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Juni 1, 2023

Vom benchmark-basierten zum themenorientierten Anlegen: Anlagen mit Schwerpunkt auf der Zukunft

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST November 15, 2019 41

Die zehn Jahre seit der globalen Finanzkrise sind von bedeutenden strukturellen Veränderungen in der Weltwirtschaft gekennzeichnet. Die Zinssätze sind beharrlich niedrig, das Wirtschaftswachstum ist schwach und in einigen Sektoren haben neue Technologien, neue Wettbewerber und neue Geschäftsmodelle für massive Umwälzungen gesorgt – und hier und da auch Opfer gefordert. Bei all diesen Entwicklungen setzt sich auch der Trend zur Globalisierung fort, so sehr sich manche Regierung auch wünschen mag, dass es anders wäre.

Diese Veränderungen nahmen viele Vermögensverwalter zum Anlass, neu zu bewerten, wie Anlageportfolios am besten verwaltet werden können. Ist es beispielsweise sinnvoll, eine Anlage davon abhängig zu machen, in welchem Land ein Unternehmen seinen Hauptsitz hat oder börsennotiert ist, wenn es doch seine Umsätze weltweit erwirtschaften kann? Der Luxusgüter- und Getränkekonzern LVMH gilt zum Beispiel als französisches Unternehmen, erzielt aber nur 10 % seiner Umsätze in Frankreich und lediglich 29 % in Europa insgesamt.

Einschränkungen durch Benchmarks

Ist es in einer Zeit, in der Unternehmen für massive und zuweilen katastrophale Störungen anfällig sind, darüber hinaus überhaupt sinnvoll, sich bei einer Anlagestrategie auf traditionelle Benchmarks zu stützen? Dieser Ansatz ist mit dem Risiko verbunden, dass man möglicherweise in viele seit langer Zeit etablierte Unternehmen investiert, die letztlich Verlierer des technologischen Wandels sein könnten, andererseits aber neue und kleinere Unternehmen übersieht, die diese Veränderungen herbeiführen.

Beim benchmark-basierten Anlegen gibt es noch einige weitere Probleme, wie die McKinsey-Analysten Vincent Bérubé, Sacha Ghai und Jonathan Tétraultin ihrer Studie „From indexes to insights: The rise of thematic investing“ aus dem Jahr 2014 herausfanden. Sie erklären: „Der kurzfristige Fokus des vierteljährlichen Abgleichs mit einer Benchmark steht mit einem der großen Vorteile im Widerspruch, den institutionelle Anleger haben, nämlich mit dem langfristigen Anlagehorizont.“

„Relative Investments können Anleger unerwünschten Risiken aussetzen.”

„Eine strikte Fokussierung auf die Benchmark bedeutet, dass ein Anleger die Chance verpassen kann, fehlbewertete Vermögenswerte zu erkennen. Ihm kann auch die Liquiditätsprämie entgehen, die er erzielen könnte, wenn er illiquide langfristige Anlagen mit einem Abschlag kauft. Relative Investments können Anleger unerwünschten Risiken aussetzen.”

Breite globale Trends

Seitdem sah die Reaktion vieler institutioneller Anleger auf diese Probleme so aus, dass sie sich vielmehr auf Themen konzentrierten. Dabei geht es darum, langfristige, gut etablierte und beständige Trends in der Wirtschaft und Gesellschaft weltweit zu erkennen und Unternehmen ausfindig zu machen, die diesen Trends ausgesetzt sind – egal, in welchem Teil der Welt.

Wenn man genauer darüber nachdenkt, ergibt das durchaus Sinn. Innerhalb eng gefasster geografischer Grenzen zu investieren, wenn Unternehmen weltweit konkurrieren, ergibt indes immer weniger Sinn. Wenn ein deutsches Konsumgüterunternehmen in Europa Marktanteile an einen handlungsschnelleren französischen Konkurrenten verliert, würden Anleger profitieren, wenn sie das französische Unternehmen im Portfolio halten – die von Konkurrenten ausgehende Gefahr ist aber vielleicht nicht so offensichtlich, wenn der Fokus der Anleger ausschließlich auf Deutschland liegt.

Die verfügbaren Themen sind normalerweise breit gefasst, zum Beispiel „Wachstum der Weltbevölkerung“. Die Vereinten Nationen prognostizieren aktuell, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,6 Milliarden Menschen anwachsen wird. Dabei wird aber auch die Mittelschicht erheblich wachsen, insbesondere aufgrund des zunehmenden Wohlstands in den Schwellenländern. Dies wird Auswirkungen auf die bisherigen Muster in Bereichen wie Konsum, Landwirtschaft und Wohnraum haben und könnte die Wachstumsperspektiven von Unternehmen in diversen Bereichen stark beeinflussen.

