Versunkene Kosten: Was uns Grabwespen über Anlagen verraten
Das britisch-französische Überschall-Passagierflugzeug Concorde war zweifelsohne eine beeindruckende Ingenieursleistung. Aus wirtschaftlicher Sicht war das Projekt jedoch ein Desaster. Während sich das ursprüngliche Budget auf rund 70 Millionen Pfund belief, kostete die Entwicklung des Flugzeugs die britischen und französischen Steuerzahler infolge erheblicher Kostenüberschreitungen und Verzögerungen letztendlich 1,3 Milliarden Pfund (heute circa 6 Milliarden Pfund).
Aufgrund der Lärmbelästigung durch den Überschallknall ausgesprochene Flugbeschränkungen hatten zur Folge, dass die Einnahmen die Entwicklungskosten nie decken konnten. Es wurden nur 20 Flugzeuge gebaut, von denen gerade einmal 14 den Flugbetrieb aufnahmen. Besiegelt wurde das Schicksal der Concorde dann durch einen spektakulären Absturz einer Maschine in einem Pariser Vorort, bei dem alle Passagiere und Crew-Mitglieder ums Leben kamen.
Der Concorde-Trugschluss
Für Wissenschaftler stellt das Projekt Concorde jedoch ein aussagekräftiges Fallbeispiel dar. Der Evolutionsbiologe, überzeugte Atheist und Autor von Der Gotteswahn, Dr. Richard Dawkins, schreibt in seinem Artikel „Do digger wasps commit the Concorde Fallacy?“:„Der Concorde-Trugschluss ist ein berühmt-berüchtigter theoretischer Irrtum, der Ökonomen und Evolutionisten gleichermaßen reizt. Er besagt, dass weitere Investitionen in ein Projekt nicht aufgrund einer möglichen künftigen Kapitalrendite getätigt werden, sondern ausschließlich weil in der Vergangenheit bereits viel investiert wurde.“
Richard Dawkins interessierte sich für die Neigung von Grabwespen, viel Energie und umfangreiche Ressourcen auf die Verteidigung ihrer Nester zu verwenden – und zwar insbesondere bei Nestern, die sie seit geraumer Zeit nutzten –, obwohl der Bau eines neuen Nests weniger Aufwand bedeutet hätte. Der Begriff „Concorde-Trugschluss“ ist im Laufe der Zeit zu einer Bezeichnung für Situationen geworden, in denen Tiere oder Menschen eine Anlage, sei es nun ein Geschäft oder ein Nest, auch dann verteidigen, wenn die Aufgabe der Investition oder die Suche nach einer Alternative effizienter wäre.
Der Standpunkt der politischen Entscheidungsträger und der Ingenieure des Concorde-Projekts sei folgender gewesen: „Wir haben schon so viel in die Concorde investiert, dass wir das Projekt nun nicht mehr aufgeben können“. Laut Dawkins hätten sie sich jedoch fragen sollen, ob mit dem Betrieb der Concorde die Entwicklungskosten wieder hätten gedeckt werden können, und das Projekt trotz der bereits investierten Mittel beenden sollen.
„Der Concorde-Trugschluss ist ein berühmt-berüchtigter theoretischer Irrtum, der Ökonomen und Evolutionisten gleichermaßen reizt. Er besagt, dass weitere Investitionen in ein Projekt nicht aufgrund einer möglichen künftigen Kapitalrendite getätigt werden, sondern ausschließlich weil in der Vergangenheit bereits viel investiert wurde.“ Richard Dawkins
Psychologische Loyalität
„Selbst wenn die psychologische Loyalität, die wir gegenüber einem Projekt empfinden, in das wir in der Vergangenheit viel investiert haben, noch so groß ist, müssen kluge strategische Entscheidung doch auf den Aussichten auf künftige Erträge und nur indirekt auf dem Umfang eines früheren Engagements fußen.“
Für die Finanzmärkte wurden aus dem Concorde-Trugschluss zwei Lehren gezogen. Die erste bezieht sich auf versunkene Kosten, d. h. Mittel, die bereits investiert wurden und nicht wieder zurückerlangt werden können. Diese Kosten dürfen bei der objektiven Beurteilung der künftigen Tragfähigkeit eines Projekts oder Geschäfts keine Rolle spielen.
Die Versuchung ist groß, die Investitionen als zu umfangreich zu betrachten, um das Projekt aufzugeben. In Wahrheit besteht die Gefahr der Berücksichtigung dieser versunkenen Kosten jedoch darin, dass die Entscheidung auf der Grundlage von emotionalen statt rationalen Gesichtspunkten erfolgt. Dies kann im Gegensatz zu zukunftsgerichteten Investitionen dazu führen, dass sich in der Vergangenheit begangene Fehler verstärken.
