Ist Anlegen auf eigene Faust sinnvoll?
Zahlreiche Studien belegen: Wir messen selbstgemachten Dingen einen höheren Wert bei. Das gilt für einen selbst gebackenen Kuchen, selbst zusammengebaute Möbel und sogar für ein Anlageportfolio, das man selbst zusammengestellt hat. Doch ist es eine gute Idee, seine Finanzen in Eigenregie zu verwalten? Hat es Vorteile, sich selbst um den Aufbau seines Portfolios zu kümmern, oder erhöht dies im Gegenteil die Gefahr verzerrter Entscheidungen?
Die meisten von uns haben schon einmal etwas mit Lego-Steinen gebaut, besitzen Ikea-Möbel oder haben sich mit Origami beschäftigt. Das sind drei Beispiele, die veranschaulichen, warum Do-it-Yourself (DIY) im Trend liegt. DIY ist weit mehr als eine Modeerscheinung. Es handelt sich um eine starke Bewegung, die sich Marken zunutze machen. Der Grund? Wissenschaftliche Studien zeigen immer wieder, dass es Konsumenten mit Stolz erfüllt, wenn sie etwas mit den eigenen Händen geschaffen haben.
Dieses positive Gefühl hat allerdings auch eine Schattenseite. Wir entwickeln nicht nur eine emotionale Bindung zu Dingen, die wir entworfen oder zusammengebaut haben, sondern haben auch eine verzerrte Vorstellung von ihrem Wert. In der Verhaltensökonomie wird diese kognitive Verzerrung als Ikea-Effekt bezeichnet, da die bekannte schwedische Möbelhauskette die verkaufsfördernde Wirkung dieser Wertschätzung für Selbstgemachtes früh erkannte.
Wir entwickeln nicht nur eine emotionale Bindung zu Dingen, die wir selbst entworfen oder zusammengebaut haben, sondern haben auch eine verzerrte Vorstellung von ihrem Wert.
Dieser Effekt wurde erstmals 2011 von dem bekannten Verhaltensökonomen Dan Ariely und seinen Kollegen dokumentiert. Sie konnten den Ikea-Effekt für eine Vielzahl von Bereichen nachweisen.
Noch bevor er wissenschaftlich untersucht worden war, machten sich die Hersteller von Kuchen-Backmischungen den Ikea-Effekt in den 1950er Jahren zunutze. Die Backmischungen verkauften sich nach ihrer Einführung zunächst schlecht, da Hausfrauen als Kernzielgruppe sie als zu einfach empfanden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Auch wenn sich der fertige Kuchen als appetitlich und lecker erwies, wurde der Prozess der Zubereitung als unbefriedigend erlebt. Die Lösung der Hersteller bestand darin, die Eigenleistung zu erhöhen, zum Beispiel durch die Zugabe frischer Eier. Das Ergebnis: Dieses Maß an Eigenleistung reichte für den Erfolg, der bis heute anhält!
Ikea-Effekt – zwischen Selbstwirksamkeit und Rechtfertigung von Anstrengung
Menschen haben das psychologische Bedürfnis, sich kompetent und in der Lage zu fühlen, die ihnen übertragenen Aufgaben erfolgreich zu meistern. Alles, was ihnen ein positives Bild von sich vermittelt, wird von ihnen daher überbewertet. Genau das passiert beim Selbermachen. Wenn wir Möbel selbst zusammenbauen oder einen Kuchen backen, stärkt das nicht nur unser Selbstwirksamkeitsgefühl, sondern auch das Gefühl, die Kontrolle über unser Leben zu haben. Deshalb neigen wir dazu, selbstgemachte Dinge als viel wertvoller zu erachten, als sie tatsächlich sind.
Diese Überschätzung des Wertes hängt auch mit dem Mechanismus der Rechtfertigung von Anstrengung zusammen. Weil wir Zeit und Mühe aufwenden, um etwas zu erreichen, glauben wir meist, dass das Ergebnis unserer Arbeit wertvoll ist, selbst wenn dies nicht immer der Fall ist.
Wenn wir Zeit und Mühe aufwenden, um etwas zu erreichen, glauben wir meist, dass das Ergebnis unserer Arbeit wertvoll ist.
Im Grunde ist es nicht verkehrt, Dinge selbst erledigen und stolz auf seine Arbeit sein zu wollen. Dabei ist es jedoch wichtig, das Ergebnis im Blick zu behalten und wachsam gegenüber Anbietern zu bleiben, die versuchen, den Ikea-Effekt für ihre Zwecke zu nutzen. Dieser ist nämlich eng mit kognitiven Verzerrungen wie der Selbstüberschätzung, Überbewertung, übertriebenen Bindung und übermäßigem Optimismus verbunden.
Treue myLIFE-Leser werden es bemerkt haben: Das sind genau die Elemente, die unerfahrene Anleger zu emotionsgetriebenen Entscheidungen und Anlagefehlern verleiten können. Sollte man deshalb davon absehen, sein Anlageportfolio selbst zusammenzustellen?
Der Ikea-Effekt bei der Geldanlage
Nicht nur beim Kauf von Produkten ist es hilfreich, sich über den Ikea-Effekt im Klaren zu sein, um gute Kaufentscheidungen treffen zu können. Ob dieser Effekt negative Folgen für die Geldanlage haben kann, ist ebenfalls eine wichtige Frage. Das gilt umso mehr, da es noch nie so einfach war wie heute, ein eigenes Portfolio aufzubauen. Die Geldanlage in Eigenregie ist dank der digitalen Möglichkeiten nicht nur bei jungen, sondern auch bei älteren Anlegern sehr beliebt, die ihre Gewohnheiten im Zuge der Corona-Krise verändert haben. Gibt es Grund zur Sorge?
