Potenzielle Vorteile und Risiken des digitalen Zentralbankgeldes
Der digitale Euro ist in aller Munde. Nachdem die Europäische Zentralbank zwei Jahre lang geprüft hat, wie eine von ihr kontrollierte digitale Währung funktionieren könnte, plant sie nun deren versuchsweise Einführung – weigert sich jedoch einzugestehen, dass das Konzept mehr als nur ein Vorschlag ist.
Die EZB ist eine von mehreren Zentralbanken weltweit, die das Potenzial digitaler Währungen erforscht. Wahrscheinlich ist die People’s Bank of China den anderen großen Nationen hier bereits einen Schritt voraus. Doch wofür brauchen wir eigentlich digitales Geld?
Die Bahamas, Jamaika und Nigeria haben digitales Zentralbankgeld bereits eingeführt. Dem Internationalen Währungsfonds zufolge prüfen über 100 Länder das Potenzial dafür, wobei Brasilien, Indien und das Vereinigte Königreich ähnlich weit fortgeschritten sind wie die finanzpolitischen Entscheidungsträger Europas.
Die Regierungen und ihre Zentralbanken hoffen, dass digitale Währungen die Zahlungssysteme verbessert und sie sicherer und effizienter macht. Auch der Kontrollaspekt ist ein zentrales Thema, da schließlich ein immer größerer Anteil an Transaktionen über digitale Plattformen wie Apple Pay, Google Pay oder Alipay abgewickelt wird.
Ein erheblicher Teil der Transaktionen ist daher derzeit von privaten Unternehmen abhängig, denen es eher um ihren eigenen Profit als um die Stabilität des Finanzsystems geht. Von einer Zentralbank verwaltetes digitales Geld würde einige der Risiken verringern, die mit der Umstellung auf alternative Zahlungsmittel einhergehen. Außerdem könnte man den Verbrauchern so eine vertrauenswürdige digitale Option zur Verfügung stellen.
Die Zentralbanken können zudem überwachen, wie Bargeld verwendet wird, wodurch kriminelle Aktivitäten möglicherweise verhindert werden können.
Für die Zentralbanken gibt es gleich mehrere Vorteile. Die Ausgabe von digitalem Geld ist billiger als das Prägen, Drucken und Verwalten von physischem Geld. Die Zentralbanken können zudem überwachen, wie Bargeld verwendet wird, wodurch kriminelle Aktivitäten möglicherweise verhindert werden können. Seit jeher machen Kriminelle Jagd auf physisches wie digitales Geld. Die Einführung von digitalem Zentralbankgeld (DZBG) könnte eine mögliche Lösung darstellen, da es erweiterte Sicherheitsfunktionen und eine bessere Rückverfolgbarkeit aufweist, sodass illegale Finanzaktivitäten womöglich wirksamer bekämpft werden können.
Welche Vorteile bestehen für die Nutzer?
Für die potenziellen Nutzer digitaler Zentralbankwährungen liegen die Vorteile allerdings weniger auf der Hand. Von den Zentralbanken ausgegebenes digitales Geld ist im Grunde lediglich eine digitale Form von Bargeld. Es wird höchstwahrscheinlich wie bestehende digitale Plattformen aussehen und sich auch so anfühlen. Allerdings werden bei einer Zentralbankplattform eingezahlte Einlagen von der Regierung besichert – was sicherer sein könnte, als sein Geld privaten Unternehmen anzuvertrauen.
Digitales Geld wird nicht zu Spekulationszwecken eingesetzt – zumindest nicht mehr als normale Währungen derzeit an den Devisenmärkten. Im Gegensatz zu sogenannten Kryptowährungen wie Bitcoin, die im Wesentlichen Instrumente für den spekulativen Handel sind und Käufer anziehen, die schnelle Gewinne einstreichen möchten, wäre das digitale Zentralbankgeld lediglich ein Tauschmittel. Dadurch dürfte auch seine Volatilität begrenzt sein.
Die Zentralbanken hoffen, dass digitales Geld auch der finanziellen Teilhabe dient, weshalb es bei zukunftsorientierten Regierungen in Schwellenländern beliebt ist.
Die Zentralbanken hoffen, dass digitales Geld auch der finanziellen Teilhabe dient, weshalb es bei zukunftsorientierten Regierungen in Schwellenländern beliebt ist. In seinem Bericht „Central Bank Digital Currency and Financial Inclusion“ von März 2023 vertritt der IWF die Auffassung, dass digitales Geld Privathaushalte ohne Bankzugang zur Eröffnung eines Bankkontos bewegen könne, um Zahlungen über DZBG-Plattformen tätigen zu können. Zweitens können, so der IWF, die Haushalte durch die Nutzung von digitalem Zentralbankgeld eine Kredithistorie aufbauen.
