Künstliche Intelligenz: Die schöne neue Welt des Investmentmanagements?
Die Analyse und die Interpretation von Daten spielen bei Anlageprozessen eine zentrale Rolle. Es liegt daher nahe, dass genauere Daten und bessere Analysemethoden höhere Renditen ermöglichen. Über viele Jahre hinweg bestand der effektivste Ansatz für Anlageverwalter darin, die cleversten und besten Mitarbeiter zu gewinnen. Heute widmen sich viele Anlagegesellschaften der Frage, ob KI-Programme nicht eine mindestens ebenso gute Option darstellen.
Führende Fondsmanagementgesellschaften haben stark in künstliche Intelligenz investiert. BlackRock hat im vergangenen Jahr in Palo Alto (Kalifornien) das BlackRock Lab for Artificial Intelligence gegründet, in dem nach Wegen gesucht wird, Massendaten (Big Data) zu sammeln und für bessere Einblicke zu nutzen, um höhere Renditen für Kunden zu erzielen.
Schroders und BNY Mellon verfügen ebenfalls über umfangreiche Programme zur Entwicklung von Technologien. Eine Untersuchung von Standard & Poor’s aus dem Jahr 2018 hat ergeben, dass 80 % der Vermögensverwalter planen, ihre Investitionen in Big-Data-Lösungen in den folgenden zwölf Monaten zu erhöhen.
Die Analyse und die Interpretation von Daten spielen bei Anlageprozessen eine zentrale Rolle. Denn genauere Daten und bessere Analysemethoden können höhere Renditen ermöglichen.
Das Internet der Dinge
Warum geschieht dies zum aktuellen Zeitpunkt? Es ist erst seit wenigen Jahren möglich, genügend Daten zu erfassen, um aussagekräftige Einblicke zu erhalten. Heute sammelt das umfangreiche und wachsende Internet der Dinge Daten aus allen Lebensbereichen – von den Klimaverhältnissen über Verbraucherausgaben bis hin zu der Zahl der Schritte, die Menschen gehen. Diese Daten helfen dabei, Big-Data-Speicher aufzubauen, deren Datenbestände eingesehen und analysiert werden können.
Gleichzeitig können diese Daten aufgrund der gestiegenen Rechenleistung in einem bisher nicht dagewesenen Maße gespeichert und abgefragt werden. Der weltweit größte Supercomputer – der Sunway TaihuLight in China – verfügt über eine Rechenleistung von 93 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde. Diese Innovationen haben eine Plattform geschaffen, mit der Fondsmanager ihre Fähigkeiten im Bereich künstliche Intelligenz ausbauen können.
Bessere Einblicke?
Die Theorie besagt, dass Data-Mining bessere Einblicke verschafft. Sicher dürften Akteure, die die nötige Infrastruktur aufbauen können, um die häufig chaotischen, unstrukturierten und unhandlichen Daten zu durchforsten, einen Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern haben. Die Analyse der Kundenfrequenz in einem wichtigen Verbrauchergroßmarkt kann Hinweise darauf geben, ob die Umsatzschätzungen übertrieben sind. Die Analyse von Newsfeeds nach katastrophalen Ereignissen in einem Unternehmen kann Anlegern bei der Beurteilung helfen, ob die Marke überlebensfähig ist oder nicht. Die Beliebtheit eines neuen Produkts kann über Kundenbewertungen oder Kommentare in den sozialen Medien gemessen werden.
In Anbetracht der explodierenden Datenvolumina – die Research-Gruppe IDC erwartet bis 2025 einen Anstieg um das Zehnfache – könnten Unternehmen, die weiterhin lediglich auf menschliche Einblicke setzen, ins Hintertreffen geraten. Ein längerfristiges Problem besteht darin, dass diese datenbasierten Einblicke zunehmend leichter zugänglich werden könnten und damit tendenziell stärker in den Marktpreisen berücksichtigt werden. Die Anlagebranche könnte sich am Beginn eines digitalen Wettrüstens befinden, da Unternehmen immer mehr Datenquellen und immer größere Datenmengen analysieren möchten, um sich durch ihre Einblicke von Wettbewerbern abzuheben.