Forscher haben untersucht, wie sich der Ikea-Effekt bei Anlegern auswirkt, die sich eigenständig um ihre Geldanlage kümmern. In einer 2022 veröffentlichten Studie wurde analysiert, ob der Aufbau eines eigenen Portfolios das Auftreten des Ikea-Effekts begünstigt und, falls dies der Fall ist, welchen Einfluss dies auf die Anlageentscheidungen hat. Grundlage der Studie war eine Stichprobe von 500 Teilnehmern jeder Altersgruppe mit einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis.
Tatsächlich zeigte sich, dass die Studienteilnehmer, die ihr Portfolio selbst erstellt hatten, eine stärkere Bindung zu ihrem Portfolio hatten als zu einem ähnlichen Portfolio, das ihnen bereitgestellt worden war. Die Forscher fanden jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Bewertungen der selbst zusammengestellten Portfolios und denen der nicht selbst zusammengestellten Portfolios. Die Stabilität der Ergebnisse führte sogar zu der Schlussfolgerung, dass es keinen wirtschaftlich bedeutsamen Ikea-Effekt für Anlageportfolios gibt. Die Teilnehmer hatten keine verzerrten Überzeugungen hinsichtlich der fundamentalen Qualität der selbst zusammengestellten Portfolios (d. h. hinsichtlich der erwarteten Rendite und des erwarteten Risikos), und es wurde kein psychologischer Effekt in Verbindung mit dem DIY-Phänomen beobachtet, der zu einer Überbewertung der Portfolios führen könnte.
Zwar fühlten sich die Anleger ihrem selbst zusammengestellten Portfolio stärker verbunden, dies wirkte sich jedoch nicht auf ihre Bewertungen und Handelsentscheidungen aus.
Zwar fühlten sich die Anleger ihrem selbst zusammengestellten Portfolio stärker verbunden, dies wirkte sich jedoch nicht auf ihre Bewertungen und Handelsentscheidungen aus. Dieses Ergebnis überrascht zunächst einmal, erklärt sich aber dadurch, dass ein Finanzportfolio kein Gut ist wie jedes andere.
Eher abstraktes Mittel als eigentlicher Zweck
Ein Finanzportfolio ist sehr abstrakt, weshalb es sich kaum dazu eignet, die eigene Kompetenz anderen gegenüber zu demonstrieren. Anders als bei einem Möbelstück, das gut sichtbar im Wohnzimmer platziert wird, oder einem auf dem Tisch stehenden Kuchen, sind bei einem Finanzportfolio die Möglichkeiten, seine Kompetenz nach außen zu zeigen, sehr begrenzt.
Darüber hinaus stellen Finanzportfolios selten einen Selbstzweck dar und gehören zur Kategorie der sogenannten Vorleistungs- und Gebrauchsgüter. Es dient als Mittel, um etwas anderes zu erhalten oder zu erreichen. Es ist erwiesen, dass diese Güter, die einem anderen Zweck dienen, eine rationalere Entscheidungsfindung des Einzelnen begünstigen.
Dies legt nahe, dass selbst zusammengestellte Portfolios ein geeignetes Instrument für Anleger sein können, um ihre Geldanlage individuell nach ihren Wünschen zu gestalten. Sie könnten sogar Lernprozesse anregen und die Beteiligung von Privatanlegern an den Börsen erhöhen, ohne dass dies zu vorübergehenden Fehlbewertungen führt. Die engere Bindung zu einem Anlageportfolio, das man selbst erstellt hat, ist nicht per se negativ. Es sind jedoch zwei Einschränkungen zu beachten, bevor man voreilige Schlüsse zieht:
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- Das Experiment wurde unter einer vielfältigen Gruppe von Teilnehmern durchgeführt, die jedoch alle bereits über Anlageerfahrung verfügten.
- Es gibt noch zahlreiche andere kognitive Verzerrungen, die die Entscheidungen von Anlegern beeinflussen können, und viele gute Gründe, sich von Anlageexperten beraten zu lassen.
Do-it-Yourself-Anlegen ist nicht für jeden das Richtige. Bevor Sie eine Entscheidung treffen, ist es hilfreich, darüber nachzudenken, was dafür und was dagegen spricht. Darüber hinaus empfehlen wir Ihnen, die möglichen Optionen in Ruhe mit Ihrem Bankberater zu besprechen.
Do-it-Yourself-Anlegen: Pro und Contra
Ihr Anlageportfolio selbst zusammenzustellen, kann eine Option sein, wenn Sie:
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- über eine gute Finanzbildung verfügen oder bereit sind, Zeit zu investieren, um sich das entsprechende Wissen anzueignen
- Ihr Portfolio als Mittel und nicht als Selbstzweck betrachten, da Sie sonst Gefahr laufen, eine verzerrte Vorstellung von seinem wirklichen Wert zu entwickeln
- nicht zu Selbstüberschätzung oder übermäßigem Optimismus neigen und sich der kognitiven Verzerrungen bewusst sind, die Ihre Entscheidungen beeinflussen
- es als bereichernd empfinden, die Ergebnisse Ihrer eigenen Anstrengungen zu sehen
Ihr Anlageportfolio selbst zusammenzustellen, ist nicht empfehlenswert, wenn Sie:
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- Ihr Portfolio wie ein neues Auto zur Schau stellen wollen (dieser Demonstrationseffekt trübt das Urteilsvermögen)
- neu in der Welt der Kapitalanlagen sind
- nicht bereit sind, Zeit und Mühe in die Aneignung von Wissen zu investieren
Sofern Sie nicht über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrung verfügen, um sich selbst um Ihre Geldanlage zu kümmern, ist es in jedem Fall sinnvoll, sich von Experten begleiten zu lassen.