Bedrohungen und Chancen unseres Jahrhunderts: Dekarbonisierung
Die Internationale Energieagentur (IEA) hat kürzlich erklärt, dass die Kohlendioxidemissionen 2019 ihren Höhepunkt erreicht haben. „Nach zwei Jahren des Anstiegs blieben die globalen Treibhausgasemissionen im Jahr 2019 unverändert bei 33 Gigatonnen, und das trotz eines Weltwirtschaftswachstums von 2,9 %. Zurückzuführen war dies insbesondere auf rückläufige Emissionen aus der Stromerzeugung in Industrieländern – dank der steigenden Bedeutung erneuerbarer Energiequellen (vor allem Windkraft und Solarenergie) – sowie auf die Brennstoffumstellung von Kohle auf Erdgas und eine vermehrte Stromerzeugung aus Kernkraft. Eine Rolle spielten auch das mildere Wetter in verschiedenen Ländern und das langsamere Wirtschaftswachstum in einigen Schwellenländern1”.
Vielversprechende Anzeichen
Wir werden sicherlich Daten für einen längeren Zeitraum als ein Jahr benötigen, um diese Entwicklung zu bestätigen, es handelt sich dabei jedoch um ein vielversprechendes Anzeichen. Es belegt, dass sich die Industrieländer trotz der (vorübergehend) fehlenden Führung der USA in Sachen Klimawandel in die richtige Richtung bewegen. Aus wirtschaftlicher Sicht überrascht es nicht, dass die meisten erfolgreichen Unternehmen weltweit auf kostenlose Energiequellen wie Windkraft und Solarenergie umsteigen. Letzten Endes ist es immer schön, daran erinnert zu werden, dass Unternehmen rational handeln.
Das sind vielversprechende erste Anzeichen. Jetzt müssen wir es schaffen, jedes Jahr ein Stück voranzukommen, um die Forderungen der Wissenschaft zu erfüllen: Die Wirtschaft muss dekarbonisiert werden, um ein Experiment mit unumkehrbaren Folgen für das Weltklima zu verhindern.
Lassen Sie sich hier nicht verwirren. Wenn wir von „Dekarbonisierung“ sprechen, müssen wir zwischen dem „schädlichen Kohlendioxid in der Luft und dem unbedenklichen Kohlenstoff im Boden“ unterscheiden2. Kohlenstoff ist ein Grundbaustein des Lebens. Das eigentliche Problem besteht darin, dass Kohlenstoff aus dem Boden (aus Kohle und Erdöl) und durch die Abholzung von Wäldern in die Luft und in die Weltmeere umverteilt wird.
Wir brauchen Anreize für Regelungen und staatlich geförderte Forschungs- und Entwicklungsprogramme, um den Wandel zu forcieren, damit diese Technologien skalierbar und zugänglich werden.
Neben Mechanismen zur industriellen CO2-Abscheidung und -Speicherung werden Technologien entwickelt, die der Atmosphäre CO2 entziehen, indem sie den Photosynthesevorgang nachahmen. Die Kosten der Dekarbonisierung sind nicht in allen Sektoren wettbewerbsfähig, und die Bemühungen werden – derzeit – nicht von den vorherrschenden Technologien unterstützt. Wir brauchen Anreize für Regelungen und staatlich geförderte Forschungs- und Entwicklungsprogramme, um den Wandel zu forcieren, damit diese Technologien skalierbar und zugänglich werden.
Eine Wirtschaft, die weniger auf Kohlenstoff setzt
Wenn wir unsere CO2-Bilanz betrachten, wird das Modell unseres Energieverbrauchs unweigerlich auf mehreren Ebenen in Frage gestellt. Laut dem Climate Accountability Institute sind die 20 Unternehmen mit dem höchsten Verbrauch an fossilen Brennstoffen für 35 % aller CO2-Emissionen seit 1965 verantwortlich. Nach Aussage der Forscher ist jedes dieser Unternehmen zu einem gewissen Grad verantwortlich für die wissentliche Beschleunigung der Klimakrise trotz belastbarer wissenschaftlicher Belege. Michael Mann, einer der weltweit führenden Klimaforscher, meint dazu: „Es ist ein großes moralisches Versagen unseres politischen Systems, dass wir dies zugelassen haben“. Ein stetiger Druck auf diese großen Ölkonzerne, damit diese ihre CO2-Emissionen nicht weiter steigern und so schnell wie möglich mehr in erneuerbare Energien investieren, könnte dazu beitragen, die Klimakrise einzudämmen, bevor es zu spät ist.
