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Klimaschutz: Das Gefangenendilemma verstehen und endlich aktiv werden

Die Spieltheorie lehrt uns, dass das beste Ergebnis für die Allgemeinheit nicht erreicht werden kann, wenn wir einzig und allein unsere persönlichen Interessen verfolgen. So lässt sich teilweise erklären, warum es so schwierig ist, ein wesentliches Gemeingut zu schützen: das Klima und unseren Planeten. Es ist höchste Zeit, dass wir lernen, anders zu spielen!

Das Klima ist ein globales öffentliches Gut, und Treibhausgase lassen sich entsprechend als öffentliches Übel bezeichnen. Sobald jedoch das Handeln jedes Einzelnen Auswirkungen auf die Allgemeinheit hat, arbeiten Menschen oft gegen- statt miteinander. Trittbrettfahrer1, das Gefangenendilemma, Manipulations- und Erpressungsstrategien oder auch Wettbewerbstaktiken sorgen in solch einem Umfeld für Probleme. Das macht die Spieltheorie deutlich, die wir im Artikel „Kann uns die Spieltheorie im Kampf gegen den Klimawandel helfen? “ näher betrachten.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht führen negative externe Effekte zu einem Marktversagen. Die Wirtschaftstheorie lehrt uns, dass dann staatliche Maßnahmen erforderlich sind, um das Marktversagen zu korrigieren und die Ressourcen wieder optimal zu verteilen.

Kollektives Interesse: Ja, aber wie?

Beim Gefangenendilemma verhält es sich bekanntlich so, dass jeder der beiden Beschuldigten systematisch seinen Komplizen verrät, wenn er nur an sich denkt und in seinem eigenen Interesse handelt. Dieses Dilemma beschreibt eine Situation, in der individuelle Interessen in Konflikt zum kollektiven Interesse stehen, sodass das bestmögliche Szenario – nämlich kollektiv zu schweigen, wodurch die Gesamtstrafe letztlich geringer ausfallen würde – verunmöglicht wird. Wenn nur persönliche Interessen verfolgt werden, entsteht ein Nash-Gleichgewicht, das zwar nicht optimal ist, aber zumindest das Schlimmste verhindert. Das Gefangenendilemma veranschaulicht, dass in einer Gesellschaft, deren wirtschaftliche Entwicklung in hohem Maße von Kooperation abhängt, diese keinesfalls selbstverständlich ist.

Das Gefangenendilemma veranschaulicht, dass Kooperation keinesfalls selbstverständlich ist.

Wie könnten die Gefangenen die Polizei übertrumpfen und das beste Ergebnis für sich erreichen? Die Lösung scheint auf der Hand zu liegen: Es sollte doch ausreichen, dass die beiden Gauner sich vor dem Verhör absprechen – und dann ihr Wort halten! In der Praxis bewirkt Kommunikation jedoch nicht viel. Wer die britische Spielshow „Golden Balls“ kennt, die auf dem Gefangenendilemma basiert, weiß, dass Verrat regelmäßig über Teamgeist siegt. Ein potenziell höherer persönlicher Nutzen ist oft verlockender als der höchstmögliche kollektive Nutzen. Das gilt vor allem, wenn die Teilnehmer nur ein einziges Mal gemeinsam spielen. Wie lässt sich dieses Problem lösen? Die Mafia sowie die Pinguine haben radikale Lösungen gefunden.

Die Mafia und die Pinguine

Kann man ein Spiel nicht gewinnen, ist es wahrscheinlich an der Zeit, mit dem Spielen aufzuhören oder die Regeln zu ändern. Die Antwort der Mafia auf das Problem des Gefangenendilemmas ist die Omertà – das Gesetz des Schweigens. Jedes Mitglied der kriminellen Organisation ist sich darüber im Klaren, dass eine Denunziation einem Todesurteil gleichkommt. Ein echter Anreiz für die Gefangenen, sich für die beste kollektive Strategie zu entscheiden … Diese Bedrohung von außen (Tötung des Denunzianten) erweist sich für die Gefangenen als vorteilhaft, weil sie so zur Kooperation gezwungen sind. Als Gegenmittel kann die Polizei versuchen, das ursprüngliche nicht kooperative Gleichgewicht wiederherzustellen, indem sie ein Programm zum Schutz von Zeugen und geständigen Straftätern einrichtet. Kurz gesagt: Um ein anderes Ergebnis zu erzielen, müssen die Bedingungen des „Spiels“ geändert werden.

