Rückzug aus der aktiven Führungsrolle: So gelingt Gründern der Übergang
Hinter nahezu jedem hervorragenden Unternehmen steht eine talentierte und außergewöhnliche Persönlichkeit, die es mit Weitsicht und Kompetenz aufgebaut hat. Bei Apple ist das Steve Jobs, bei Amazon Jeff Bezos und bei Tesla Elon Musk. Persönlichkeiten mit der erforderlichen Vorstellungskraft und Zielstrebigkeit, die für den Aufbau eines Unternehmens benötigt werden, sind jedoch nicht unbedingt die besten Kandidaten, um das Geschäft weiterzuentwickeln und zu professionalisieren. Vielleicht wünscht sich mancher Gründer nach dem anstrengenden Aufbau eines neuen Unternehmens auch einfach etwas Abwechslung.
In den meisten Fällen möchten sich Gründer allerdings nur aus dem unmittelbaren Geschäftsbetrieb zurückziehen, anstatt gleich einen radikalen Schlussstrich zu setzen – es sei denn, sie geben das Ruder nicht freiwillig ab, wie Jobs bei seinem ersten Gastspiel bei Apple. Doch wie einfach gestaltet sich der Übergang von der aktiven Führungsrolle zu einer Position ohne Leitungsaufgaben?
Ganz gleich, ob es sich um einen multinationalen Konzern oder ein kleineres Unternehmen handelt: Es kann sehr schwierig sein, die tagtäglichen Leitungsaufgaben an externe Manager oder auch nur an andere Familienmitglieder abzugeben. Gründer haben oft nicht nur klare Vorstellungen, wie das Unternehmen geführt werden sollte, sondern halten womöglich auch eine hohe finanzielle Beteiligung, die das Loslassen erschwert. Sie müssen es schaffen, weiter zum Unternehmenserfolg beizutragen, ohne ihren Nachfolgern auf die Füße zu treten – eine echte Herausforderung.
Als Erstes gilt es ehrlich einzuschätzen, wann die Zeit eines Gründers im Unternehmen abgelaufen ist.
Den richtigen Augenblick für den Rückzug wählen
Als Erstes gilt es ehrlich einzuschätzen, wann die Zeit eines Gründers im Unternehmen abgelaufen ist. Braucht das Unternehmen die Begeisterung und Inspiration eines Gründers noch oder steht es inzwischen vor anderen Herausforderungen? Die genaue Steuerung aller Abläufe durch den Gründer, die in den Anfangsphasen der Unternehmensentwicklung unverzichtbar ist, kann eine effiziente Verwaltung behindern, wenn das Unternehmen wächst. Der Gründer mag kein Interesse am Aufbau der großen internen Strukturen haben, die einen reibungslosen Geschäftsbetrieb ermöglichen, doch sobald das Unternehmen eine gewisse Größe erreicht, sind solche Strukturen unabdingbar.
Auch Unternehmen, die schon lange bestehen, müssen vielleicht modernisiert werden, um neuen Herausforderungen gewachsen zu sein. Kluge CEOs erkennen, dass es Punkte im Lebenszyklus eines Unternehmens gibt, an denen Veränderung nötig ist, und dass sie möglicherweise nicht die Richtigen für die Steuerung dieses Prozesses sind. Verfügen sie über die Fähigkeiten, die in neuen Bereichen wie den sozialen Medien, dem elektronischen Handel oder der digitalen Technologie gebraucht werden?
Es ist noch ein weiterer Aspekt zu bedenken: Der Aufbau eines Unternehmens ist eine schwierige und anstrengende Aufgabe. Gründer sind für alles verantwortlich und haben oft sehr lange Arbeitszeiten. Sie nehmen sich kaum Zeit, einmal abzuschalten oder Urlaub zu machen. Nachdem die schwierigen Aufgaben bewältigt sind, möchten sich viele neu orientieren, sich wieder stärker ihrer Familie widmen und eine Auszeit genießen.
Gründer, die das Kommando doch wieder selbst übernommen haben
In dieser Situation haben sich schon viele Gründer wiedergefunden. Bezos gab im Juli 2021 bekannt, dass er als CEO von Amazon, das er in 27 Jahren von einem Online-Buchgeschäft in einer Garage zu einem der weltweit größten Konzerne gemacht hatte, zurücktreten werde.
In seiner neuen Position als geschäftsführender Verwaltungsratsvorsitzender widmet sich Bezos nun neuen Produkten und Projekten im Anfangsstadium. Bill Gates bei Microsoft, Jack Ma bei Alibaba und Sergey Brin bei Google standen vor einer ähnlichen Entscheidung.
