Investitionen: Lassen Sie sich nicht vom ersten Eindruck täuschen
Bei neuen Situationen oder der ersten Begegnung mit einer Person machen wir uns in der Regel sehr schnell ein erstes Bild. Ob gut oder schlecht und ob wir es wollen oder nicht; dieses hat einen erheblichen Einfluss auf unsere Entscheidungen und unser Verhalten – wenn wir nicht aufpassen. Deshalb ist es wichtig, einen Schritt zurückzutreten und Abstand zu gewinnen. Denn ein falscher erster Eindruck kann dazu führen, dass wir gegen unsere eigenen Interessen handeln. Dies gilt auch für den Anlagebereich.
In den myLIFE-Artikeln zur Verhaltensökonomie haben Sie erfahren, dass Kauf- und Anlageentscheidungen immer das Resultat eines komplexen kognitiven Prozesses sind. Solche Entscheidungen sollten daher nicht leichtfertig getroffen werden. Im Grunde wissen wir, dass unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf bestimmte Eigenschaften oder Faktoren gelenkt wird, die eher unsere Gefühle als unser Urteilsvermögen ansprechen. Uns springen bestimmte Dinge ins Auge und es entsteht ein erster Eindruck, der unser Verhalten stark beeinflussen kann, meist ohne dass wir es merken.
Wir sind uns oft nicht bewusst, wie dieser erste Eindruck unser Denken beeinflusst, und nehmen an, nur logische Schlussfolgerungen gezogen zu haben. Können wir unsere Wahrnehmung für solche Situationen schärfen? Schauen wir uns an, wie wir sicherstellen können, dass wir nicht aufgrund eines ersten Eindrucks gegen unsere eigenen Interessen handeln.
Halo-Effekt
Gehören Sie zu den Menschen, die ein Buch nach seinem Einband beurteilen, ein Restaurant ausschließlich anhand seines Namens auswählen oder automatisch die neuesten Produkte Ihrer Lieblingsmarke kaufen? Vielleicht bringen Sie diese Beispiele zum Schmunzeln. Doch gewiss haben Sie schon einmal eine Person, der Sie zum ersten Mal begegnet sind, nach dem ersten Eindruck beurteilt. Wenn Sie Anleger sind, haben Sie vielleicht schon mal Aktien eines Unternehmens nur deshalb gekauft, weil Sie von den Ausführungen des charismatischen Gründers beeindruckt waren.
Diese sehr menschlichen Reaktionen sind das Ergebnis einer kognitiven Verzerrung, die als Halo-Effekt bezeichnet wird – und die jeder Anleger kennen sollte, um seine Interessen bestmöglich zu wahren. Der Halo-Effekt wurde erstmals im Jahr 1920 von dem US-amerikanischen Psychologen Edward L. Thorndike im Zusammenhang mit der verzerrten Beurteilung von Soldaten durch Offiziere beschrieben.
Thorndike stellte fest, dass diejenigen, die als attraktiver und körperlich stärker wahrgenommen wurden, durchweg bessere Noten von den Offizieren bekamen. Soldaten mit diesen Eigenschaften wurden also als intelligenter, fähiger und besser für eine Führungsrolle geeignet eingeschätzt. Die beurteilten Personen wurden allein aufgrund des ersten Eindrucks, der für die jeweiligen Aspekte nicht unbedingt relevant war, als besser oder schlechter eingestuft.
Durch den Halo-Effekt werden einer Person, einem Produkt oder einer Marke aufgrund eines ersten Eindrucks, der meist nur auf wenigen Aspekten beruht, weitere positive Eigenschaften zugeschrieben. Er beeinträchtigt unsere Wahrnehmung.
Durch den Halo-Effekt werden einer Person, einem Produkt oder einer Marke aufgrund eines ersten Eindrucks, der meist nur auf wenigen Aspekten beruht, weitere positive Eigenschaften zugeschrieben. Er beeinträchtigt unsere Wahrnehmung. Dies führt zu Urteilen, bei denen wir andere Kriterien, die für eine gute Entscheidung relevant sind, ignorieren oder ihnen eine geringere Bedeutung beimessen.
Der Halo-Effekt ist einer der Gründe, warum es nicht ratsam ist, eine einzige Person über den Ausgang eines Strafverfahrens entscheiden zu lassen. Denn dann bestünde ein größeres Risiko, dass sich diese Person – unbewusst – durch ein positives Auftreten des Angeklagten zu einem milderen Urteil verleiten lassen könnte. Sie haben Zweifel? Dies wurde wissenschaftlich nachgewiesen, insbesondere durch die Arbeiten von Sigall und Ostrove Mitte der 1970er Jahre1. Der Halo-Effekt ist vor allem im Zusammenhang mit Marken bekannt. Unternehmen nutzen ihn, um eine positive Wahrnehmung ihrer Produkte und Marken zu erzeugen. Das Ziel sind treue Kunden, die neue Produkte der jeweiligen Marke automatisch kaufen, ohne groß darüber nachzudenken. Und genau darum geht es: Eine positive Außenwirkung zu schaffen, die Ihr Urteilsvermögen stört und Sie zu einem Kaufverhalten veranlasst, das Sie sonst nicht an den Tag legen würden.