Untätig zu bleiben, ist jedoch auch keine Option. Luke Ellis, CEO des Hedgefondsmanagers Man Group, sagte jüngst, dass Fondsgesellschaften, die keine quantitativen Big-Data-Ansätze einbinden, möglicherweise vor dem Aus stehen könnten: „Wenn Sie nicht wissen, wie Sie mit Daten angemessen umgehen, sind Sie im Handumdrehen weg vom Fenster“.
Kooperation in Harmonie
Die Lösung liegt in der harmonischen Zusammenarbeit von Anlageverwaltern und Datenanalysten. Anlageteams müssen ermitteln, auf welche Bereiche sich die Datenanalysten konzentrieren sollen. Wenn jede Gruppe für sich allein arbeitet, stellen Datenanalysten laut Schroders nicht zwangsläufig die richtigen Fragen, und zudem erlangen die Anlageteams kein Verständnis für die Technologie.
In einem aktuellen Blog-Eintrag schreibt das Data Insights Team von Schroders: „Wirksame datenwissenschaftliche Analysen werden Einblicke ermöglichen, die anderen bisher wahrscheinlich entgangen sind. […] Je größer die Datenmenge, die zum Verständnis eines Unternehmens relevant sein kann, desto mehr Kombinationen und Permutationen sind bei der Analyse möglich.
Im weiteren Sinne sinkt damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass andere Akteure genau dieselbe Analyse durchführen. […] Es ist daher wahrscheinlich, dass Datenanalysen auf der Ebene einer großen Anlageorganisation differenzierte Einblicke generieren werden, die nur schwierig oder kaum genau reproduziert werden können.“
Des Weiteren schreiben die Autoren: „Die Informationsrevolution schafft keineswegs einheitliche Wettbewerbsbedingungen, bei denen schneller zugängliche Informationen einfach zu einer größeren Markteffizienz führen. Es ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Denn die Akteure, die diese Entwicklung aufgrund ihrer Größe und Ressourcen zu ihrem Vorteil nutzen können, erschließen sich damit schwer zugängliche Bereiche für die langfristige Generierung von Alpha.“
Die Nutzung von künstlicher Intelligenz im Investmentmanagement kann Menschen smarter und effizienter machen. Die Verringerung von manuellen Prozessen und Zahlenarbeit schafft Kapazitäten für Analysen mit Mehrwert.
Menschen smarter machen
Ein weiterer zentraler Aspekt, der die Nutzung von künstlicher Intelligenz im Investmentmanagement attraktiv macht, besteht darin, dass sie Menschen smarter und effizienter macht. Die Verringerung von manuellen Prozessen und Zahlenarbeit schafft Kapazitäten für Analysen mit Mehrwert.
KI-Programme können sich – zumindest derzeit – nicht mit einer Geschäftsführung treffen und sich ein Urteil über deren Vertrauenswürdigkeit und Fähigkeiten bilden. Sie können jedoch eine Reihe von Aufgaben erledigen, um Fondsmanager dabei zu unterstützen, diese Informationen einfacher zu erlangen. Künstliche Intelligenz (KI) dürfte Fondsmanagern ebenfalls dabei helfen, Risiken besser einzuschätzen und zu mindern.
Gleichermaßen sollten KI-Prozesse im Laufe der Zeit immer intelligenter werden. Wenn sich die Datenlage verbessert, kann KI wirklich „lernen“ und aufgrund dieser Beurteilungen Einblicke generieren. Konzerne, die bereits heute über entsprechende Mechanismen verfügen, dürften feststellen, dass diese Prozesse immer nützlicher werden.