Der Übergang ist mit Sicherheit nicht einfach. Es gibt viele Beispiele für Gründer, die die Kontrolle abgegeben haben, um dann festzustellen, dass ihnen nicht gefällt, wie ihr Unternehmen geführt wird, und das Ruder wieder selbst in die Hand zu nehmen.
Ma zog die Kontrolle über sein Unternehmen wieder an sich, als er mit der Arbeit seiner Nachfolger unzufrieden wurde. Jobs, der 1985 aus dem Unternehmen gedrängt worden war, kehrte 1997 durch den Kauf seines neuen Projekts, des Softwareunternehmens NeXT, wieder zurück, als Apple kurz vor der Insolvenz stand.
Die Wahl des richtigen Nachfolgers sollte für Gründer in dieser Situation die oberste Priorität haben – und sie müssen der Versuchung widerstehen, sich für jemanden zu entscheiden, der ihnen selbst zu sehr ähnelt.
Die Wahl des Nachfolgers spielt eine entscheidende Rolle
Die Wahl des richtigen Nachfolgers sollte für Gründer in dieser Situation die oberste Priorität haben – und sie müssen der Versuchung widerstehen, sich für jemanden zu entscheiden, der ihnen selbst zu sehr ähnelt. Der passende Kandidat muss zwar die gleiche Tatkraft und das gleiche Engagement an den Tag legen, sollte aber möglicherweise über andere Kompetenzen verfügen.
Viele Gründer zeichnen sich durch hervorragende technische Fähigkeiten aus, die ihnen dabei geholfen haben, die Geschäftschance zu erkennen, doch ihr Nachfolger wird mehr betriebswirtschaftliche und organisatorische Fähigkeiten benötigen. Zudem braucht der neue CEO diplomatisches Geschick, um den Übergang zur erleichtern, und muss sich gleichzeitig darauf verstehen, das Unternehmen voranzubringen. Wer dieser Aufgabe am besten gewachsen ist, hängt unter Umständen auch davon ab, an welchem Punkt im Lebenszyklus des Unternehmens die betreffende Person die Nachfolge antreten soll.
Wichtig ist, eindeutig festzulegen, wie der scheidende CEO künftig eingebunden werden soll. Wird er die Rolle eines „weisen Ratgebers“ übernehmen? Er kennt das Unternehmen natürlich in jedem Fall am besten. Wird er dieses Wissen großzügig weitergeben, anstatt von außen Kritik zu üben?
Sich auf eine Mitarbeit in den Bereichen Innovation und strategische Planung zu beschränken, wie Bezos es getan hat, kann eine Lösung sein, die Gründern eine sinnvolle Möglichkeit bietet, ihre Talente und ihre Kreativität einzubringen. Sie dürfen jedoch keinesfalls in die Abläufe des Tagesgeschäfts eingreifen. Klare Festlegungen dazu, wie ihre neue Rolle aussehen soll, können dies erleichtern.
Weitreichende Verantwortung
Es gibt zahlreiche Ratschläge, wie sich ein nicht geschäftsführender Gesellschafter sinnvoll einbringen kann. In einem aktuellen Bericht hält der Personaldienstleister Korn Ferry fest, dass eine Person in dieser Rolle weitreichende und fundierte Führungserfahrung besitzen, ihre Unabhängigkeit bewahren sowie komplexe und zuweilen schwierige Fragen im Namen der Aktionäre des Unternehmens stellen muss. Laut Korn Ferry muss sie außerdem über hervorragende zwischenmenschliche Kompetenzen und Kommunikationsfähigkeiten verfügen, zuhören können, sich bei Bedarf aber auch Gehör verschaffen.
Ein wichtiger Aspekt, den ein scheidender CEO nicht aus den Augen verlieren darf, besteht darin, dass er als Verwaltungsratsmitglied jetzt für die Vertretung aller Aktionäre eines Unternehmens und nicht nur der aktiv an der Unternehmensführung beteiligten verantwortlich ist. Die Festlegung eindeutiger Erfolgsdefinitionen für den neuen CEO dürfte das Risiko verringern, dass der Gründer sich einmischt, weil er persönlich der Ansicht ist, dass das Führungsteam die Dinge falsch angeht.
Ein solcher Übergang ist trotz aller guten Absichten meist komplex und mit emotionalen Herausforderungen verbunden, daran besteht kein Zweifel. Klare Regelungen für beide Seiten ermöglichen jedoch einen leichteren Umgang mit eventuell auftretenden Problemen und bieten allen Beteiligten einen eindeutigen Rahmen für den Aufbau neuer Beziehungen.
Gründer müssen es schaffen, weiter zum Unternehmenserfolg beizutragen, ohne ihren Nachfolgern auf die Füße zu treten – eine echte Herausforderung.