Überalterung der Gesellschaft

Ein weiterer bedeutender weltweiter Trend ist die zunehmende Verstädterung. Bereits mehr als jeder zweite Mensch auf der Welt lebt in der Stadt, und jede Woche wächst die Bevölkerung in den Städten der Welt um rund 1,5 Millionen Menschen – dadurch steigt die Nachfrage nach Infrastruktur wie Stromversorgungs-, Straßen-, Versorgungs- und Mobilfunknetzen.

Die Alterung der Bevölkerung verändert zudem die Annahmen und Anlageüberlegungen. Sehr bald wird es weltweit mehr Menschen über 65 Jahren als Kinder unter fünf Jahren geben, und Länder wie Japan spüren bereits das starke Ungleichgewicht zwischen der wachsenden Zahl von nicht mehr berufstätigen Ruheständlern und der sinkenden Zahl von Erwerbstätigen. Diese Veränderungen bringen bedeutende Chancen für Unternehmen mit sich, die sich auf die Bedürfnisse alter Menschen eingestellt haben, denen ein jahrzehntelanger Ruhestand winkt, sowie für Unternehmen, die Maschinen und Systeme bereitstellen, die den Bedarf nach menschlicher Arbeitskraft verringern.

Die Befürworter des themenorientierten Anlegens führen an, dass sich damit die schwierige Aufgabe umgehen lässt, Vorhersagen zu den wirtschaftlichen Aussichten einzelner Länder zu treffen. Solche Prognosen sind bestenfalls willkürlich, und die Wahrscheinlichkeit, die Zukunftsaussichten richtig vorherzusagen und die richtigen Anlageentscheidungen zu treffen, ist daher eher gering.

Die Befürworter des themenorientierten Anlegens führen an, dass sich damit die schwierige Aufgabe umgehen lässt, Vorhersagen zu den wirtschaftlichen Aussichten einzelner Länder zu treffen.

Thematisches Anlegen und Nachhaltigkeit

Die stärkere Verbreitung von thematischen Ansätzen passt gut zum zunehmenden Trend zu nachhaltigen Anlagestrategien. Anlagen aus der Perspektive der Nachhaltigkeit – unter Berücksichtigung des Verhaltens von Unternehmen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance – sind sowohl für sich genommen ein eigenes Thema als auch ein Overlay für Portfolios, die andere Kriterien zugrunde legen. Der Umstand, dass der Klimawandel und saubere Luft immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rücken, dürfte zum Beispiel Unternehmen zugutekommen, die in der Bereitstellung alternativer Energien tätig sind oder Lösungen zur Schadstoffminderung anbieten.

Themen bieten Anlegern die Möglichkeit, nach vorn statt zurückzublicken, was wichtig ist in einer Zeit, in der die Wertentwicklung in der Vergangenheit weniger denn je ein Maßstab für die zukünftigen Ergebnisse ist. Die historische Performance eines stationären Einzelhändlers oder eines Warenhauses ist in Zeiten von Amazon und Co. bedeutungslos; ein thematischer Ansatz würde die Anleger dagegen zu Unternehmen führen, die von den digitalen Umwälzungen profitieren dürften.

Thematisches Anlegen ist allerdings mit einigen Herausforderungen verbunden. Es ist nicht immer einfach, „themenreine“ Engagements aufzubauen. So verfügen etwa einige führende Anbieter alternativer Energielösungen auch über ein beachtliches Geschäft im Bereich der fossilen Brennstoffe.

Anpassung von Finanzmodellen

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Thema künstliche Intelligenz. Sie ist vielleicht nur für einen kleinen Teil der Umsätze von Unternehmen verantwortlich, die von ihr am stärksten profitieren dürften. Themenorientiert investierende Anleger müssen daher entscheiden, wie stark das Engagement oder wie groß die Position sein muss, um die erhoffte Performance zu erzielen.

Gleichzeitig sind viele Finanzmodelle unangemessen, da sie den Anforderungen des thematischen Anlegens nicht genügen. Viele Anlageverwalter stützen sich noch immer auf Renditeziele, die an eine Benchmark gebunden sind, oder legen bei der Vermögensaufteilung eng gefasste geografische Kriterien zugrunde. Dadurch kann es schwierig werden, themenorientiert anzulegen – gleichgültig, wie überzeugend die Beweggründe erscheinen.

Doch dies ändert sich mit der Zeit zunehmend, je mehr das thematische Anlegen an Dynamik gewinnt. Man darf nicht vergessen, dass dieser Anlageansatz noch relativ jung ist und es erst im Laufe der Zeit Belege geben wird, die einige der Theorien und Annahmen untermauern. Doch weil das thematische Anlegen die Welt so widerspiegeln soll, wie sie ist und nicht wie sie einmal war, dürfte es sich langfristig immer mehr etablieren.