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Dezember 29, 2024

SRI ist keine Modeerscheinung, sondern eine Voraussetzung für unsere Zukunft

  Olivier Goemans myINVEST Februar 21, 2020 2058

In einer Reihe früherer Artikel hat myLIFE die These hervorgehoben, dass thematische Anlagen eine Art sind, zukunftsorientierte Überzeugungen durch den Fokus auf säkularen Veränderungen zusammenzufassen. Wenn wir davon ausgehen, dass disruptive Ideen, Innovation, wirtschaftliche Kräfte und natürliche Ereignisse die Welt, in der wir leben, kontinuierlich neu gestalten, ist das Ziel thematischer Anlagen, diese Veränderungen zu identifizieren und in Unternehmen zu investieren, die aufgrund ihrer strategischen Ausrichtung davon profitieren. Auf dieser Grundlage scheint es uns offensichtlich, dass nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Investieren (SRI) die Mutter aller thematischen Anlagen ist. Wir halten es für unsere Pflicht, uns engagiert dafür einzusetzen, dass die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung priorisiert und der Klimawandel als dringlichstes Thema unserer Zeit angesehen werden.

Wenngleich die Abkürzung SRI bislang für Socially Responsible Investment, also sozial verantwortliches Investieren, stand, verwenden wir diese in der Bedeutung Sustainable & Responsible Investment, also nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Investieren. Es muss deutlich werden, dass nachhaltiges und verantwortungsbewusstes Investieren kein Versuch ist, den Sinn des Lebens zu interpretieren. Genauso wenig ist SRI ein oberflächliches Konzept, ein Marketing-Gag oder ein verzweifelter Versuch, sich in Empathie zu üben. Es ist einfach eine Kombination aus gutem Willen, gesundem Menschenverstand und Best Practices im Anlagebereich, die wir mit verschiedenen fundamentalen Werten kombinieren können (wirtschaftliche, finanzielle, gesellschaftliche Werte usw.). SRI bedeutet, verantwortungsbewusst zu handeln und als Fürsprecher des Wandels aufzutreten, um diese Grundsätze und damit unsere künftige Existenzfähigkeit aufrechtzuerhalten.

SRI aus Sicht der Wirtschaft

Zunächst einmal müssen wir verstehen, was Wirtschaftsmodelle tun – sie helfen uns, Entscheidungen zu treffen, wenn es darum geht, knappe Ressourcen effizient einzusetzen, zu verstehen, warum Ressourcen auf diese Weise aufgeteilt wurden, und die Konsequenzen solcher Entscheidungen zu verstehen. Wenn man davon ausgeht, dass Finanzen und Wirtschaft miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen, ist es schwierig zu verstehen, warum wir so lange dafür brauchen, zu realisieren, dass der Klimawandel durch Marktversagen entstanden ist. Treibhausgasemissionen sind ein Nebeneffekt von Wirtschaftsaktivitäten, wobei künftige Generationen die Auswirkungen zu spüren bekommen werden – Ökonomen würden dies als „externe Faktoren“ definieren. Der Weckruf an unsere Gesellschaft (von Klimastreiks bis hin zu Warnungen, dass Wetterereignisse biblische Ausmaße erreichen werden1) macht schlicht deutlich, worauf Anlageentscheidungen basieren sollten.

„Unternehmen werden letztlich erfolgreicher sein, wenn sie sich darauf konzentrieren, Kundenanforderungen zu erfüllen, anstatt sich selbst in eine eng definierte Produktkategorie zu pressen.” (Theodore Levitt)

Theodore Levitt, amerikanischer Ökonom und Professor an der Harvard Business School, prägte nicht nur den Begriff der Globalisierung, sondern ist auch für die „Marketing-Kurzsichtigkeit” bekannt. Gemäß einem von Levitt im Jahr 1960 veröffentlichten Artikel, werden Unternehmen letztlich erfolgreicher sein, wenn sie sich darauf konzentrieren, Kundenanforderungen zu erfüllen, anstatt sich selbst in eine eng definierte Produktkategorie zu pressen. Levitt zufolge betrifft „Marketing-Kurzsichtigkeit“ das gesamte Unternehmen und nicht nur die Marketing-Abteilung2. Ein hervorragendes Beispiel von Levitt bezieht sich auf Öl- und Gasunternehmen. Er merkte an, dass Kunden im Grunde genommen Energie brauchen. Energieunternehmen setzten dies jedoch mit dem Bedarf nach chemischen Energieträgern wie Öl und Benzin gleich (obwohl es in Wirklichkeit diverse andere Energiequellen gibt). Die Ölindustrie konzentrierte ihre Bemühungen weiter allein darauf, die Bohrmethodik und die Förderung des Produkts selbst zu verbessern, weil sie der Meinung war, dass das Produkt angesichts einer wachsenden Bevölkerung geradezu lebensnotwendig ist. Der Grund für die fälschliche Definition ihrer Branche war, dass sie ölorientiert statt energieorientiert und damit produktorientiert statt kundenorientiert vorging. Die Menschen kaufen im Grunde kein Benzin, sondern das Recht, weiterhin ihre Autos fahren zu können. Klimawissenschaften werden schon viel zu lange verleugnet. Schlimmer noch: wissenschaftliche Forschung, die von bestimmten führenden US-Ölunternehmen Anfang der 70er-Jahre finanziert wurde, wurde letztlich einfach weggeworfen.

