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März 29, 2024

Naht das Ende des physischen Geldes?

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST Dezember 3, 2019 2953

Physisches Geld existiert seit Jahrtausenden, doch ob es das nächste Jahrzehnt überleben wird, ist durchaus ungewiss. Denn der Vormarsch von digitalen Zahlungen stellt die Zukunft von Bargeld in Frage. Aber steht sein Ende nun wirklich unmittelbar bevor?

Trotz gelegentlicher alarmierender Vorhersagen ist klar, dass die Tage des physischen Geldes noch nicht gezählt sind. Eine im November 2018 durchgeführte Studie der Europäischen Zentralbank ergab, dass rund 80 % der Transaktionen von privaten Haushalten in der Eurozone noch immer mit Bargeld durchgeführt werden.

Allerdings bestehen hierbei von Land zu Land deutliche Unterschiede. Einige Pioniere wie Finnland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich sind anderen Ländern in puncto elektronische Zahlungen deutlich voraus, denn dort wird mittlerweile die Hälfte aller Transaktionen elektronisch getätigt. Ganz oben auf der Liste steht allerdings Schweden, wo in Geschäften lediglich rund 13 % der Zahlungen in bar erfolgen.

Die Bargeldlose Gesellschaft

Schwedens Riksbank vertritt die Ansicht, dass eine bargeldlose Gesellschaft in gut einem Jahrzehnt Wirklichkeit werden könnte. So sagte Vize-Zentralbankchefin Cecilia Skingsley etwa: „Sieht man sich die aktuellen Trends an, wird die Riksbank den letzten Geldschein bis 2030 entgegennehmen.”

Diese Entwicklung spiegelt einen breiteren Trend wider. Weltweit wird ein Anstieg der digitalen Zahlungen bis 2021 um durchschnittlich 12,7 % erwartet. Die Schwellenländer sind insbesondere in Asien richtungsweisend, wenn es darum geht, digitale Zahlungen als Mittel einzusetzen, um die finanzielle Integration zu fördern. Denn dank ihnen können auch Menschen ohne Bankkonto am Finanzsystem teilhaben.

Die Aufsichtsbehörden und politischen Entscheidungsträger haben erkannt, wie wichtig es ist, Menschen elektronische Zahlungsmittel nahezulegen. Ein Ziel des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums für die Mitgliedstaaten der Eurozone ist die Harmonisierung der Standards der einzelnen Länder für Sofortzahlungen. Den Prognosen zufolge soll sich das Wachstum in Europa auf diese Weise schneller beschleunigen als in anderen Regionen.

Open Banking: EU als Maßstab

Die EU wird von Regulierungsbehörden weltweit als Referenz herangezogen, was ihre Anforderungen an traditionelle Banken angeht, APIs einzurichten, um agilen Finanztechnologieunternehmen zu ermöglichen, Bankkunden innovative digitalbasierte Dienste anzubieten.

Wenngleich der Trend unaufhaltsam scheint, so gibt es auf dem Weg zu einer bargeldlosen Gesellschaft doch nach wie vor eine Reihe von Hindernissen. Zum einen wäre da die Abhängigkeit vom Energienetz, denn bei einer möglichen Unterbrechung der Stromversorgung bliebe Bargeld die einzige Zahlungsoption. Elektronische Zahlungen sind zudem anfällig gegenüber Systemausfällen auf Seiten der Anbieter. Kommt es zu einem solchen Ausfall, schränkt dies die Möglichkeit der Verbraucher ein, Waren zu kaufen und zu verkaufen.

In der Vergangenheit kam es bereits zu Zwischenfällen, die diese Probleme offenbart haben. Ein Systemausfall bei Visa führte im Juni 2018 dazu, dass Karteninhaber in der gesamten EU keine Zahlungen vornehmen konnten, da sich Back-up-Maßnahmen als unzureichend erwiesen. Aus diesem Grund ist es unwahrscheinlich, dass Bargeld ganz von der Bildfläche verschwindet, selbst wenn sich das einst alltägliche Zahlungsmittel zunehmend zu einem Notfallinstrument entwickelt.

Anfällige Systeme

Darüber hinaus existieren erhebliche Bedenken rund um die Anfälligkeit elektronischer Zahlungssysteme gegenüber Kriminellen, Terroristen oder feindlich gesinnten Regierungen. Derzeit wird untersucht, ob es möglich ist, eine Nation trotz der von den Regierungen eingerichteten Kontrollsysteme anhand ihrer Zahlungssysteme als Geisel zu nehmen.

