Wir haben die Qual der Wahl!
Waren Sie schon einmal in der Situation, sich nicht entscheiden zu können, als es darauf ankam? Vielleicht hatten Sie sich vorgenommen, den Telefonanbieter zu wechseln, oder Sie wollten einen neuen Wein ausprobieren. Doch angesichts der Vielzahl von Auswahlmöglichkeiten sind Sie am Ende bei Ihrem bisherigen Anbieter geblieben. Und nach reiflicher Überlegung fiel Ihre Wahl letztlich wieder auf den Grauburgunder von der Mosel, den Sie üblicherweise kaufen. Die richtige Wahl zu treffen, ist nicht einfach. Was tun?
Wer hat nicht schon ähnliche Erfahrungen gemacht und war in dem Moment, als eine Entscheidung getroffen werden musste, blockiert? Dieses Phänomen ist seit Jahrzehnten bekannt, und es gibt keinen Grund, sich Sorgen zu machen, wenn Sie sich in einer solchen Situation wiederfinden. Doch wenn man versucht, den dahinter liegenden Mechanismus zu verstehen, kann man solche Erfahrungen in Zukunft vielleicht vermeiden. Sich in einer wichtigen persönlichen oder beruflichen Angelegenheit nicht entscheiden zu können, wäre schließlich sehr unangenehm. Schauen wir uns dies genauer an.
Verminderte Entscheidungsfähigkeit
Die Fähigkeit, frei zu entscheiden, ist von zentraler Bedeutung für die Autonomie einer Person und ihre Entfaltungsmöglichkeiten. Dies setzt voraus, zwischen mehreren Optionen wählen zu können. In unserer Gesellschaft ist dies in praktisch allen Bereichen möglich. Im digitalen Zeitalter haben sich unsere Wahlmöglichkeiten in vielen Aspekten unseres Lebens drastisch erhöht, von den Frühstücksflocken über Kleider und Handyanbieter bis hin zu Geldanlagen. Fast alles ist möglich und in unzähligen Varianten verfügbar.
Mehr Wahlmöglichkeiten führen nicht dazu, dass man sich besser entscheiden kann. Die Entscheidungsfähigkeit unseres Gehirns ist begrenzt. Dies gilt auch bei unbegrenzter Wahlfreiheit.
Doch erhöht sich dadurch wirklich unsere Autonomie, und sind wir dadurch zufriedener? Tatsächlich führen mehr Wahlmöglichkeiten nicht dazu, dass man sich besser entscheiden kann. Die Entscheidungsfähigkeit unseres Gehirns ist begrenzt. Dies gilt auch bei unbegrenzter Wahlfreiheit.
Gibt es jemanden, der vor einer Entscheidung alle Vor- und Nachteile sämtlicher Optionen abwägt und dabei jedes noch so kleinste Detail berücksichtigt? Wohl kaum! Meistens lassen wir uns von Eindrücken und Vorurteilen leiten. Das Ergebnis sind voreingenommene, übereilte und nicht durchdachte Entscheidungen.
Die Auswahlüberlastung ist ein häufiger Grund für schlechte Entscheidungen. Dabei handelt es sich um ein kognitives Phänomen, das auftritt, wenn wir bei Entscheidungsprozessen mit zu vielen Optionen konfrontiert sind und es uns schwerfällt, zwischen diesen zu wählen. Die Auswahlüberlastung tritt besonders häufig auf, wenn wir eine Entscheidung in einem Bereich treffen müssen, in dem wir uns nicht gut auskennen.
Dies kann erklären, warum Sie immer den gleichen Wein kaufen, wenn Sie kein Experte auf dem Gebiet sind, oder Sie sich nicht für die „richtige“ Geldanlage entscheiden können und Ihr Geld deshalb lieber auf einem Sparkonto parken.
Durch die Auswahlüberlastung wird nicht nur unsere Fähigkeit beeinträchtigt, eine Entscheidung zu treffen. Sie vermindert auch unsere Zufriedenheit mit der getroffenen Entscheidung. Dies kann am Ende dazu führen, dass wir entscheidungsmüde werden, wir ohne gründliche Prüfung die Standardoption wählen oder sogar vermeiden, eine Entscheidung zu treffen.
Genau wie jeder Mensch nur über begrenzte Energie verfügt, stoßen wir auch bei der Entscheidungsfindung an Grenzen.
Wir haben die Qual der Wahl
Warum hilft uns die Vielzahl an Wahlmöglichkeiten nicht bei der Entscheidungsfindung? Schlicht und einfach, weil uns das Abwägen der Optionen erschöpft. Genau wie jeder Mensch nur über begrenzte Energie verfügt, stoßen wir auch bei der Entscheidungsfindung an Grenzen.
Die Forscher Michael R. Cunningham und Roy F. Baumeister haben über 600 Studien analysiert und herausgefunden, dass das Treffen von Entscheidungen unsere Willenskraft erschöpft. Dieser Prozess wird als „Ego-Depletionׅ“ (Selbsterschöpfung) bezeichnet. So wie körperliche Aktivitäten die Muskeln des Körpers ermüden, beansprucht jede Entscheidung das Gehirn und erschöpft die Willenskraft, bis die Person nicht mehr in der Lage ist, gute Entscheidungen zu treffen.
Selbst kleine Entscheidungen können das Gehirn stark beanspruchen. Sheena S. Iyengar und Mark R. Lepper der Universität Columbia haben hierzu ein einfaches und aufschlussreiches Experiment durchgeführt. Sie boten Kunden in einem Supermarkt 24 Marmeladensorten zum Probieren an. Am nächsten Tag wiederholten sie das Experiment, wobei sie die Auswahl auf sechs Sorten verringerten.
