ESG-Ratings – ihr Mehrwert und ihre Grenzen
Wenn Unternehmen die ökologischen und sozialen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit vernachlässigen, kann ihnen das finanziell schaden. Jeder Anleger mit einem langfristigen Anlagehorizont will darauf vertrauen können, dass ein Unternehmen nachhaltig mit Ressourcen und achtsam mit seinen Mitarbeitenden umgeht und dass sein Geschäftsmodell nicht vom Klimawandel bedroht wird. Die Analyse von ESG-Faktoren ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil jeder glaubwürdigen Anlagestrategie.
Es besteht jedoch keine allgemeine Einigkeit darüber, wie solche Nachhaltigkeitsaspekte zu bewerten sind. Unternehmen können ihren Nachhaltigkeitsansatz zwar selbst präsentieren, doch Anleger sind sich zunehmend bewusst, dass es dabei zu Greenwashing kommen kann. Die Durchführung unabhängiger ESG-Analysen ist jedoch kostspielig und arbeitsaufwendig. Es dauert eine gewisse Zeit, internes Fachwissen aufzubauen, und für kleinere Investmentfirmen mit einem eher knappen Budget kommt diese Option sicherlich nicht in Frage.
Externe ESG-Ratings bieten eine Lösung für dieses Problem. Anleger stützen sich inzwischen auf spezialisierte Dienstleister, um die Fähigkeit von Unternehmen und Fonds zum Umgang mit ESG-Risiken zu bewerten. Die ESG-Rating-Branche ist daher im Laufe der letzten Jahre enorm gewachsen. Zugleich nehmen die Anforderungen an die Offenlegung von Nachhaltigkeitsdaten in Europa und in anderen Ländern zu. Auch deshalb werden Rating-Agenturen immer wichtiger, denn sie sind in der Lage, neue Informationen zu verarbeiten und zu interpretieren.
Mittlerweile werden ESG-Ratings von vielen großen Ratingagenturen und Finanzanalysten angeboten, darunter Morningstar, Bloomberg, Moody’s, MSCI und S&P Global. Sie liefern Ratings sowohl für einzelne Portfoliounternehmen wie Novo Nordisk oder L’Oreal als auch für einige der Fonds, die in diese Unternehmen investieren.
Ein Vorstoß für mehr Einheitlichkeit am Rating-Markt
Man sollte ESG-Ratings jedoch nicht als Wundermittel betrachten. Im Februar 2024 erzielte die Europäische Union eine vorläufige Einigung mit Blick auf die geplante Regulierung von Ratingagenturen, die die Nachhaltigkeitsmerkmale von Unternehmen und Fondsportfolios bewerten. Der vorgelegte Vorschlag für eine Verordnung zu ESG-Ratings kann als eine Art Eingeständnis betrachtet werden, dass die unterschiedlichen Ratingansätze zu einer überkomplexen und unübersichtlichen Informationslage geführt haben, statt Klarheit für die Anleger zu schaffen, und dass daher einheitliche Rahmenrichtlinien erforderlich sind.
Der Vorschlag der EU für eine Verordnung zu ESG-Ratings kann als eine Art von Eingeständnis betrachtet werden, dass die unterschiedlichen Ratingansätze zu einer überkomplexen und unübersichtlichen Informationslage geführt haben, statt Klarheit für die Anleger zu schaffen, und dass daher einheitliche Rahmenrichtlinien erforderlich sind.
In ihrem ersten Vorschlagsentwurf aus dem Jahr 2023 stellte die Europäische Kommission fest: „Der derzeitige ESG-Rating-Markt leidet jedoch unter Mängeln und funktioniert nicht ordnungsgemäß, da die Anforderungen der Anleger und bewerteten Unternehmen an ESG-Ratings nicht erfüllt werden und das Vertrauen in die Ratings untergraben wird.“
Martin Moloney, Generalsekretär der International Organization of Securities Commissions, äußert sich unterdessen wie folgt zum Thema: „ESG-Ratings sind zu einem wichtigen Instrument bei Investitionsentscheidungen geworden, [aber] unbekannte Methoden, versteckte Datenquellen und unklare Bewertungsprozesse gefährden die Grundlage des Vertrauens.“
Gemäß den neuen Vorschriften, die voraussichtlich 2026 oder sogar 2027 in Kraft treten werden, müssen die Rating-Agenturen ihre Methoden offenlegen und bei der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde zur Genehmigung vorlegen. Das übergeordnete Ziel ist es, Transparenz und Kohärenz auf dem Markt zu gewährleisten. Die Vorschriften sollen auch für Finanzinstitute gelten, die Ratings im Rahmen ihrer Vermarktung anbieten. Die Methoden und Datenquellen der verschiedenen Rating-Agenturen können sich zwar weiterhin voneinander unterscheiden, doch die Anleger sollen künftig zumindest besser nachvollziehen und einordnen können, wie die jeweiligen Bewertungen zustande kommen.
