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Dezember 23, 2024

Fragen an den Experten: „Sell in May and go away“

  Fredrik Skoglund myINVEST Juni 5, 2019 1604

Fredrik Skoglund, CIO bei der BIL, und sein Team nehmen die wichtigsten Ereignisse vom Mai 2019 unter die Lupe und untersuchen deren Auswirkungen für Anleger.

„Sell in May and go away“ – diese alte Börsenweisheit beruht darauf, dass in der Vergangenheit ausgewählte Aktien im „Sommerhalbjahr“ von Mai bis Oktober schlechter abschnitten als im „Winterhalbjahr“ von November bis April. Der Ausspruch soll seinen Ursprung in dem alten englischen Sprichwort „Sell in May and go away, and come on back on St. Leger’s Day“ haben. Er bezieht sich auf den traditionellen Auszug der Adligen, Kaufleute und Bankiers aus dem schwülen London in die Sommerfrische auf dem Land. „St. Leger’s Day“ nimmt dabei Bezug auf die St. Leger’s Stakes, ein alljährlich Mitte September stattfindendes Pferderennen. Volksglaube und eingängige Sprüche sind natürlich nicht die Grundlage für unsere Anlageentscheidungen, doch in diesem Jahr haben wir unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse, vor allem mit Blick auf den Handel, in der Tat im Mai verkauft, sodass unser Aktienengagement nun untergewichtet ist. Wie lange genau wir dem Markt fernbleiben werden, ist noch unklar; Signale, dass die Handelsgespräche nicht zu einer weiteren Verschlechterung der makroökonomischen Lage führen, sind aber die Voraussetzung für unsere Rückkehr an die Märkte.

Der 5. Mai hat für unsere Allokation fast alles verändert, denn an jenem Tag ließ US-Präsident Trump auf Twitter, für die Märkte völlig unerwartet, eine Bombe platzen. Ein Pferderennen bildete nicht den Abschluss des Tages, sondern setzte stattdessen die Ereignisse des Tages erst in Gang. Auf Twitter wetterte Trump zunächst gegen die Disqualifikation des Pferdes „Maximum Security“, das am Vortag das Kentucky Derby gewonnen hatte. Dann twitterte er, dass die Handelsverhandlungen mit China ins Stocken geraten seien, während allgemein davon ausgegangen wurde, die beiden Supermächte würden kurz vor einer Einigung stehen. Der US-Präsident kündigte weitere Zölle auf chinesische Importe an (für Waren im Wert von 200 Mrd. US-Dollar wurden die Einfuhrzölle von 10 % auf 25 % erhöht) und behauptete, China habe einige Versprechen gebrochen. China konterte diese Maßnahme seinerseits rasch und hob die Zölle auf US-Waren im Wert von 60 Mrd. US-Dollar von 5 % auf 15 % an. Die Aktienmärkte verloren, der Volatilitätsindex VIX schoss in die Höhe und Staatsanleihen der Kernländer legten zu. Für Unbehagen unter den Anlegern sorgten vor allem der Rückgang der chinesischen Währung und die Angst vor den möglichen Auswirkungen, falls die People‘s Bank of China (PBoC) eine weitere Abschwächung zulassen würde, zumal Erinnerungen an die Abwertung im Jahr 2015 wach wurden.

Im weiteren Monatsverlauf setzten die USA Huawei auf eine „schwarze Liste“, was die Geschäftsbeziehungen zwischen US-Unternehmen und dem chinesischen Telekom-Riesen einschränkt. Als Antwort darauf stoppte China seine Sojabohnenkäufe in den USA und drohte, den Export seltener Erden einzustellen. Am 31. Mai verschärfte sich das Handelsrisiko weiter, als Trump weitere Zölle ankündigte, diesmal auf Waren aus Mexiko. Ab dem 10. Juni tritt eine Abgabe in Höhe von 5 % in Kraft, die jeden Monat um weitere 5 % steigt und bis Oktober auf eine Obergrenze von 25 % klettern wird, sofern die mexikanische Regierung keine Maßnahmen ergreift, um den Zustrom illegaler Einwanderer aufzuhalten.

Die jüngsten Daten verdeutlichten weiter, wie bedeutend der Handelskrieg und die realen Beeinträchtigungen für den Zyklus sind, die er durch den Verlust an Dynamik im Fertigungssektor verursacht.

In den USA sank die Industrieproduktion im April um 0,5 %, dies war der dritte Rückgang in vier Monaten.