Im Grunde sind CO2-Emissionen externe Effekte. Während der vergangenen 200 Jahre musste die Menschheit nicht für die Umweltverschmutzung bezahlen, und ein Großteil des Wirtschaftswachstums war eng mit dem Verbrauch von Energie verbunden, die aus Kohlenwasserstoffen erzeugt wurde. Daher vervielfachten sich die vom Menschen verursachten CO2-Emissionen. Die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit und Umweltaspekten bedrohen die Zukunftsfähigkeit der alten Geschäftsmodelle, bei denen dies in Kauf genommen wurde.
Eine wichtige Strategie zur Eindämmung von Treibhausgasemissionen besteht darin, das BIP- und Bevölkerungswachstum vom Kohlenstoffverbrauch zu entkoppeln.
Um den Klimawandel in den Griff zu bekommen, müssen die Emissionen verringert werden. Wenn sowohl die Zahl der Kraftfahrzeuge, die Ölförderung, der Fleischkonsum als auch die Bevölkerung künftig nicht weiter wachsen, wird dies einen Beitrag leisten. Gleichzeitig muss der Energiesektor umstrukturiert werden. Eine wichtige Strategie zur Eindämmung von Treibhausgasemissionen besteht darin, das BIP- und Bevölkerungswachstum vom Kohlenstoffverbrauch zu entkoppeln. Kohlenstoff ist jedoch kein herkömmlicher Rohstoff, sondern eher ein politisches Instrument. Höchstwahrscheinlich wird es also auf eine Besteuerung weltweiter Umweltsünder hinauslaufen, d. h. für die Verbrennung von Kohlenstoff werden künftig Kosten anfallen.
Ein geeignetes Preissignal für die Umweltverschmutzung
Aktuell ist das Emissionshandelssystem der Europäischen Union (EU ETS) das wichtigste Instrument, mit dem eine kostengünstige Verringerung der CO2-Emissionen in der Europäischen Union erreicht werden soll. Dieses 2015 eingeführte System ist das größte seiner Art und dient zum Handel mit Emissionszertifikaten im Energie-, im Luft- und Raumfahrt- sowie im Industriesektor. Es ist ein Handelssystem mit festen Emissionsobergrenzen, bei dem die Teilnehmer ihre Emissionen melden und für die jährlich von ihnen gemeldeten Emissionen eine entsprechende Menge an Emissionszertifikaten abgeben müssen. Aufgrund des enormen Überangebots an Emissionsberechtigungen, die als Emissionszertifikate bezeichnet werden, hat das EU ETS zu einem starken Preisverfall geführt. 2019 versuchte man, dieses Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage durch die Marktstabilitätsreserve (MSR) zu beseitigen und mehr Preisstabilität zu schaffen. Wenn es ein großes Überangebot an Emissionszertifikaten gibt, dann werden diese automatisch in der MSR gespeichert und erst wieder am Markt freigegeben, wenn sich das Angebot verknappt.
