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April 25, 2024

Expertenmeinung: „Eine bittersüße Symphonie für die Märkte“

Im November war die Bevölkerung der meisten europäischen Länder wieder zwangsweise nach Hause beordert, als die Regierungen versuchten, die grassierende zweite COVID-19-Welle zu stoppen. Selbst in Ländern wie Luxemburg, wo keine Lockdowns verordnet wurden, schien ein gesellschaftliches Bewusstsein die Menschen dazu anzutreiben, soziale Interaktionen einzuschränken, und das „Stay at Home“ wurde wieder zur Normalität. Paare erlebten wahrscheinlich ein „Sweet November“-Szenario wie in dem Film mit Keanu Reeves, da sie gezwungen waren, einen weiteren Monat ungetrübter Zeit mit ihrem Partner zu verbringen. Der November war gleich in zweierlei Hinsicht besonders süß für die Märkte.

Erstens ließ die politische Ungewissheit nach, da Joe Biden als nächster Präsident der Vereinigten Staaten bestätigt wurde, und der amtierende Präsident Donald Trump das Ergebnis schließlich anerkannte und formal die Amtsübergabe einleitete. Die Befürchtungen im Hinblick auf eine Anfechtung des Wahlergebnisses (und eine vielleicht sogar daraus resultierende Verfassungskrise) waren durchaus real und berechtigt. Da die Wahl nun aber in trockenen Tüchern ist, kann sich auch der Kongress wieder an die Arbeit an einem zweiten Konjunkturpaket machen.

Zweitens wurde die Aussicht auf einen Impfstoff gegen das Coronavirus greifbarer, da zwei Kandidaten in Versuchen eine gute Wirksamkeit zeigten: der von Moderna (Wirksamkeit von 94,5 %) und der von Pfizer/BioNTech (Wirksamkeit von 95 %). Dies löste an den Finanzmärkten eine Risikorally und eine Stilrotation aus Wachstumsaktien (wie großen Technologietiteln) in Value-Aktien (unbeliebte, von der Pandemie getroffene Titel) aus.

Doch der Optimismus wurde durch die bittere Realität des Hier und Jetzt getrübt, die von in die Höhe schnellenden Infektionszahlen dies- und jenseits des Atlantiks gekennzeichnet ist. Dies hat zu neuen Lockdowns geführt, die den Wirtschaftsausblick verfinstern. Europa befindet sich bereits am Rand einer Double-Dip-Rezession, und die Arbeitslosenquote tendiert aufwärts. Auch in den USA hat die Zahl der Arbeitslosmeldungen wieder zugenommen, und das Verbrauchervertrauen hat durch die zweite Welle eine Delle bekommen. Mit einem wirksamen Impfstoff werden die Karten für die Wirtschaft neu gemischt, was aber nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass noch eine Menge Hürden zu nehmen sind, bevor der Impfstoff hergestellt und an die breite Bevölkerung verteilt werden kann.

Mit einem wirksamen Impfstoff werden die Karten für die Wirtschaft neu gemischt.

Während Anleger mit dem Guten, dem Bösen und dem Hässlichen jonglieren, wird die Stimmung weiter zwischen Risikofreude und Risikoscheu schwanken. Portfolios müssen darauf vorbereitet werden, zu der Melodie dieser bittersüßen Symphonie zu tanzen.

Stimmungsbeeinflussende Impulse kommen aus allen Richtungen: Wirtschaftsdaten, Unternehmensnachrichten, Geldpolitik, Haushaltspolitik und jetzt der Impfstoff. Dies schafft zuweilen für kurzfristig orientierte Trader, nervöse Anleger und Skeptiker Gelegenheiten, plötzlich Gewinne mitzunehmen, und motiviert diejenigen, die Angst haben, etwas zu verpassen, jetzt einzusteigen.

Solange ein skalierbarer Impfstoff keine sichere Sache ist, wird diese launische Atmosphäre anhalten. Wenn Pandemieängste die Oberhand haben, werden Märkte in der Regel geneigt sein, Wachstumstitel zu halten, unter anderem die Nutznießer des „Stay at home“. Wenn die Hoffnungen auf ein Ende der Gesundheitskrise groß sind, werden Value-Aktien ihren Moment im Rampenlicht genießen können. Auch wenn wir nicht der Meinung sind, dass das aktuelle Umfeld einer ausgedehnten Outperformance von Value-Aktien zuträglich ist, müssen Portfolios vor möglichen zeitweiligen Stimmungsumschwüngen geschützt werden. Um das zu gewährleisten, berücksichtigen wir durch unsere Sektorprognosen jetzt auch die Konjunkturabhängigkeit mit, insbesondere indem wir das Engagement in Basiskonsumgütern zugunsten von Industriewerten reduziert haben.

Wenn Pandemieängste die Oberhand haben, werden Märkte in der Regel geneigt sein, Wachstumstitel zu halten, unter anderem die Nutznießer des „Stay at home“.