In den USA sank die Industrieproduktion im April um 0,5 %, dies war der dritte Rückgang in vier Monaten. Dieser Rückgang betraf zahlreiche Segmente, auch wenn er in den Bereichen Maschinenbau und Kraftfahrzeuge (je -2,6 %) besonders stark ausfiel, was den Verlust an Dynamik im Fertigungssektor bestätigte. Diese Schwäche im Fertigungssektor ist weitgehend durch den Handelskrieg und die damit einhergehende Unsicherheit zu erklären: Die Produktion sank im April um 0,5 % und ging im Januar und Februar ähnlich stark zurück, nur im März war sie stabil, als ein „Waffenstillstand“ in greifbarer Nähe zu sein schien. Wir glauben jedoch, dass die Schwäche von kurzer Dauer sein wird. Die US-Wirtschaft ist weiterhin obenauf, gestützt von hohen Inlandsinvestitionen und dem starken Binnenkonsum, der von der extrem angespannten Lage am Arbeitsmarkt (Arbeitslosenquote bei 3,6 %, der tiefste Stand seit 1969) profitiert. Die GDPNow-Prognose der US-Notenbank von Atlanta wurde kürzlich im zweiten Quartal in Folge aufgrund der besseren Nachrichten rund um den Wohnungsbau auf 1,3 % nach oben korrigiert. Laut Bloomberg liegen die Konsenserwartungen zum BIP für das Gesamtjahr bei 2,4 %, und wir sind davon überzeugt, dass sich das Wachstum tatsächlich bei knapp 2 % oder darüber stabilisieren dürfte, sofern keine neue Verschlechterung eintritt.

China steht gleich vor zwei größeren Herausforderungen: Die Kreditverfügbarkeit nimmt ab und die Nachfrage aus dem Ausland lässt nach.

In China sind sowohl die Einzelhandelsumsätze, als auch die Industrieproduktion und die Investitionen im April stärker gesunken als erwartet, nachdem sie im März noch kräftig gestiegen waren. Es bestehen gleich zwei größere Herausforderungen: Die Kreditverfügbarkeit nimmt ab und die Nachfrage aus dem Ausland lässt nach. Der Rückgang der Investitionen und der Produktion geht auf den Privatsektor zurück und ist durch die Unsicherheit rund um die Auslandsnachfrage bedingt. Glücklicherweise steht Peking mit einem großen Arsenal an geldpolitischen Instrumenten parat, die es einsetzen kann und will, um die Konjunktur anzuschieben. Die Regierung ist sogar so weit gegangen, während der Schwächephase am Aktienmarkt chinesische Aktien aufzukaufen, um den Schaden in Grenzen zu halten.

Der Handelskrieg bringt die Eurozone einer Rezession einen Schritt näher (durch den deutschen Exportsektor). Zum Glück für den Wirtschaftsblock haben die USA ihre Untersuchungen nach Section 232, ob die Autoimporte die nationale Sicherheit gefährden, um sechs Monate verschoben, denn die Einführung von Zöllen auf Autos hätte für Europas Exportsektor in der Tat das Quäntchen zu viel sein können. Dennoch steckt der Fertigungssektor – insbesondere in Deutschland – in Schwierigkeiten. Die Auftragseingänge bleiben (vor allem im Automobil- und Maschinenbausektor) wegen der geringeren Inlands- und Auslandsnachfrage schwach. Die Einkaufsmanagerindizes (PMIs) zeigen, dass sich das Geschäftsklima im Fertigungssektor verschlechtert hat – der PMI für Deutschland liegt bei lediglich 44,4, der für die Eurozone bei 47,9. 50 markiert die Trennlinie zwischen Kontraktion und Expansion. Der Handelskrieg hat für die Dienstleistungssektoren weniger verheerende Auswirkungen. Dort liegen die PMIs weiterhin im Expansionsbereich. Doch selbst die Lichtblicke unter den Daten (Anstieg des Konsums in Frankreich infolge der von den Gelbwesten erreichten Steuersenkungen, Investitionen in Spanien) können den starken Rückgang im Fertigungssektor nicht überdecken. Was den Kontinent vorerst noch rettet, sind die soliden Arbeitsmärkte, die den Konsum unterstützen, doch auch sie genügen nicht, um die Auswirkungen der politischen Instabilität und die allgemein schlechte Stimmung auf gesamtwirtschaftlicher Ebene auszugleichen. Laut Bloomberg wurden die Konsenserwartungen für das BIP-Wachstum 2019 auf 1,1% gesenkt. Aufgrund der Abwärtsrisiken, die sich aus der Schwäche im Fertigungssektor und der Unsicherheit auf politischer Ebene (Brexit, Italiens umstrittene Haushaltspolitik usw.) ergeben, sind wir nicht optimistisch.

Sollte der Handelskrieg dem globalen Fertigungssektor weiterhin Schaden zufügen, würden wir beginnen, die Stärke der Arbeitsmärkte, welche die Hauptsäulen des privaten Konsums sind, neu zu beurteilen. Doch soweit ist es vorläufig noch nicht, und wir bleiben zunächst bei unserer Einschätzung, dass das weltweite Wachstum weiter Bestand haben kann, wenngleich es sich verlangsamen dürfte.

Die Berichtssaison ist vorüber, die Zentralbanken üben sich in Geduld und mit Blick auf den Handel ist die Frage „Deal oder kein Deal?“ noch immer unbeantwortet – diese und andere Unsicherheitsfaktoren begrenzen das Aufwärtspotenzial für risikoreiche Anlagen, während die Abwärtsrisiken enorm groß sind. Die Angst, dass Trump wieder auf sein hohes Ross steigen wird, und die Volatilität, die daraus resultieren könnte, haben uns gezwungen, das Risiko noch weiter zu reduzieren. Daher haben ist unser Aktienengagement in unserer Allokation für Mai nun untergewichtet.