Das ist der erste Schritt auf dem Weg zu einem geeigneten Preissignal für die Umweltverschmutzung. Die neu ernannte EU-Kommission hat ehrgeizige Klimaziele. Zum „Grünen Deal der EU“, der dazu beitragen soll, bis 2050 vollständig klimaneutral zu wirtschaften, gehört eine Maßnahme, deren Einführung bislang von jedem Land als zu umständlich, provokant und rechtlich problematisch gescheut wurde: eine CO2-Grenzsteuer. Im Grunde schlägt die Europäische Kommission ein „CO2-Grenzausgleichssystem“ vor, das EU-Unternehmen vor billigeren Importen aus Ländern mit schwächeren Klimaschutzregelungen schützt. Damit soll frühestens 2021 begonnen werden und es könnte in Form einer Abgabe auf eingeführte Waren umgesetzt werden, die sich an den durchschnittlichen CO2-Preisen im Handelssystem der EU orientiert, wobei jedoch auch andere Möglichkeiten denkbar sind. Es ist in jedem Falle ein reizvolles Konzept. Erstens würde es Verlagerungseffekte unterbinden, bei denen die Klimagesetzgebung in einem Land Umweltsünder zur Abwanderung in ein anderes veranlasst, wodurch die weltweiten Gesamtemissionen im Wesentlichen gleich bleiben. Darüber hinaus würde es das Risiko verringern, dass die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Branchen gegenüber der ausländischen Konkurrenz sinkt. Es bietet auch die in weiter Ferne liegende, aber verheißungsvolle Möglichkeit, dass sich die EU mit gleichgesinnten Ländern zu „Klimaklubs“ zusammenschließt, die groß genug sind, um die Nachzügler zu einer schnelleren Senkung ihrer CO2-Emissionen zu bewegen.
Wir können ebenfalls zu einer Lösung beitragen, indem wir mit unserem Vermögen abstimmen. In diesem Bereich berücksichtigt die geplante EU-Initiative zur Schaffung einer entsprechenden Taxonomie3 drei Tätigkeiten, die bei der Bekämpfung des Klimawandels eine entscheidende Rolle spielen:
- Tätigkeiten, die bereits niedrige Emissionswerte aufweisen oder umweltverträglich sind (d. h. unter anderem Kohlenstoffbindung, emissionsfreier Verkehr, nahezu emissionsfreie Stromerzeugung); hierbei dürften die technischen Prüfkriterien stabil bleiben.
- Tätigkeiten, die dazu beitragen, dass bis 2050 eine Wirtschaft ohne Nettoemissionen erreicht wird (umweltfreundlichere Gestaltung von … z. B. Gebäudesanierung, Stromerzeugung < 100 g CO2/kWh, Kraftfahrzeuge < 50 g CO2/km); die technischen Prüfkriterien für diese Tätigkeiten werden regelmäßig angepasst, die Emissionen sollen im Laufe der Zeit gegen null gehen.
- Tätigkeiten, die einen Betrieb bei geringen CO2-Emissionen oder eine deutliche Senkung der CO2-Emissionen ermöglichen (umweltfreundlichere Gestaltung durch); die technische Prüfung sollte sich nach den gegenwärtigen CO2-Emissionen richten.
Die Taxonomie wird Rahmenbedingungen bieten und somit im Grunde Normen schaffen, die die Legitimität umweltverträglicher Finanzierungslösungen stärken.
Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können
Auf einer globaleren Ebene werden alle Unterzeichner der UN-Grundsätze für eine verantwortungsvolle Geldanlage ab 2020 verpflichtende Vorgaben der Arbeitsgruppe für klimabezogene Finanzberichterstattung (Taskforce on Climate-Related Financial Disclosures, TCFD) befolgen. Das bedeutet, dass sie entsprechenden Interessengruppen einheitliche Daten zu klimabezogenen Finanzrisiken zur Verfügung stellen. Wenn man bedenkt, dass die Unterzeichner der UN-Grundsätze mehr als 2.400 Finanzinstitute und ein Vermögen von 82 Bio. US-Dollar vertreten, ist das ein recht beachtlicher Erfolg.
„Überhaupt keine Angaben zu machen ist schlimmer, als schlechte Werte zu melden“: Unternehmen, die keine Angaben machen, werden tatsächlich mit einem Abschlag (Aktienkurs liegt unter dem Buchwert) gegenüber Unternehmen gehandelt, die hohe Emissionen verzeichnen.