Nachhaltigkeitsbezogene Risiken
Privatanleger und professionelle Anleger können externe ESG-Ratings nutzen, um die nachhaltigkeitsbezogenen Risiken von Investitionen in bestimmte Unternehmen oder Fonds zu verstehen. Sie sollen eine unabhängige Bewertung ermöglichen, damit Anleger nicht auf die Selbstbewertung von Unternehmen und Fonds in Bezug auf Nachhaltigkeitsrisiken angewiesen sind.
ESG-Ratings unterscheiden sich deutlich von regulatorischen Vorgaben für die Messung der Nachhaltigkeit von Unternehmen oder Fonds. Fonds, die in Europa vertrieben werden, müssen vom jeweiligen Promoter gemäß Artikel 6, 8 oder 9 der Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor klassifiziert werden – je nachdem, ob sie Nachhaltigkeitsmerkmale aufweisen bzw. ein nachhaltigkeitsbezogenes Ziel anstreben oder nicht.
Die Ansätze der Rating-Agenturen unterscheiden sich sehr stark voneinander. Einige ESG-Ratings zur Bewertung von Investmentfonds sind größtenteils qualitativ und basieren auf ausführlichen Gesprächen mit dem Fondsmanager und dem Nachhaltigkeitsteam über den angewandten Prozess und das Ausmaß der ESG-Integration in die tägliche Portfolioverwaltung. Andere betrachten einfach die Bewertungen der zugrunde liegenden Vermögenswerte und ermitteln davon ausgehend eine Gesamtbewertung für das Portfolio. Die meisten ESG-Fonds kombinieren beide Ansätze.
Beide Ansätze sind legitim, doch sie können zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen. So kann es vorkommen, dass Unternehmen mit hohen und niedrigen Bewertungen in ein und demselben Fondsportfolio vertreten sind. Das wirkt sich entsprechend auf das Fondsrating aus, wenn es anhand der Einzelbewertungen der Portfoliounternehmen berechnet wird. Ein Windpark kann nach diesem Prinzip beispielsweise einen Ausgleich für ein Tabakunternehmen oder einen Kraftstoffhändler darstellen. Andererseits kann man mit Fug und Recht behaupten, dass qualitative Ansätze einem weniger harmonisierten Ansatz unterliegen, da sie keiner strikten Bewertungsmethodik folgen und je nach dem, wer die Prüfung durchführt, den Begleitumständen usw. erheblich variieren können.
Einige Fondsgesellschaften haben sowohl ESG-Ratings als auch Corporate-Responsibility-Ratings, mit denen bewertet wird, ob und inwiefern das Unternehmen verantwortungsvoll geführt wird.
Einige Fondsgesellschaften haben unter Umständen sowohl ESG-Ratings als auch Corporate-Responsibility-Ratings, die ihre verantwortungsvolle Unternehmensführung bewerten. ESG-Ratings bescheinigen einer Fondsgesellschaft, dass sie bei der Analyse von ESG-Risiken hält, was sie verspricht. Ein Verantwortungsrating bezieht unterdessen mehrere Faktoren ein (z.B. Ausschlüsse, Nachhaltigkeit und die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit) und bewertet Fonds anhand von breiter gefassten Zielen.