Ein anderes Argument besagt hingegen, dass kriminelle Netzwerke vielmehr von der Nutzung von Bargeld profitieren. Die Zentralbanken in der EU schaffen derzeit den 500-Euro-Schein ab, weil auf hohe Beträge lautende Geldscheine bei Steuerflucht und Geldwäsche nützlicher sind als bei legitimen Transaktionen. Harvard-Wissenschaftler Peter Sands zufolge machen sich die Täter groß angelegter krimineller Geschäfte damit weniger verdächtig, als wenn sie größere Mengen kleinerer Geldscheine beschaffen müssten.

Für Unternehmen ist die elektronische Zahlungsverwaltung nicht nur effizienter und günstiger, sondern senkt auch das Risiko von Überfällen, da Bargeld nicht länger vor Ort aufbewahrt wird.

Für Unternehmen ist die elektronische Zahlungsverwaltung nicht nur effizienter und günstiger, sondern senkt auch das Risiko von Überfällen, da Bargeld nicht länger vor Ort aufbewahrt wird. Darin besteht auch der Vorteil für Privatpersonen, dem allerdings gegenübersteht, dass bei bestimmten Bevölkerungsteilen, insbesondere bei älteren Menschen, das Risiko für physische Angriffe erhöht ist, da sie mit überproportionaler Wahrscheinlichkeit Bargeld bei sich tragen.

Ein schwieriger Fall für die Geldpolitik

Zudem ist die Existenz von Bargeld möglicherweise ein Hindernis für die aktuelle Geldpolitik der EZB. Denn um die Kreditvergabe zu fördern, müssen Geschäftsbanken für ihre Einlagen Strafzinsen entrichten.

Allerdings geben nur wenige Banken die negativen Zinsen an Privatkunden weiter. Andernfalls wären die Kunden geneigt, die Gebühren zu umgehen, indem sie mehr Geld in Form von Barmitteln statt auf Bankkonten halten. In einer vollständig bargeldlosen Gesellschaft stünden den geldpolitischen Entscheidungsträgern mehr Instrumente zur Verfügung, um Privatpersonen zu höheren Konsumausgaben oder riskanteren Anlageformen wie Aktien zu verleiten. Ob die Regierungen, ganz zu schweigen von den Wählern, ein solches Szenario begrüßen würden, ist allerdings unklar.

Bargeld weiter hoch im Kurs

Dennoch argumentiert Yves Mersch, Mitglied des EZB-Direktoriums, dass die Negativzinsen die gewünschte Wirkung gezeigt haben, ohne eine Flucht in Bargeld auszulösen, und zwar insbesondere in Kombination mit Anleihekäufen, der Vergabe günstiger Kredite an Banken sowie Zielsetzungen bei der Zinspolitik.

Mersch sieht die bargeldlose Gesellschaft vor allem dadurch gefährdet, dass die meisten Menschen sie schlicht ablehnen – zumindest in Europa, wo sich Bargeld laut einer Umfrage der EZB aus dem Jahr 2018 nach wie großer Beliebtheit erfreut. Und während einige Fürsprecher bargeldlose Zahlungen als Treiber für die finanzielle Integration sehen, so fürchten Skeptiker den Ausschluss schwächerer Gesellschaftsmitglieder, die nicht das technische Verständnis oder die technischen Voraussetzungen für eine bargeldlose Welt besitzen.

Physisches Geld hat seine Grenzen – es kann verloren gehen, gestohlen werden oder versehentlich in die Waschmaschine geraten – doch vielen Menschen verschafft es noch immer ein beruhigendes Gefühl von Sicherheit. Für einige ist physisches Geld angesichts zunehmender Überwachung auch ein Symbol der Freiheit. Während Bargeld in einigen Ländern also längst nicht mehr denselben hohen Stellenwert einnimmt wie früher, so scheint es doch unwahrscheinlich, dass die EZB in nächster Zeit den letzten Euro zurücknehmen wird.

Physisches Geld hat seine Grenzen – es kann verloren gehen, gestohlen werden oder versehentlich in die Waschmaschine geraten – doch vielen Menschen verschafft es noch immer ein beruhigendes Gefühl von Sicherheit.