Wie grüne Anleihen zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beitragen
Überall auf der Welt gibt es Bemühungen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu durchbrechen. Sie umfassen den Umbau der Energieinfrastruktur und die Umgestaltung von industriellen Prozessen. Die brisanteste Frage dabei ist, wie dieser Übergang finanziert werden soll. Regierungen und Unternehmen weltweit setzen mittlerweile auf grüne Anleihen. Bei dieser Art von Wertpapieren sind die Erlöse ausdrücklich für Projekte und Aktivitäten vorgesehen, die der Umwelt zugute kommen.
Die erste grüne Anleihe wurde 2007 von der Europäischen Investitionsbank begeben und an der Luxemburger Börse notiert. Dieser spezielle Anleihetyp existiert also schon seit mehr als fünfzehn Jahren, doch in den letzten drei Jahren ist die Nachfrage nach grünen Anleihen sprunghaft angestiegen.
Laut der gemeinnützigen Transparenzorganisation Climate Bonds Initiative floss im ersten Quartal 2024 frisches Kapital in Höhe von insgesamt 273 Milliarden US-Dollar in grüne und nachhaltige Anleihen. Über das vergangene Jahr hinweg kamen grüne, soziale, nachhaltige und nachhaltigkeitsbezogene Anleihen insgesamt auf 870 Milliarden US-Dollar – ein Anstieg von 3% gegenüber dem Vorjahr. Ein wirklicher Wachstumstrend setzte Marktexperten zufolge jedoch erst 2021 ein, als deutlich wurde, dass eine beträchtliche Nachfrage nach dieser Art von Finanzinstrumenten besteht.
Auch regulatorische Änderungen und ihre Folgen in Bezug auf Agenturratings verstärkten das Interesse an grünen Anleihen, so Alessandra Simonelli, Head of Sustainable Development bei der Banque Internationale à Luxembourg. Ihrer Einschätzung nach steht möglicherweise eine breite Neuausrichtung von Anlagestrategien bevor, die die ESG-Leistung zu einem relevanten Kriterium erhebt und sich auf Nachfrage und Preisgestaltung auswirken wird.
Die Kategorie der grünen Anleihen ist inzwischen mit einem breiten Spektrum an Nachhaltigkeitsansätzen verbunden.
Ein breites Spektrum an Nachhaltigkeitsansätzen
Auch die wachsende Auswahl spielt eine wichtige Rolle. Die Kategorie der grünen Anleihen ist inzwischen mit einem breiten Spektrum an Nachhaltigkeitsansätzen verbunden. Es gibt blaue Anleihen zur Finanzierung der Meereswirtschaft, Sozialanleihen zur Finanzierung von Projekten mit positiven sozialen Auswirkungen und nachhaltige Anleihen zur Finanzierung von Projekten, die ökologische und soziale Ziele miteinander kombinieren. Darüber hinaus gibt es mittlerweile auch nachhaltigkeitsbezogene Anleihen, bei denen die Höhe der gezahlten Zinsen daran gekoppelt ist, ob die Emittenten bestimmte vorab vereinbarte Ziele in Bereichen wie ihrem Treibhausgasausstoß erfüllen.
All diese Schuldtitel werden oft mit dem Sammelbegriff „grüne Anleihen“ zusammengefasst. Sie werden von Regierungen, Unternehmen, Banken und supranationalen Einrichtungen wie z.B. Entwicklungsbanken begeben, um nachhaltigkeitsbezogene Projekte und Aktivitäten zu finanzieren. Der Markt für grüne Staatsanleihen ist heutzutage gut etabliert und hat Teilnehmer auf der ganzen Welt.
So mobilisierte Brasilien im Dezember 2023 durch die Ausgabe nachhaltiger Anleihen einen Betrag von 2 Milliarden US-Dollar zur Finanzierung von Nachhaltigkeitsinitiativen. Brasilien, Kolumbien und Ecuador gehören zudem einer Arbeitsgruppe an, die im Dialog mit mehreren Entwicklungsbanken einen Rahmen für neue Anleihen schaffen will, um Milliarden von Dollar zu günstigen Finanzierungsbedingungen für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes zu beschaffen.