Es wird heute immer offensichtlicher, dass Unternehmen und ihren Führungskräften eine wichtige Rolle im Kampf gegen gesellschaftliche Probleme zukommt. Des Weitern ist es kein Zufall, dass die „modernisierte“ Erklärung des Zwecks von Unternehmen Kunden, Lieferanten und Gemeinschaften auf dieselbe Stufe gehoben hat wie Aktionäre. Selbst Alfred Rappaport, der berühmte Ökonom hinter dem Konzept des Shareholder Value in den 80er-Jahren3 änderte seinen Blickwinkel 2011 in einem neuen Buch, in dem es darum ging, den Kapitalismus vor kurzfristigem Denken und Handeln zu bewahren. Er wies darauf hin, dass das derzeitige Wirtschaftsmodell Anreize für die Liquidierung des Naturkapitals zugunsten des sofortigen Gewinns biete4.

Die Integration von ESG-Aspekten wird zunehmend als wesentlicher Teil einer vollständigen fundamentalen Investmentanalyse angesehen, die die traditionelle Analyse von Finanzinformationen ergänzt.

SRI: Von der Theorie zur Praxis

Ein gemeinsames Rahmenwerk über SRI befasst sich mit der Einbindung der Kriterien Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social and Governance, ESG). Dabei geht es im Grunde darum, dass ESG-Überlegungen (explizit und systematisch) in die Anlageanalyse und -entscheidungen eingebettet werden. Die Integration von ESG-Aspekten wird zunehmend als wesentlicher Teil einer vollständigen fundamentalen Investmentanalyse angesehen, die die traditionelle Analyse von Finanzinformationen ergänzt. ESG muss weder Ausschlüsse bedeuten, noch wird im Voraus festgelegt, was gut und was schlecht ist. ESG-Informationen können verschiedenen Quellen entstammen, am häufigsten Unternehmensberichten und spezialisierten Anbietern von ESG-Research bzw. ESG-Daten.

Anlageentscheidungen sind erst nach der Überprüfung von Informationen, Daten und Research möglich. Zukunftsorientierte ESG-Analysen und die Einbindung von ESG-Kriterien eröffnen neue Blickwinkel und ergänzen traditionellere Researchmethoden. Sie helfen dabei, das Risiko umfassend zu steuern und einen breiter gefassten, ganzheitlicheren Risikomanagementansatz zu verfolgen. Darüber hinaus wird so sichergestellt, dass die Chancen, die eine nachhaltige Sichtweise bietet, nicht außer Acht gelassen werden. Megatrends wie sauberes Wasser, saubere Energie und Energieeffizienz müssen einfach die nächsten großen globalen Branchen darstellen.

Wenn Sie der Meinung sind, dass es sich bei der nicht finanziellen Berichterstattung von Unternehmen um einen esoterischen Trend handelt, möchten wir Sie auf eine kurze Zeitreise zurück in die frühen 1900er-Jahre mitnehmen. Genauer gesagt ins Jahr 1903, als U.S. Steel den ersten geprüften Jahresabschluss überhaupt veröffentlichte. Es handelt sich um die früheste bekannte Version des modernen Geschäftsberichts, wie ihn Unternehmen heute herausgeben. Was damals als Meilenstein angesehen wurde, hat sich zu einer Berichterstattungsvorlage und zu einer Voraussetzung für Anleger entwickelt, die neben Dividende, Börsenpreis, ungeprüftem Ergebnis- und Umsatzzahlen an weiteren Details interessiert sind.  Wie Morgan Housel diagnostizierte5, „haben wir nach einem Zeitalter, in dem Anleger noch nicht einmal wussten, welchen Gewinn das Unternehmen erwirtschaftet hat, nunmehr ein Zeitalter erreicht, in dem wir die Profile der Angestellten eines Unternehmens auf LinkedIn anschauen können, um herauszufinden, welche Universität sie besucht haben.“ In der heutigen Welt haben wir praktisch unbegrenzten Zugang zu Informationen. Unternehmen und Führungskräfte werden definitiv an einem Strang ziehen müssen.

1 „Das Wetter hat fast biblische Ausmaße erreicht … Angesichts der langfristigen Bedrohung und der kurzfristigen Ausrichtung der Politik stellt das Versagen der politischen Entscheidungsträger in Bezug auf den Klimawandel eine existenzielle Bedrohung dar” – Evan Greenberg, CEO von Chubb (Chubb ist der weltgrößte börsengehandelte Schaden- und Unfallversicherer).
2 https://hbr.org/2006/10/what-business-are-you-in-classic-advice-from-theodore-levitt
3 Alfred Rappaport – Buch „Creating shareholder value“ (1986)
4 Alfred Rappaport – Buch „Saving Capitalism from short-termism: how to build long-term value and take back our financial future“ (2011)
5 „You can see where this is going“ von Morgan Housel und dem Collaborative Fund Team