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Dezember 20, 2024

Wirtschaft, Soziales und Ökologie

  Olivier Goemans myINVEST August 25, 2020 1188

Die Rolle der Ökonomen in unserer Gesellschaft sollte darin bestehen, uns in jedem Marktumfeld den Weg zu weisen und uns dabei zu helfen, das Wirtschaftssystem, seine Funktionsweise und die verschiedenen Gesetze und Dynamiken, von denen es beherrscht wird, besser zu verstehen. Doch wir sollten sie nicht unsere Ziele bestimmen lassen. – Die ist die Ansicht von Yuval Noah Harari, und sie stößt bei mir, dessen Erziehung maßgeblich vom Geiste des Neoliberalismus geprägt ist, auf vollkommene Zustimmung.

Weiter führt Y. N. Harari aus: „Das Problem der Ökonomen ist nicht, dass viele ihrer Vorhersagen nicht eintreffen. Die Wirtschaftswissenschaft ist schließlich keine Pseudowissenschaft. Das Problem ist, dass gemeinhin erwartet wird, dass die Ökonomen unsere Ziele bestimmen. Der Mensch wurde nicht geschaffen, um das „magische“ BIP zu steigern, und umgekehrt sollte das BIP auch nicht als Maßstab des Erfolgs verstanden werden. Wir sind auf wirtschaftliche Theorien und Modelle angewiesen, um Produktion und Konsum besser zu verstehen und die Konjunkturentwicklung zu unseren Gunsten zu formen. Aber sie dürfen keinesfalls zur Definition eines Ziels dienen. Jeder muss für sich selbst seine Ziele definieren.“1

Mein persönliches Ziel ist es, der Mann zu sein, für den meine Kinder mich halten und von dem meine Eltern sich gewünscht haben, dass er eines Tages aus mir werden würde – eine anspruchsvolle Aufgabe und niemals enden wollende Herausforderung. Sie entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage, und ist rein subjektiv, voller Stolpersteine und voller falscher Entscheidungen.

Statt nach einem einzigen Ziel, d. h. dem Gewinn, zu streben, sollten sich Unternehmen lieber drei gleichwertige Ziele setzen: den finanziellen Gewinn, den Gewinn für unsere Gesellschaft und den Gewinn für unseren Planeten.

Als Gesellschaft sollten unsere Ziele auch die Schaffung einer nachhaltigen Welt umfassen – einer Welt, in der wir gleichermaßen nach ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Integration und wirtschaftlicher Entwicklung streben. Dieses Konzept wird gemeinhin als das Drei-Säulen-Prinzip der nachhaltigen Entwicklung bezeichnet, dem zufolge Unternehmen neben der reinen Gewinnerzielung gleichermaßen soziale und ökologische Ziele verfolgen sollten. Das Konzept beruht auf der Vorstellung, dass es statt eines einzigen Ziels, des Gewinns, drei gleichwertige Ziele geben sollte: Wirtschaft, Soziales und Ökologie. Um uns ein vollständiges Bild machen zu können, müssen wir den Wertschöpfungsprozess in seiner Gesamtheit verstehen und messen, und dürfen ihn nicht in die Form einer reinen Gewinn- und Verlustrechnung pressen. Denn im wirklichen Leben spielen bei der Bestimmung, ob ein Unternehmen weiterhin Bestandskraft hat und Gewinne erzielen wird, alle drei Faktoren eine wichtige Rolle –- kein Geschäftsmodell der Welt kann auf Dauer bestehen, wenn lediglich eines dieser Ziele verfolgt wird.

Welche Folgen es hat, das Drei-Säulen-Prinzip völlig außer Acht zu lassen, zeichnet sich inzwischen immer deutlicher ab, und die Risiken werden den Unternehmen und Investoren auch immer stärker bewusst. Letztendlich geht es bei diesem Thema jedoch nicht allein um Risiken, sondern auch um Chancen. Nachhaltigkeit könnte und sollte als die größte Chance schlechthin für Unternehmenswachstum und Marktführerschaft betrachtet werden. Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) bilden dabei den Rahmen, in dem die wichtigsten Formen von Kapital (Humankapital, Sozialkapital, Sachkapital und Naturkapital) zusammengefasst werden, die für nachhaltige Geschäftsmodelle und nachhaltiges Investieren unerlässlich sind.