Der Klimawandel stellt ein konkretes Risiko für die Unternehmensgewinne dar. Nach Angaben von BoA Global Research lohnt sich die Veröffentlichung klimabezogener Daten auch für Unternehmen. „Überhaupt keine Angaben zu machen ist schlimmer, als schlechte Werte zu melden“: Unternehmen, die keine Angaben machen, werden tatsächlich mit einem Abschlag (Aktienkurs liegt unter dem Buchwert) gegenüber Unternehmen gehandelt, die hohe Emissionen verzeichnen. Der Wandel zu einer emissionsarmen Wirtschaft wird bahnbrechende Veränderungen bewirken, die neue Anlage- und Renditechancen bieten. Erneuerbare Energien haben inzwischen das gleiche Kostenniveau wie fossile Brennstoffe erreicht und sind somit unter Kostengesichtspunkten wettbewerbsfähig. Eine saubere Energieerzeugung, Energieübertragung und -verteilung, Energiespeicherung und Energieeffizienz bieten Chancen für Gewinnwachstum, und zwar sowohl mit Blick auf die relative als auch die absolute Bewertung. Bislang werden die Folgen des Klimawandels an den Finanzmärkten noch nicht hinreichend verstanden. Das wird zu einem einflussreichen Wertentwicklungsfaktor werden.
Regierungen, Aufsichtsbehörden und Anleger haben allesamt die Möglichkeit, einer düsteren Zukunft, in der wir vom CO2 abhängig sind, eine Absage zu erteilen, indem sie ihren Einfluss auf der Angebotsseite der Gleichung geltend machen. Wir als Einzelne haben die Möglichkeit, uns durch die Ausübung unserer Bürger- und Verbraucherrechte auf der Nachfrageseite dieser Gleichung einzubringen. Instrumente, mit denen sich die CO2-Emissionen überwachen lassen, die bei Reisen, Energieverbrauch, Kaufentscheidungen, Lebensmittelkonsum und Geldanlagen anfallen, haben Hochkonjunktur. Denjenigen, die nicht wissen, wie und wo sie anfangen sollen, empfehle ich gern das aktuelle Buch des Bestsellerautoren Jonathan Safran Foer: „Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“. In diesem Buch zeigt er auf, dass sich eine für jeden von uns mögliche kleine Veränderung – nämlich der Konsum von weniger tierischen Produkten – nachhaltig auf die Klimakrise auswirken würde. Ich erinnere mich noch an den Tag, als mein ältester Sohn mir vor vielen Jahren mitteilte, dass er „Flexitarier“ geworden sei. Ich dachte zunächst, das sei ein neues Fantasiewort. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ich über diesen Trend in der Generation Y einfach nicht auf dem Laufenden war. Hoffentlich habe ich seitdem gelernt, meinen Kindern besser zuzuhören, wenn sie über Dinge sprechen, die ihnen wichtig sind.
Zu guter Letzt möchte ich die Initiative von Doconomy lobend erwähnen. Das 2018 in Schweden gegründete FinTech-Unternehmen hat vor Kurzem die weltweit erste Kreditkarte mit einem CO2-Limit herausgebracht. Interessierten, die es sich leisten können, stehen somit theoretisch Lösungen für den „CO2-Entzug“ zur Verfügung.
1 IEA: Defying expectations of a rise, global carbon dioxide emissions flatlined in 2019 – Pressemitteilung vom 11.02.2020.
2 William Mc Donough.
3 Bei der EU-Taxonomie handelt es sich um ein laufend weiterentwickeltes Klassifizierungssystem, mit dem die Legitimität umweltverträglicher Finanzierungsmaßnahmen gestärkt und das Wachstum eines Sektors mit geringen CO2-Emissionen unterstützt werden sollen. Es soll die Kohlenstoffbindung fördern, zur Senkung der CO2-Emissionen in der bestehenden Industrie beitragen und verhindern, dass mit den Zielen zur Bekämpfung des Klimawandels unvereinbare Tätigkeiten unterstützt werden.