Pinguine wenden eine noch drastischere Technik an, um aus dem Nash-Gleichgewicht auszubrechen. Ihr Dilemma: Ihre Lieblingsspeise schwimmt im selben Wasser wie ihre größten Fressfeinde, die Schwertwale oder Orcas. Pinguine haben daher gelernt, der ruhigen Wasseroberfläche gründlich zu misstrauen. Wie können Sie herausfinden, ob sie gefahrlos nach Heringen tauchen können? Niemand möchte sich als erstes ins Meer stürzen. Doch diese Initiativlosigkeit stellt die gesamte Kolonie vor ein großes Problem. Die Lösung? Ein Hieb auf das Hinterteil oder Schubsen eines zufällig ausgewählten Pinguins, der so ins Wasser befördert wird. Falls die Orcas ihn kurz darauf verschlingen, muss ein anderes Fischereirevier gefunden werden. Die Pinguine opfern also einen unglücklichen Artgenossen zum Wohl der Allgemeinheit.

Ein Nash-Gleichgewicht lässt sich am besten durch einen Eingriff von außen auflösen.

Diese Praktiken sind natürlich mehr als fragwürdig, doch sie lehren uns, dass sich ein Nash-Gleichgewicht am besten durch einen Eingriff von außen auflösen lässt. Im Falle der Mafia ist die erzwungene Einschränkung der Handlungsfreiheit der Akteure zwar moralisch strittig, für die Betroffenen aber nicht unbedingt nachteilig. Beim Verhalten der Pinguine ist die moralische Dimension noch zweifelhafter.

Doch zurück zu unseren Gefangenen und dem Klima: Das Gefangenendilemma bedeutet nicht, dass wir unseres Egoismus wegen zur Selbstzerstörung verurteilt sind. Allerdings sieht es ganz danach aus, als sei auch hier ein Eingriff von außen erforderlich. Beim Management von Treibhausgasemissionen muss etwa der Staat (durch Anreize, Regulierung und Kontrolle) eingreifen, um das im wirtschaftlichen Sinne optimale Maß wiederherzustellen. Dies erfordert jedoch letzten Endes eine Internalisierung externer Effekte (CO2-Budgets und -Abgaben). In der Praxis ist somit die Einführung einer CO2-Buchhaltung neben der traditionellen Finanzbuchhaltung unerlässlich.

Weiter spielen

Die Spieltheorie wird erst dann richtig interessant, wenn das Spiel mehrere Runden hat. Schenken wir einem Verräter noch einmal unser Vertrauen? Verraten wir jemanden, der zuvor zu uns gehalten hat? Die Tierwelt liefert auch hier wieder zahlreiche Beispiele dafür, dass Zusammenarbeit und Altruismus angesichts der natürlichen Selektion häufig die effizienteste Strategie darstellen. Denken wir nur einmal an Ameisenkolonien, Bienenschwärme, Wolfsrudel usw.

Bei nur einem einzigen Spieldurchlauf wissen wir, dass jeder Spieler versuchen wird, den anderen zu hintergehen, um sich einen persönlichen Vorteil zu sichern. Bei einem Spiel mit mehreren Spielrunden ändert sich die Lage insofern, als dass wir nicht kooperative oder kooperative Verhaltensweisen, die wir bei den anderen Spielern beobachten, durch unser eigenes Verhalten bestrafen bzw. fördern können. So muss jeder Spieler seine Strategie für die nächste Runde basierend auf den Geschehnissen in den vorherigen Runden festlegen: immer verraten (der Böse), immer kooperieren (der Gute), eine zufällige Entscheidung treffen (der Launische), die vorherige Entscheidung des anderen übernehmen (der Nachahmer), oder immer kooperieren, solange man nicht verraten wurde, und immer verraten, sobald man einmal verraten wurde (der Nachtragende).

Das Gegenseitigkeitsprinzip gewinnt nicht systematisch gegen jede andere Strategie, kumuliert nach mehreren Wiederholungen aber die besten Ergebnisse.