In Europa ist Frankreich der größte Emittent grüner Staatsanleihen. Die Erlöse werden verwendet, um Maßnahmen für den Klimaschutz, die Anpassung an den Klimawandel, den Schutz der biologischen Vielfalt und den Kampf gegen Umweltverschmutzung zu finanzieren. Die Europäische Kommission strebt ihrerseits an, bis zu 250 Milliarden Euro über grüne Anleihen zu beschaffen, um das Aufbauprogramm NextGenerationEU zu finanzieren. Damit wäre ihr die Rolle als Marktführer in diesem Bereich vorerst sicher.
Wie bei allen nachhaltigkeitsbezogenen Finanzprodukten gibt es auch hier Bedenken, dass möglicherweise Greenwashing betrieben wird und dass die Erlöse nicht immer für den angegebenen Zweck eingesetzt werden.
Der europäische Standard für grüne Anleihen
Wie bei allen nachhaltigkeitsbezogenen Finanzprodukten gibt es auch hier Bedenken, dass möglicherweise Greenwashing betrieben wird und dass die Erlöse nicht immer für den angegebenen Zweck eingesetzt werden. Darüber hinaus schwankt die Genauigkeit der Berichterstattung und es fehlt an einer einheitlichen Terminologie, wodurch es schwieriger wird, die erhältlichen Produkte miteinander zu vergleichen. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die EU einen Standard entwickelt, der das Vertrauen in grüne Anleihen stärken und ihre Transparenz erhöhen soll. Er wurde im Dezember 2023 vereinbart und tritt im Dezember 2024 in Kraft.
Auch Unternehmen begeben grüne Anleihen, um nachhaltigkeitsbezogene Projekte oder Aktivitäten zu finanzieren, z.B. in den Bereichen erneuerbare Energie, Energieeffizienz, saubere Verkehrsinfrastruktur und nachhaltige Wasserwirtschaft. So hat das halbstaatliche französische Finanzinstitut CDC, das Miteigentümer der Post, der Erdgasinfrastruktur und führender Abwasserunternehmen in Frankreich ist, im Juni 2023 eine nachhaltige Anleihe mit einem Volumen von 500 Millionen Euro begeben, um den Bau und die thermische Sanierung von Sozialwohnungen, die Verbesserung der digitalen Teilhabe und Maßnahmen zur Unterstützung der alternden Bevölkerung zu finanzieren.
Die staatseigene Pariser Nahverkehrsgesellschaft RATP und der Gleisnetzbetreiber SNCF Réseau haben ebenfalls grüne Anleihen begeben, um Mittel für ihre Dekarbonisierung zu beschaffen. Banken begeben derweil oft grüne Anleihen, um nachhaltigkeitsbezogene Kredite zu finanzieren, z.B. grüne Hypothekendarlehen oder Kredite für Unternehmen zur Verwirklichung ihrer eigenen Energiewendeprojekte. Nicht zu vergessen sind auch die Weltbank und andere supranationale Organisationen wie die Europäische Investitionsbank, die zu den größten Emittenten grüner Anleihen zählen.
Grüne Anleihen haben dieselbe Grundstruktur wie andere Arten von Schuldtiteln. Der Kupon, d.h. die jährliche Zinszahlung, hängt vom wahrgenommenen Ausfallrisiko des Emittenten ab und steht in direktem Verhältnis zu den Renditen seiner herkömmlichen Anleihen. Die kürzlich in Brasilien begebenen Staatsanleihen haben beispielsweise einen Kupon von 6,25% pro Jahr, während öffentliche Anleihen in Frankreich mit einem Kupon von 3% bis 3,2% begeben werden.
In den vergangenen Jahren ist der sogenannte „Greenium“-Effekt bei grünen Anleihen zwar schwächer geworden, aber dennoch erzielen Mitte 2024 rund 30% der grünen Anleihen nach wie vor einen höheren Marktpreis als vergleichbare herkömmliche Schuldtitel.
