreichen, wenn alle mitmachen. Durch die Kombination der Maßnahmen kann eine echte Wirkung erzielt werden.
Können Sie konkrete Beispiele für erforderliche Maßnahmen nennen?
Die Unternehmen werden vor allem auf ihren Energieverbrauch und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen achten.
Es kann sich um Umweltmaßnahmen handeln: Mülltrennung, Recycling und Abfallreduktion, indem auf Verpackungen verzichtet wird, Nutzung erneuerbarer Energien und Installation von Photovoltaikanlagen, Ersetzung eines Fuhrparks mit Verbrennungsmotoren durch Elektrofahrzeuge, Senkung des Energieverbrauchs, indem Computerbildschirme jeden Abend ausgeschaltet, Energiesparlampen verwendet und die Anzahl der elektronischen Geräte begrenzt werden usw.
Auf sozialer Ebene kann das Unternehmen Schulungen organisieren, Richtlinien für die Telearbeit einführen, Mitarbeitern ein Fitnessstudio anbieten, Pläne zur Unfallverhütung aufstellen usw.
In den meisten Fällen sind keine außergewöhnlichen Maßnahmen vonnöten, außer z.B. in bestimmten Branchen wie der Automobilindustrie, die ihre gesamte Produktionskette umstellen muss. Ein Flugzeug in vollem Flug zu stoppen, ist schwierig. Doch wir können selbst mit kleinen Aktionen viel erreichen, wenn alle mitmachen. Durch die Kombination der Maßnahmen kann eine echte Wirkung erzielt werden.
An einem Label erkennt man, dass ein Unternehmen einen positiven Ansatz verfolgt, dass eine externe Leistungsbewertung stattfindet und der Wille zu Verbesserung besteht.
Wie kann man sein Engagement für eine nachhaltige Entwicklung zeigen?
Das Unternehmen kann sich einem Nachhaltigkeitslabel anschließen, mit dem CSR-Maßnahmen „belohnt“ werden. In Luxemburg gibt es beispielsweise das ESG-Label des Institut National pour le Développement durable et la Responsabilité sociale des entreprises (Nationales Institut für nachhaltige Entwicklung und soziale Verantwortung der Unternehmen, INDR), doch es existieren noch viele weitere nationale und internationale Label. Im Bankensektor finden wir zum Beispiel die United Principles for Responsible Banking der Vereinten Nationen (UNPRB), die Principles for Responsible Investment (UNPRI), die Net Zero Banking Alliance (NZBA) oder auch die LuxFLAG-Label für Bankprodukte.
An einem Label erkennt man, dass ein Unternehmen einen positiven Ansatz verfolgt, dass eine externe Leistungsbewertung stattfindet und der Wille zu Verbesserung besteht – zumal der Erhalt eines Labels kostspielig ist und das betreffende Unternehmen sich einer sorgfältigen Prüfung unterziehen muss.
Natürlich kann man sich auch ohne ein solches Label für nachhaltige Entwicklung einsetzen, doch indem wir uns einem Label anschließen, demonstrieren wir unsere Bereitschaft, uns der Prüfung durch einen externen Experten zu unterziehen.
Was sind die größten Hürden bei der Berücksichtigung von ESG-Aspekten?
Eine der wesentlichen Schwierigkeiten liegt darin, dass es sich um einen neuen Ansatz handelt. Unternehmen müssen Daten messen, berechnen und überwachen, die sie zuvor nicht erhoben haben. Was muss genau gemessen werden? Was ist die beste Herangehensweise? Sie sehen sich gezwungen, völlig neue Kompetenzen zu entwickeln. Und das bedeutet eine Kapitalinvestition. Dennoch ist es unbedingt notwendig, und selbst die kleinsten Betriebe werden sich damit beschäftigen müssen.
Welchen Nutzen kann die Berücksichtigung von ESG-Faktoren für ein Unternehmen haben?
Neben den Auswirkungen auf das Klima und das Wohlergehen der Mitarbeiter wird die Einbeziehung von sozialen und ökologischen Belangen in die Unternehmensstrategie dem Unternehmen auch Kosteneinsparungen ermöglichen. Die Reduzierung von Abfall, die Optimierung des Energieverbrauchs oder auch die Schulung der Mitarbeiter werden die operative Effizienz verbessern.
Darüber hinaus wirkt es sich positiv auf den Ruf des Unternehmens, die Attraktivität für Kunden und den Stolz der Mitarbeiter aus, wenn ein Unternehmen sein Engagement für eine nachhaltige Entwicklung demonstriert.
Zu guter Letzt ergeben sich durch die Integration von ESG-Faktoren auch Marktchancen. Die Bank kann ihren Kunden zum Beispiel zusätzliche Dienstleistungen anbieten: Betreuung der Unternehmen bei ihren CSR-Maßnahmen, Unterstützung bei der Erstellung ihrer nicht-finanziellen Berichterstattung, Lösungen für die energetische Gebäudesanierung für Privatpersonen usw.
Glauben Sie, dass sich die Unternehmen in Luxemburg von nachhaltigkeitsbezogenen Problemen betroffen fühlen?
Gemäß dem Panorama 2022 du développement durable ergreifen 40% der Unternehmen in Luxemburg CSR-Maßnahmen. Es ist ein Bewusstsein zu spüren, allerdings bisher eher bei den großen Unternehmen. Kleinere Strukturen befinden sich noch in der Planungsphase, insbesondere angesichts der derzeitigen Wirtschaftslage. Für sie ist dieses Thema nebensächlich. Bevor sie Geld für den Kauf einer Wärmepumpe ausgeben, werden sie zunächst dafür sorgen, dass ihr Kerngeschäft funktioniert.
Allerdings gibt viele gute Absichten in diesem Bereich, wenn auch noch recht wenig konkrete Maßnahmen, da es an Ressourcen und finanziellen Mitteln mangelt. Das hängt wirklich von der Größe des Unternehmens, seiner Branche, den finanziellen Mitteln sowie davon ab, wie empfänglich die Geschäftsleitung für das Thema ist.
Jeder kann etwas für eine nachhaltige Entwicklung tun. Mit mehr Informationen und Schulungen können wir alle motivieren, sich dafür einzusetzen!
Können Sie uns abschließend sagen, an wen sich ein Unternehmen wenden kann, wenn es Hilfe bei seiner Energiewende benötigt?
Es kann sich natürlich an seine Bank wenden, da die Energiewende mit Investitionen einhergeht. Vor allem aber kann es sich mit dem House of Sustainability in Verbindung setzen, dessen Aufgabe es ist, Unternehmen auf ihrem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung zu sensibilisieren, zu schulen und zu begleiten. Es kann sie über die verschiedenen Finanzhilfen informieren, die die luxemburgische Regierung bereitstellt, sowie über die verschiedenen Labels, die es gibt.
Abschließend würde ich sagen, dass jeder etwas für eine nachhaltige Entwicklung tun kann. Mit mehr Informationen und Schulungen können wir alle motivieren, sich dafür einzusetzen!