Der Biologe William Donald Hamilton, bekannt als einer der bedeutendsten Forscher des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Evolutionsbiologie, und Robert Axelrod, Professor für Politikwissenschaft und Gewinner des MacArthur-Preises von 1987, haben gemeinsam das kooperative Verhalten von Lebewesen innerhalb des mathematischen Rahmens der Spieltheorie untersucht. Das Fazit ist eindeutig. So hat Robert Axelrod gezeigt, dass in Spielen, die keine Nullsummenspiele sind und aus mehreren Runden bestehen, die beste Strategie darin besteht, mit einer Kooperation zu beginnen und anschließend die Entscheidung des anderen Spielers aus der Vorrunde zu übernehmen. Dies wird gemeinhin als Tit-for-Tat-Strategie oder als Gegenseitigkeitsprinzip bzw. Prinzip der Reziprozität bezeichnet. Das Gegenseitigkeitsprinzip gewinnt nicht systematisch gegen jede andere Strategie, kumuliert nach mehreren Wiederholungen aber die besten Ergebnisse.2

Verraten oder kooperieren? Vergelten oder vergeben? Um strategische Entscheidungen, die Mathematik, Psychologie sowie Wirtschafts- und Klimafragen berücksichtigen, besser zu verstehen, sollten Sie das Spiel „The Evolution of Trust“ ausprobieren, das von Nicky Case entwickelt wurde und online kostenlos verfügbar ist. Anhand einer Variante des Gefangenendilemmas verdeutlicht das Spiel: Wenn jeder der Spieler der Versuchung widersteht, den anderen zu verraten, und sich ein Vertrauensverhältnis aufbauen lässt, profitiert beide davon. Es handelt sich schlicht und einfach um ein ethisches Verhalten, das in einem Nicht-Nullsummenspiel mit mehreren Runden zur Faustregel wird und durch das aus einem „Tit for Tat“ ein „Win-Win“ wird.

Wir wissen, dass der Klimawandel und der Rückgang der Artenvielfalt keine Grenzen kennen. Die zeitlichen Horizonte von Wissenschaftlern, Politikern und Finanzmärkten gehen eindeutig auseinander. Dem Klimaschutz stehen nationale Interessen gegenüber und der Egoismus der einzelnen Staaten siegt regelmäßig über Kooperationsprogramme, von den alle Akteure auf lange Sicht profitieren würden.

Das Gefangenendilemma hilft uns zu verstehen, warum die Akteure weltweit weiterhin versuchen, Zeit zu gewinnen. Das Interesse eines jeden Staates besteht darin, sein Wirtschaftswachstum sicherzustellen, was zu zusätzlicher Umweltverschmutzung führt. Unser kollektives Interesse besteht jedoch darin, unsere Umwelt zu retten, d. h. CO2-Emissionen zu reduzieren. Das Gefangenendilemma mit Bezug auf das Klima zeichnet sich durch eine zusätzliche Besonderheit aus: Die größten Umweltverschmutzer sind dem Klimawandel oftmals am wenigsten ausgesetzt.

Wie lässt sich dieses Dilemma lösen? In der Spieltheorie zeichnet sich die Lösung des Gefangenendilemmas ab, wenn man mehrere Spieldurchläufe annimmt. In diesem Sinne stellt die Pariser Klimakonferenz (COP21) bereits einen bedeutenden Fortschritt auf dem gemeinsamen Weg dar. Sie stützt sich auf eine kritische Masse von entschlossenen Staaten, die Klimaschutz-Zusagen abgegeben haben und alle fünf Jahre in ihrem Fortschritt überprüft werden. So soll ein positiver Mechanismus der Zusammenarbeit entstehen.

Natürlich ist unbestreitbar, dass Kooperation und Vertrauen zwei der wichtigsten Elemente für jedes erfolgreiche Projekt sind. Beim Klima benötigen wir allerdings breiten Anschub. Dem libertären Paternalismus (Englisch: „Nudge Theory“) liegt vielleicht eine gute Idee zugrunde, objektiv erweist er sich jedoch als äußerst unzureichend.

Das Klima und die Umwelt sind Gemeingüter, die sowohl individuelles als auch kollektives Handeln erfordern. Wir bleiben optimistisch und stellen fest: Die Kosten für ein Handeln zugunsten von Klima und Umwelt sind gesunken, und die Vorteile des Kampfes für ihren Schutz liegen werden zunehmend klarer. Der Weg zu einem Modell der Zusammenarbeit gemäß der Spieltheorie ist einer der Schlüssel, um das Gefangenendilemma zu lösen. Zum Schluss sei noch einmal darauf hingewiesen, dass auch Anleger eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen, indem sie über den Einsatz ihres Kapitals entscheiden.


1 Das Trittbrettfahrer-Problem
2 Dies lässt sich dadurch erklären, dass sich Axelrods Arbeit auf Spiele mit nicht konstanter Summe bezog; die vergebene Punktzahl ist also nicht immer identisch. So wird die unbestreitbare Stärke dieser Strategie im Kontext der Evolution verdeutlicht.

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Published by
Olivier Goemans
Tags: Anlegerprofil Budget

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