ESG-Ratings auf Unternehmensebene
Verschiedene Rating-Agenturen setzen unterschiedlich stark auf qualitative und quantitative Daten, um Risiken in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung zu beurteilen, die die langfristige Rentabilität eines Unternehmens potenziell bedrohen. Einige Agenturen bieten eine spezifische Unternehmensbewertung an, während andere lediglich standardisierte Daten auf Unternehmensbasis zusammenstellen und es dem Anleger überlassen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Jede Agentur verfolgt einen anderen Ansatz und die Auswahl der Bewertungsfaktoren unterscheidet sich je nach Ansatz leicht voneinander. So kann auch das Ergebnis bei der Bewertung der Unternehmen sehr unterschiedlich ausfallen. Ein oft angeführtes Beispiel ist der Autohersteller Tesla: Aufgrund seiner Vorreiterrolle und seiner Marktführerschaft auf dem expandierenden Markt für Elektroautos wird das Unternehmen von einigen Agenturen hoch bewertet. Andere wiederum sehen Kontroversen im Bereich der Unternehmensführung bei Tesla als Grund für eine Herabstufung und verweisen dabei unter anderem auf die allzu dominante Rolle von Elon Musk als Gründer, CEO und Hauptaktionär. Im Jahr 2022 wurde Tesla zudem von S&P Global aus dem nachhaltigen Äquivalent des S&P 500 gestrichen. Anlass für diesen Schritt war der unangemessene Umgang des Autoherstellers mit staatlichen Ermittlungen in Bezug auf die Sicherheit seiner Fahrassistenzsysteme und mit Vorwürfen über schlechte Arbeitsbedingungen in seiner Fabrik in Fremont, Kalifornien.
Ein ESG-Rating ergibt sich stets aus der Kombination mehrerer Faktoren. Ein Ölkonzern mit einer guten Unternehmensführung und Beschäftigungspolitik könnte also durchaus besser abschneiden als ein Technologieunternehmen, das den Aktionären eine wirksame Kontrolle seiner Geschäftstätigkeit verweigert oder eine schlechte Bilanz mit Blick auf Arbeitnehmerrechte aufweist. CO2-Emissionen sind lediglich ein Bestandteil, der neben anderen Faktoren in die Bewertung einfließt – was zu überraschenden Ergebnissen führen kann.
Es gilt das Prinzip der Wesentlichkeit: Ratingagenturen treffen eine Einschätzung darüber, wie relevant verschiedene Faktoren aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung für ein bestimmtes Unternehmen sind, und gewichten diese Faktoren dementsprechend bei der Bewertung des Unternehmens. Die Gewichtung kann je nach Größe und Sektor des Unternehmens variieren. Im Bankensektor wird sozialen Auswirkungen und der Unternehmensführung beispielsweise tendenziell eine größere Bedeutung beigemessen als Umweltfragen. Jede Agentur legt ihre eigenen Gewichtungen fest. So kann es dazu kommen, dass ein und dasselbe Unternehmen – je nachdem, wie relevant ein bestimmter Aspekt nach Einschätzung der verschiedenen Agenturen ist – sehr unterschiedliche Gesamtbewertungen erhält.
Die Bedeutung von Informationen für Anleger
Ratings haben ihre Schwächen, aber sie sind dennoch eine wichtige Informationsquelle für Anleger. Sie bieten eine unabhängige Bewertung von Unternehmen im Hinblick auf ihren Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken oder reflektieren die Einschätzung eines Fondsmanagers zu den Risiken, denen sein Portfolio ausgesetzt ist. Unternehmen berichten, dass sich Anleger zunehmend nach ihren ESG-Ratings erkundigen, bevor sie ihre Investitionsentscheidungen treffen.
Anleger müssen den Rating-Anbieter finden, der ihre Werte am besten widerspiegelt und der aus ihrer Sicht die verlässlichsten Bewertungen liefert. Mittlerweile zeichnen sich neue Lösungen für diese Herausforderung ab: So bewerten einige Umweltorganisationen etwa ihrerseits die Arbeit von Rating-Agenturen und empfehlen bestimmte Anbieter. Der Nachhaltigkeitsberater ERM veröffentlicht jedes Jahr eine Auswertung von ESG-Ratings, die auf den Einschätzungen der Ratingnutzer beruht.
Fondsratings und Unternehmensratings werden wahrscheinlich weiter an Bedeutung gewinnen und neue Rechtsvorschriften in der EU und in anderen Ländern dürften dazu beitragen, dass solche Bewertungen zukünftig noch transparenter werden. Bis dahin sollten Anleger jedoch selbst etwas Zeit investieren und diejenigen Rating-Anbieter ausmachen, deren Ansätze am besten mit ihren Zielen übereinstimmen.