Dies erklärt, wie es Unternehmen wie Apple schaffen, eine Fangemeinde aufzubauen, die mitunter tagelang vor einem Geschäft übernachtet, um das neueste Modell der Marke zu ergattern. Und das, obwohl die Produkte manchmal teurer und nicht unbedingt besser sind als die der Wettbewerber. Dieser „Heiligenschein“ kann in Bezug auf die Marken, die Produkte und den CEO eines Unternehmens entstehen. Ähnlich verhält es sich an der Börse mit bestimmten Aktien, was dazu führen kann, dass eine solche über ihren wirklichen Wert steigt.
Horn-Effekt
Ebenso stark wie der Halo-Effekt ist auch dessen Gegenstück, der Horn-Effekt oder auch Teufelshörner-Effekt. Ein bekanntes Beispiel ist die Auswahl von Kandidaten anhand ihrer Lebensläufe. Ein Personalverantwortlicher, der unter dem Einfluss des Horn-Effekts steht, lehnt möglicherweise systematisch Kandidaten aufgrund von Kriterien ab, die für die zu besetzende Stelle und die damit verbundenen Kompetenzen völlig irrelevant sind. Deshalb sprechen sich manche für anonyme Lebensläufe aus, das heißt für Lebensläufe, in denen die Kompetenzen und Erfahrungen des Bewerbers dargestellt, aber keine Informationen angegeben sind, aus denen die Identität des Bewerbers hervorgeht. So sollen Ablehnungen aus diskriminierenden Gründen vermieden werden.
Beim Horn-Effekt wird eine Person, ein Unternehmen oder ein Produkt aufgrund einer einzigen wahrgenommenen negativen Eigenschaft verteufelt.
Beim Horn-Effekt wird eine Person, ein Unternehmen oder ein Produkt aufgrund einigen wenigen wahrgenommenen negativen Eigenschaften verteufelt. Ebenso wie der Halo-Effekt eine Aktie über ihren wirklichen Wert steigen lassen kann, ist es möglich, dass der Kurs einer Aktie durch den Horn-Effekt unter den wirklichen Wert des Unternehmens sinkt.
Eine Quelle der Volatilität
Der Halo- und der Horn-Effekt können die finanzielle Entscheidungsfindung der Anleger beeinflussen, die dadurch wichtige Informationen möglicherweise nicht berücksichtigen. So könnte es zum Beispiel sein, dass Sie vor zehn Jahren unerwartet Geld an der Börse verloren haben und nur aufgrund dieser einen schlechten Erfahrung nicht mehr investieren. Selbst wenn Sie heute nach einer gründlichen Analyse günstige Marktbedingungen erkennen würden, käme eine erneute Investition für Sie nicht infrage.
Umgekehrt könnten eine gute Marketingkampagne oder die inspirierende Rede eines CEO Ihnen den Eindruck vermitteln, dass das betreffende Unternehmen sehr solide aufgestellt ist, und Sie dazu verleiten, Aktien zu kaufen, ohne die Fundamentaldaten zu analysieren. Dass dies keine gute Idee ist, versteht sich von selbst. Mehrere Elemente können diese Effekte verstärken: Die übermäßige Berichterstattung über charismatische Führungspersönlichkeiten, die einseitige Darstellung von Informationen über Unternehmen in den sozialen Netzwerken usw.
Es passiert nicht nur den anderen
Nicht selten werden einseitige und manchmal auch die Tatsachen verzerrende Informationen über Unternehmen und deren wirtschaftliche Situation verbreitet. In einigen Fällen schaffen diese es sogar auf die Titelseiten. Diese mediale Präsenz kann zu Volatilität führen: In einem Moment werden ein Unternehmen und seine Aktionäre noch durch die rosarote Brille betrachtet, nur wenige – in Sekundenschnelle verbreitete – Tweets oder Posts später sieht es plötzlich ganz anders aus und sie werden durchweg negativ dargestellt. Dieses Phänomen ist schon länger bekannt.
Anfang 2011 war RIM eines der fünf angesehensten Unternehmen in Kanada. Dann führte eine technische Panne zu einem Systemausfall, von dem Millionen von BlackBerry-Benutzern betroffen waren und der dazu beitrug, dass das Unternehmen massiv an Wert verlor. Die Geschäftsleitung äußerte sich erst nach drei Tagen öffentlich zu dem Ausfall und entschuldigte sich. Dieser doppelte Patzer hatte einen enormen Vertrauensverlust für RIM zur Folge, woraufhin der Aktienkurs des Unternehmens zwischen März und Dezember 2011 um 75 % einbrach. Der Rückgang ist nicht mit einer deutlichen Verschlechterung der Fundamentaldaten zu erklären, sondern vielmehr mit dem Horn-Effekt, der durch diesen Vorfall hervorgerufen wurde.
Der Ölkonzern BP ist ein weiteres Beispiel für ein Unternehmen, das unter dem Gegenstück des Halo-Effekts litt. Auslöser waren die Katastrophe auf der Bohrinsel Deepwater Horizon im Jahr 2010 und die daraus resultierenden Gerichtsverfahren. Der Effekt wurde durch die Medien verstärkt. Dies wirkte sich auf das Verhalten von Investoren und Kunden gegenüber dem Unternehmen aus.