Wir sollten die Coronakrise dementsprechend als Weckruf in Bezug auf unsere Schwächen ansehen. Die Krise hat dem Interesse an verantwortungsbewussten Anlagen keinen Abbruch getan. Denn tatsächlich ist den Anlagezielen der Anleger besser gedient, wenn auch auf die Schaffung eines grünen Aufschwungs geachtet wird. Sogar die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die als die Bank der Zentralbanken gilt, betont, dass „die Auswirkungen globaler Risiken wie Pandemien den Kompromiss zwischen der Effizienz und der Beständigkeit unserer Produktionssysteme veranschaulichen. […] Viele politische Entscheidungsträger befürworten einen „grünen Aufschwung“, da sie aus der Krise ihre Lehren gezogen haben. Gleichzeitig sind sie sich aber auch der Herausforderungen bewusst. Vor diesem Hintergrund gibt es zahlreiche praktische Lösungsvorschläge, wie etwa massive gezielte öffentliche Investitionen, mit denen zeitnah zu einer nachhaltigeren „grünen Erholung“ beigetragen werden könnte, die einen geringeren CO2-Fußabdruck aufweist und mit der die Risiken neuer grüner Schwäne verringert oder zumindest nicht weiter verschärft werden würden.“2

Der wesentliche Unterschied zwischen der aktuellen und der letzten Krise besteht darin, dass sie dieses Mal deutlich weniger zulasten reicher als zulasten weniger wohlhabender Bevölkerungsschichten geht. Die Auswirkungen dieser Pandemie bekommen Menschen mit den geringsten Ersparnissen, den unsichersten Arbeitsplätzen und Wohnsitzen sowie einem Durchschnittsgehalt oder weniger am stärksten zu spüren.  Der Vorsitzende der US-Notenbank, Jerome Powell, äußerte kürzlich, dass im März rund 40 % der Amerikaner mit einem Jahreseinkommen weniger als 40.000 US-Dollar ihren Arbeitsplatz verloren haben. „Dieser wirtschaftliche Einbruch hat zu einem extrem hohen Maß an Belastung geführt, das nur schwer in Worte zu fassen ist, da durch die äußert ungewisse Zukunft das ganze Leben so vieler Menschen auf den Kopf gestellt wurde“, sagte er.

Die gegenwärtige Pandemie verstärkt die soziale Ungleichheit und stellt sie zudem deutlicher heraus. Wir werden uns daher auch mit den wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Folgen der Krise auseinandersetzen müssen. Mit der Krise rückt auch die Sozialpolitik von Unternehmen gegenüber ihren wichtigsten Interessensgruppen, einschließlich ihrer Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden, in den Blickpunkt. Wir rechnen damit, dass sich zum Ende der Krise auf Seiten der Unternehmen ein Paradigmenwechsel vollziehen und sich ihr Fokus von rein geschäftlichen Zielen hin zu gesellschaftlichen Zielen verlagern wird. Zudem sind wir der Überzeugung, dass sich die Berücksichtigung von gesellschaftlichen Aspekten in der Investmentbranche zu einem nicht mehr wegzudenkenden Thema entwickeln wird.

Soziale Integration, der Erhalt unseres Planeten und effiziente Ressourcenverwendung sind zusammengenommen nichts anderes als die Definition des Ausdrucks „nachhaltige Entwicklung“.

Die Schlussfolgerung ist, dass soziale Integration, der Erhalt unseres Planeten und effiziente Ressourcenverwendung zusammengenommen nichts anderes sind als die Definition des Ausdrucks „nachhaltige Entwicklung“. Nachhaltige Entwicklung lässt sich also als eine Entwicklung beschreiben, die darauf ausgerichtet ist, unsere gegenwärtigen Bedürfnisse zu erfüllen, ohne dabei künftige Generationen der Möglichkeit zu berauben, die ihren zu erfüllen. Für uns als Eltern ist dies Teil unserer allgemeinen Pflichten. Es erfordert lediglich gesunden Menschenverstand, der mir persönlich offenbar bereits vor einer Weile infolge einer Art Gehirnwäsche aus Bildung und Privilegien abhandengekommen ist. Es ist nie zu spät, aufzuwachen und zu handeln. Allerdings ist auch Zeit ein endliches Gut, und die Uhr steht inzwischen auf fünf vor zwölf … Ein Bewusstsein entwickelt zu haben, ist bereits ein guter Anfang. Doch nun sollten dringend auch Taten folgen und zielgerichtetes Investieren zum Standard werden.


1 Podcast Outrage & Optimism, Folge 15: „The history of our future“.

2 „Green Swan 2 – Climate change and COVID-19: reflections on efficiency versus resilience“. Rede von Luiz A. Pereira da Silva, basierend auf Anmerkungen auf der OECD Chief Economist Talk Series am 23. April 2020 in Paris und dem Research Webinar der BIZ am 13. Mai 2020.