Bargeldlose Transaktionen sollten schneller und zuverlässiger sein, wie die bestehenden elektronischen Zahlungswege. Erstklassige Sicherheitsfeatures vorausgesetzt, könnte auch der Diebstahl von digitalem Zentralbankgeld schwieriger sein.
Digitales Geld als politisches Instrument
Während Experten aktuell nicht der Ansicht sind, dass digitale Währungen die Geldpolitik in erheblichem Maße beeinflussen werden, könnten sie Auswirkungen auf die Effizienz haben, mit der geldpolitische Entscheidungen die Wirtschaft eines Landes durchdringen. In einem Niedrigzinsumfeld oder bei Stress an den Finanzmärkten könnten sich die Auswirkungen stärker bemerkbar machen.
Beispielsweise stellten die Zentralbanken nach der weltweiten Finanzkrise von 2007 bis 2009 fest, dass sie zur Einführung negativer Zinsen nicht in der Lage waren, weil Privatpersonen und Unternehmen ihre Ersparnisse einfach in bar halten konnten. Die Umsetzung negativer Zinssätze wäre bei Vorhandensein einer digitalen Währung einfacher. Zwar erscheint die Wahrscheinlichkeit hierfür im heutigen geldpolitischen Umfeld, in dem die Zentralbanken sich nach Kräften bemühen, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, gering; dennoch kann es ohne größere Vorwarnung zu Krisensituationen kommen.
Auch die Verteilung von Finanzspritzen an die Wirtschaft könnte mithilfe von digitalem Geld effizienter werden. Wenn eine Regierung infolge einer Überschwemmung oder eines Erdbebens schnell Hilfsgelder zuweisen möchte, könnte dies in Form von mobilen Wallets erfolgen, statt wie bisher über Lokalbehörden oder Verwaltungen.
Welche Risiken bestehen?
Die Zentralbanken können genauer überwachen, wie Bargeld verwendet wird. Zwar argumentieren sie, dass die Kriminalität dadurch eingedämmt oder gar verhindert wird, doch nicht jeder ist mit dieser neuen Methode zur Überwachung seines Handelns einverstanden. Mithilfe von digitalem Geld kann die Geldpolitik zwar wirksamer umgesetzt werden, doch dies ist für die meisten Nutzer ein abstraktes Konzept, und nur wenige wären wohl mit der Einführung negativer Zinsen einverstanden. Es wäre allerdings eine weitestgehende Abschaffung von Bargeld erforderlich. Hierfür gibt keine unmittelbaren Anzeichen, wenngleich die Verwendung von Bargeld – in einigen skandinavischen Ländern sogar drastisch – zurückgeht.
Es wird zwangsläufig einige Zeit dauern, bis die Menschen Vertrauen in digitale Währungssysteme fassen. Die EZB hat sich bereits damit bemüht, den Sparern zu versichern, dass sie ihre Einlagen nicht verlieren werden. Einige politische Entscheidungsträger haben sich besorgt über die Auswirkungen eines sogenannten digitalen Bankensturms („Bank Run“) geäußert, zu dem es kommen könnte, wenn die Menschen ihre Ersparnisse im Falle einer Krise in DZBG umwandeln und die Banken dadurch an Liquidität verlieren.
Die Banken befürchten, dass sie durch digitales Geld zumindest teilweise an Bedeutung verlieren könnten. Einzelpersonen bevorzugen vielleicht die relative Sicherheit einer staatlich garantierten Einlage gegenüber einer sich in Aktionärsbesitz befindlichen Bank. Die Institute könnten sich gezwungen sehen, wettbewerbsfähigere Zinssätze auf Spareinlagen zu zahlen. In einem kürzlich erschienen Artikel mit dem Titel „Digital euro: debunking banks’ fears about losing deposits”, drängt die EZB darauf, dass der Besitz digitaler Euro-Bestände durch Privatpersonen eingeschränkt werden muss, um die Einlagenbasis des Bankensystems zu erhalten.
Noch befinden wir uns in der Frühphase. Bisher gibt es keine Patentlösung für die Einführung von digitalem Zentralbankgeld. Die Regierungen und ihre Zentralbanken werden je nach ihren wirtschaftlichen und geldpolitischen Prioritäten, dem Grad der Digitalisierung ihrer Volkswirtschaften und den bestehenden rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen unterschiedliche Ansätze verfolgen. Zumindest in Europa steht die Einführung des digitalen Euro noch nicht unmittelbar bevor; sie kündigt sich jedoch allmählich an.