Ein potenzieller Kostenvorteil
Da der Aufbau von KI-Plattformen kostspielig ist, stellt sich die Frage, ob sie größeren Fondsmanagementgesellschaften einen Vorteil verschaffen. Wenngleich dies in gewissem Maße der Fall sein könnte, spielt der Anlagebereich hierbei doch eine entscheidende Rolle. Im Finanz- und Konsumsektor können durch Big Data gewonnene Erkenntnisse einen wirklichen Unterschied machen, indem sie die Frage beantworten, wie viel Geld Menschen für jeweils welche Produkte ausgeben.
Unter Umständen lassen sich Kostenvorteile realisieren. Auch wenn für den Aufbau der Plattformen zunächst Kosten anfallen, kann der Einsatz der Technologien dazu beitragen, die Ausgaben dauerhaft zu senken. In einem Umfeld, in dem die Gebühren von Fondsmanagern auf dem Prüfstand stehen, stellt dies einen erheblichen Vorteil dar. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass Investmentgesellschaften belegen können, dass sie einen deutlichen Mehrwert gegenüber Referenzindizes bieten.
Ist die künstliche Intelligenz also ein zentraler Bestandteil der schönen neuen Welt des Investmentmanagements? Sie ist zweifelsfrei eine wichtige Entwicklung, und Investmentgesellschaften, die das richtige Maß zwischen Datenwissenschaft und etabliertem Portfoliomanagement finden, könnten erheblich im Vorteil sein.
Die Grenzen der Vorhersage
Was auch immer Sie persönlich von dem Thema halten, Sie sollten letzten Endes nicht vergessen, dass es sich bei Finanzprognosen stets um begründete Annahmen handelt. Dies gilt unabhängig davon, ob sie sich auf die Merkmale eines Unternehmens, wie das Umsatzwachstum, beziehen oder Vorhersagen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte insgesamt sind. Modelle und Prognosen sind für Unternehmen überaus nützlich, da sie so zum Beispiel ihre Produktion und Finanzierungen planen können. Sofern sie gemeinsam mit Erfahrungen und Risikomanagement genutzt werden, stellen sie auch eine Hilfe für das Portfoliomanagement dar, um Mittel auf der Grundlage von plausiblen Szenarien zu investieren. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass Risiken und Ungewissheiten stets ein zentraler Bestandteil von Prognosen bleiben werden.
Im Hinblick auf Prognosen gibt es drei große Probleme. Zum einen sind die verwendeten Daten immer alt. Wir verfügen lediglich über historische Daten, und es gibt keine Garantie, dass die Bedingungen der Vergangenheit auch in der Zukunft gelten werden. Einmalige oder unerwartete Ereignisse sowie externe Effekte lassen sich unmöglich berücksichtigen. Zum anderen sind Annahmen unsicher und unvorhergesehene Ereignisse („schwarze Schwäne“) mit unserer gestiegenen Abhängigkeit von Prognosen häufiger geworden. Schließlich können bei Prognosen nicht deren eigene Auswirkungen einbezogen werden. Richtige oder falsche Vorhersagen beeinflussen das Handeln von Unternehmen in einem Maße, das nicht in Form einer Variablen berücksichtigt werden kann. An dieser Stelle steht das Konzept vor einem Widerspruch. Im schlimmsten anzunehmenden Szenario macht sich das Management völlig abhängig von historischen Daten und Trends, anstatt sich zu fragen, wie sich ein Unternehmen aktuell schlägt. Die Erstellung von Prognosen kann eine gefährliche Kunst sein, da sich Investoren auf die Vorhersagen konzentrieren und dadurch ihren Handelsspielraum mental einschränken, indem sie die kurz- und langfristige Zukunft bereits als in Stein gemeißelt erachten. Darüber hinaus können Vorhersagen schlicht und ergreifend von vorneherein falsch sein oder aufgrund von beliebigen Aspekten, die in einem Modell nicht berücksichtigt werden können, in sich zusammenfallen.