Das Ergebnis? Zwar blieben bei dem Angebot von 24 Sorten mehr Menschen stehen, um die Marmelade zu probieren, doch nur 3 % davon kauften am Ende ein Glas. Von denjenigen, die am nächsten Tag eine der sechs Sorten probierten, entschlossen sich hingegen mehr als 30 % für einen Kauf. Das ist erstaunlich!
Wie uns die Entscheidungsarchitektur bei Entscheidungen hilft …
Dass wir oft Schwierigkeiten haben, uns zu entscheiden, ist seit langem bekannt. Sowohl Marketing-Experten als auch Politiker versuchen, dies zu nutzen, um unsere Entscheidungen in die „richtige“ Richtung zu lenken. Konkret geschieht das über die Gestaltung der Wahlmöglichkeiten. Auf diese Weise entstand das Konzept der Entscheidungsarchitektur.
Eine gute Entscheidungsarchitektur berücksichtigt die Funktionsweise unseres Gehirns sowie die Tatsache, dass wir über begrenzte kognitive Ressourcen verfügen. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass wir die Einfachheit der Komplexität vorziehen, kognitive Anstrengung eher vermeiden und alle Informationen ausblenden, die uns nicht wichtig erscheinen.
Bei der Entscheidungsarchitektur geht es darum, Entscheidungen in eine bestimmte Richtung zu lenken, indem Elemente in der jeweiligen Situation verändert werden.
Es geht darum, Entscheidungen in eine bestimmte Richtung zu lenken (man spricht hier von „Nudge“), indem Elemente in der jeweiligen Situation verändert werden. Bei dieser Art der Beeinflussung von Entscheidungen wird nicht auf Verbote zurückgegriffen. Wir können weiterhin frei wählen, doch die Entscheidung ist scheinbar einfacher geworden, da eine bestimmte Option oder ein bestimmtes Attribut hervorgehoben wird, sodass andere Aspekte in den Hintergrund treten. Dies gilt beispielsweise für Optionen, die standardmäßig in einem Angebot enthalten sind, wir aber auch ablehnen können, sofern wir diese Entscheidung aktiv treffen.
Eingriffe in die Entscheidungsarchitektur sind ein wirksames Mittel, weil unser Verhalten und unsere Entscheidungen wesentlich dadurch beeinflusst werden, wie wir unsere Umgebung strukturieren. Selbst kleine und scheinbar unbedeutende Veränderungen können große Auswirkungen haben. Wenn man weiß, welche Aspekte uns auf bestimmte Weise reagieren lassen und wie man diese kontrollieren kann, ist man in der Lage, unsere Umgebung so zu strukturieren, dass wir uns eher in die eine als in eine andere Richtung entscheiden. Das muss nicht unbedingt schlecht sein.
Die Gestaltung der Entscheidungsarchitektur zielt grundsätzlich darauf ab, uns das Leben zu erleichtern und uns Orientierung zu geben, ohne jedoch unsere kognitive Entscheidungsfähigkeit einzuschränken. Für die Nudge-Theorie hat Richard Thaler, der das gleichnamige Buch zusammen mit Cass Sunstein verfasst und 2008 veröffentlicht hat, übrigens den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten. Mit der Theorie der Entscheidungsarchitektur kann ein Beitrag zur Förderung des Gemeinwohls geleistet werden.
Indem man es sich beispielsweise zunutze macht, dass Menschen dazu neigen, Standardoptionen beizubehalten, statt sich aktiv gegen diese zu entscheiden, hat Nudging zu einer Zunahme der Organspenden in Ländern geführt, die eine Widerspruchslösung eingeführt haben, nach der jeder als Organspender gilt, der sich nicht explizit dagegen entschieden hat. Man kann also widersprechen. Doch das tun viele nicht. Die Zahl der Spender ist infolgedessen viel höher, als es sonst der Fall gewesen wäre.
… oder manipuliert
Die Entscheidungsarchitektur kann allerdings auch dahingehend verändert werden, um den Bürger oder Verbraucher in eine Richtung zu schubsen, die nicht unbedingt in seinem Interesse liegt. Dahinter muss nicht unbedingt eine böse Absicht stecken. Die Tatsache, dass die Entscheidung beeinflusst wird, hat jedoch Konsequenzen.
Dies zeigte sich in den 1990er-Jahren in den USA, als die Bundesstaaten New Jersey und Pennsylvania Gesetze einführten, nach denen den Bürgern zwei Optionen bei Kfz-Versicherungen angeboten werden mussten. Sie hatten die Wahl zwischen einer teureren Vollkaskoversicherung und einer günstigeren Teilkaskoversicherung.
In Pennsylvania war die teurere Versicherung die Standardoption, während in New Jersey die günstigere Versicherung die Standardoption war. In beiden Bundesstaaten wurde in den meisten Fällen ein Vertrag mit der jeweiligen Standardoption abgeschlossen und es wurde nicht aktiv die andere Auswahlmöglichkeit gewählt.
Die vorgeschlagene Option ist nicht unbedingt die beste für uns.
Wie dieses Beispiel zeigt, ist es zwar nützlich, Entscheidungshilfen zu haben. Doch sollten wir uns immer die Frage stellen, ob mit der Entscheidungsarchitektur eine bestimmte Absicht verfolgt wird. Die vorgeschlagene Option ist nicht unbedingt die beste für uns. Dies gilt insbesondere für den Marketingbereich und in den Fällen, in denen Unternehmen eine Auswahlmöglichkeit vorschlagen und dabei eher ihre eigenen Interessen und Verkaufsziele im Blick haben. Deshalb müssen wir lernen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, ohne uns durch eine Entscheidungsarchitektur in eine für uns ungünstige Richtung drängen zu lassen.