Bei einer Katastrophe kommt es in der Regel zu negativen Verzerrungen, wobei insbesondere die Führungsspitze des jeweiligen Unternehmens übermäßig kritisch betrachtet wird.
In solchen Situationen kommt es in der Regel zu negativen Verzerrungen, wobei insbesondere die Führungsspitze des jeweiligen Unternehmens übermäßig kritisch betrachtet wird. Oft wird der CEO, dessen Unternehmen in Schwierigkeiten steckt, wegen seiner angeblichen Inflexibilität oder Inkompetenz herabgewürdigt. Dies zeigt etwa der Fall des Unternehmens Cisco. Cisco Systems wurde in den späten 1990er Jahren für seine brillante Strategie, sein hervorragendes Akquisitionsmanagement und seine erstklassige Kundenorientierung gelobt. Als die Technologieblase im Jahr 2000 platzte, wurde das Unternehmen plötzlich für seine falsche Strategie, sein mangelhaftes Akquisitionsmanagement und seine schlechten Kundenbeziehungen kritisiert. Tatsächlich hatten sich die Fundamentaldaten von Cisco nicht grundlegend geändert, aber der Aktienkurs des Unternehmens, der lange Zeit von seiner als positiv gewerteten Zugehörigkeit zum IT-Sektor beflügelt wurde, litt stark unter dem Platzen der Dotcom-Blase und der nunmehr negativen Wahrnehmung dieses Sektors. Dies ist ein typisches Beispiel für eine Überbewertung infolge des Halo-Effekts, die später aufgrund des Horn-Effekts in eine Unterbewertung umschlug.
Es gibt auch eine starke Tendenz, eine Führungskraft aufgrund ihrer angeblichen Fähigkeiten mit einem Heiligenschein zu versehen, wenn es dem jeweiligen Unternehmen gut geht. Es ist erstaunlich, wie die über Social-Media-Kanäle verbreiteten Sprüche des charismatischen Elon Musk die Aktien seiner Unternehmen auf eine Achterbahnfahrt schicken können, obwohl seine Äußerungen im Grunde nichts mit den tatsächlichen Leistungen der Unternehmen zu tun haben.
Das Unternehmen vom CEO trennen
James Meindl und seine Kollegen haben in einer Reihe von Studien zum Thema Führung herausgefunden, dass die Worte, die zur Beschreibung von Führungskräften verwendet werden, stark von der aktuellen Leistung des jeweiligen Unternehmens abhängen. Wenn sich die Unternehmen gut entwickelten, wurden die Führungskräfte für ihre visionäre Stärke und ihre gute Kommunikation gelobt. Bei Unternehmen, die sich in Schwierigkeiten befanden, wurden die Chefs jedoch fast durchweg als zögerlich, strategisch unfähig oder unflexibel und arrogant dargestellt.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Halo-Effekt einen erheblichen Einfluss auf unsere Einschätzung der Leistung eines Unternehmen ausübt, unabhängig davon, ob es dabei um Erfahrungswerte, Daten aus empirischen Studien oder Umfragen oder um die Analyse von Medieninhalten geht. Eines bleibt festzuhalten: Es ist wichtig, Daten unabhängig voneinander zu betrachten und eine Möglichkeit zu finden, eine kritische Analyse auf Basis zuverlässiger Informationen durchzuführen, bevor man investiert.
So ist es gefährlich, seine gesamte Anlagestrategie auf ein einziges Merkmal bzw. eine einzige Person zu stützen. Um sich nicht durch den Halo- oder den Horn-Effekt blenden zu lassen, empfiehlt es sich, sich von Experten begleiten zu lassen und sich vor einer Anlage immer die folgenden Fragen zu stellen:
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- Verfüge ich über zuverlässige Informationen über die Leistung des Unternehmens? Falls dies nicht der Fall ist, sollten Sie recherchieren und die Meinung eines Spezialisten einholen.
- Worauf stützt sich meine Meinung? Wenn sie hauptsächlich auf einem oberflächlichen ersten Eindruck basiert, sollten Sie sich weiter informieren und Ihre Einschätzung überprüfen.
- Verfüge ich über die nötige Qualifikation und bin ich gut genug informiert, um mir eine fundierte und unbeeinflusste Meinung zu bilden? Beim Investieren sollte man sich immer darüber im Klaren sein, dass Demut ein Schlüssel zum Erfolg ist.
Ganz allgemein gilt: Man sollte Anlagen oder Unternehmen weder verherrlichen noch verteufeln. Außerdem ist es wichtig, dass Sie Ihr Anlageportfolio nüchtern und objektiv betrachten und Investitionen finden, die mit Ihrem Anlegerprofil, Ihren Wünschen und Zielen im Einklang stehen.
1 Sigall, H. & Ostrove, N. (1975). “Beautiful but dangerous: Effects of offender attractiveness and nature of the crime on juridic judgment”, Journal of Personality and Social Psychology, 31 (3), S. 410-414.