„Greenium“: Die grüne Prämie
Ein besonderer Anreiz für Unternehmen und Regierungen besteht darin, dass sie bei der Ausgabe von grünen Anleihen oft niedrigere Renditen als bei herkömmlichen Wertpapieren bieten können. Dieses Phänomen bezeichnet man auch als „Greenium“-Effekt („Green premuim“, deutsch: grüne Prämie). In den vergangenen Jahren ist dieser Effekt zwar schwächer geworden, aber dennoch erzielten Mitte 2024 rund 30% der grünen Anleihen nach wie vor einen höheren Marktpreis (niedrigere Rendite) als vergleichbare herkömmliche Anleihen. So können Emittenten das erforderliche Kapital für ihre nachhaltigkeitsbezogenen Projekte also zu potenziell niedrigeren Kosten beschaffen als mit einem herkömmlichen Kredit.
Analysten gehen davon aus, dass der Markt in den kommenden Jahren weiter wachsen wird. Laut einer Prognose der Ratingagentur Moody’s könnte der Markt für klimabezogene Anleihen in diesem Jahr ein Neuemissionsvolumen von 950 Milliarden US-Dollar erreichen. S&P rechnet bis zum Jahresende sogar mit einem Volumen von über 1 Billion US-Dollar. 2023 erzielten Unternehmen außerhalb des Finanzsektors das größte Neuemissionsvolumen, dicht gefolgt von Finanzinstituten. Zu den aktivsten Emittenten zählten darüber hinaus Staaten, andere öffentliche Emittenten, Entwicklungsbanken und kommunale Behörden.
Für Anleger können grüne Anleihen eine Gelegenheit bieten, ihr Anleihenportfolio nachhaltiger aufzustellen, was bei Schuldtiteln in der Regel schwieriger ist als bei Aktien. Inhaber von Anleihen sind Kreditgeber und erhalten somit keine Eigentumsrechte. Das macht es für sie schwieriger, Einfluss auf die Unternehmen im Anleihenportfolio auszuüben und sich wirkungsvoll für mehr Nachhaltigkeit einzusetzen, wie es Aktionäre tun können. Der Markt für grüne Anleihen bietet inzwischen eine große Auswahl an Emittenten. Hinzu kommt eine hohe Liquidität auf dem Sekundärmarkt, wodurch es einfacher geworden ist, mit Anleihen zu handeln und das eigene Portfolio zu diversifizieren.
Der Markt für grüne Anleihen bietet inzwischen eine große Auswahl an Emittenten. Hinzu kommt eine hohe Liquidität auf dem Sekundärmarkt, wodurch es einfacher geworden ist, mit Anleihen zu handeln und das eigene Portfolio zu diversifizieren.
Offen bleibt die Frage, was aus den übrigen Titeln am Anleihenmarkt wird. Werden sie zu „braunen Anleihen“ degradiert und wird dieses Marktsegment weniger nachhaltig, da die grünen Komponenten staatlicher oder privatwirtschaftlicher Investitionen jetzt über einen gesonderten Anleihetyp laufen? Diese Frage hat Anlegern viel Kopfzerbrechen bereitet und eine abschließende Antwort steht noch immer aus. Die Politik hofft darauf, dass der Trend am Markt zu einem weitreichenderen Wandel führen wird und dass die Aktivitäten von Unternehmen und Regierungen so nach und nach unter allen Gesichtspunkten nachhaltiger werden.
Zu Beginn kam es am Markt für grüne Anleihen – wie bei nahezu jedem Vorstoß in relativ neues Terrain – zu gewissen Anlaufschwierigkeiten. Mittlerweile wird der Markt jedoch immer liquider und vielfältiger, während die zuständigen Regulierungsbehörden daran arbeiten, praxistaugliche Kriterien für die Einstufung von Schuldtiteln als „grüne Anleihe“ festzulegen. Das sollte den Markt transparenter machen und Anlegern dabei helfen, fundierte Entscheidungen im Hinblick auf grüne Anleihen zu treffen.