Die zweite Lehre bezieht sich auf das Problem einer zu starken emotionalen Bindung an ein bestimmtes Projekt. Für die Regierungen von Großbritannien und Frankreich bekam das Concorde-Projekt eine derart starke emotionale Bedeutung, dass Entscheidungsprozesse gestört und wirtschaftliche Argumente außer Acht gelassen wurden.
Echte Erfolgschancen?
Unternehmen und insbesondere kleine stehen seit jeher vor diesem Problem. Es gibt zwar Beispiele, in denen eine hartnäckige Realitätsverweigerung Unternehmern dabei geholfen hat, schwierige Zeiten zu überstehen oder kreative Lösungen zu entwickeln. Doch diese Beispiele sind selten und spielen angesichts der Zahl der Fälle, in denen diese Einstellung in der Pleite endete, kaum eine Rolle. Unternehmer müssen sich daher fragen, ob ihnen die Situation eine echte Chance auf Erfolg bietet oder ob sie lediglich eine Gelegenheit bietet, zu kämpfen.
Im Anlagebereich beziehen sich versunkene Kosten darauf, dass Anleger Entscheidungen auf der Grundlage von Research und Kapital treffen, das sie bereits für eine Anlage aufgewendet haben, und nicht auf Basis von deren Zukunftsperspektiven.
Nun scheint es so, als wären diese beiden Lehren vornehmlich für Entscheidungen in Unternehmen wichtig. Sie spielen jedoch auch bei der Auswahl von Anlagen eine große Rolle. Im Anlagebereich beziehen sich versunkene Kosten darauf, dass Anleger Entscheidungen auf der Grundlage von Research und Kapital treffen, das sie bereits für eine Anlage aufgewendet haben, und nicht auf Basis von deren Zukunftsperspektiven.
Anleger können zum Beispiel eine bestimmte Aktie ins Herz geschlossen haben. Der Titel mag zum Zeitpunkt der Anlage eine hervorragende Wahl gewesen sein sowie sich gut entwickelt und deutliche Zuwächse verzeichnet haben. Doch während sich Anleger zu Recht für kluge Anlageentscheidungen beglückwünschen dürfen, kann sie dies in Bezug auf die Zukunftsperspektiven eines bestimmten Unternehmens blind machen.
Das Schicksal von Unternehmen ist nicht in Stein gemeißelt, vor allem da technologische Entwicklungen in bedeutenden Wirtschaftszweigen für Umwälzungen sorgen können. Ein Unternehmen, das heute erfolgreich ist, muss dies nicht zwangsläufig auch morgen noch sein. Selbst wenn der Ausblick für ein Unternehmen stabil geblieben ist, kann es sich aufgrund von Bewertungsänderungen um eine schlechte Anlage handeln.
Kriterien definieren
Es kann auch passieren, dass Anleger nicht bereit sind, sich eigene Fehler einzugestehen. Da sie eine Anlage auf der Grundlage von fundiertem Research und gesundem Urteilsvermögen getätigt haben, ist es möglicherweise schwierig, ein mangelhaftes Urteil einzuräumen. Anstatt Verluste zu begrenzen und nach anderen Anlagen Ausschau zu halten, setzen sie dann weiterhin auf einen bestimmten Titel und riskieren, bei weiteren Kursverlusten noch mehr Geld zu verlieren. Auch hier legt der Anleger einen größeren Schwerpunkt auf bereits getätigte Anlagen, und es widerstrebt ihm, nach den Gründen dafür zu suchen, warum der Ausblick eines Unternehmens nicht mehr den eigenen Erwartungen entspricht.
Doch diese Probleme lassen sich mindern. Eindeutige Ziele festzulegen kann dabei helfen, Kriterien für Kauf- und Verkaufsentscheidungen zu bestimmen. So kann sich ein Anleger zum Beispiel gleich bei der Anlage vornehmen, bei einem bestimmten Titel Gewinne mitzunehmen, wenn ein vorher definierter Zielkurs erreicht wird, oder einen Titel zu veräußern, wenn der Kurs unter ein bestimmtes Niveau sinkt. Menschen fällt es in der Regel schwer, Emotionen bei Entscheidungsprozessen auszublenden. Vorher festgelegte Regeln einzuhalten, kann sich daher als hilfreich erweisen.
Und wie ist es für die Grabwespen ausgegangen? Nicht so schlimm wie erwartet. Denn es hat sich herausgestellt, dass es Gründe für ihre Strategie gibt und diese ihnen eine evolutionäre Stabilität ermöglicht hat. Das ist jedoch etwas anderes als Gewinnen und keinesfalls als Unterstützung für den Concorde-Trugschluss anzusehen. Der letzte Flug einer Concorde fand im Jahr 2003 nach 27 Jahren im Einsatz statt – das allein sollte eine Lehre sein.