Finanzielles Wohlbefinden: Was man von einkommensschwachen Haushalten lernen kann
Wie lässt sich finanzielles Wohlbefinden messen? In einem Artikel über die Denkweise finanziell erfolgreicher Menschen haben wir erläutert, welche Einstellungen helfen können, ein positives Verhältnis zu seinen Finanzen zu entwickeln. Wenn es darum geht, die eigene finanzielle Situation optimal zu gestalten und zu verbessern, ist demnach unsere Wahrnehmung dieser Realität ebenso entscheidend wie die konkreten Zahlen.
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Finanzielles Wohlbefinden lässt sich nicht nur am objektiven Wert des Vermögens, sondern auch an der Wahrnehmung der eigenen finanziellen Situation messen. Deshalb ist es wichtig, sich in einer schwierigen finanziellen Situation nicht auf den Mangel zu konzentrieren, da man sonst in eine negative Gedankenspirale geraten könnte. Mit Blick auf die finanzielle Wahrnehmung ist es entscheidend, zwischen Mangel und Sparsamkeit zu unterscheiden. Auch wenn man nur sehr wenig hat, aber gut mit seinen Finanzen umgehen kann, ist es möglich, zufrieden zu sein. Umgekehrt kann man viel haben und sich dennoch arm fühlen.
Was ist finanzielles Wohlbefinden?
Bei der Beurteilung der finanziellen Situation von Verbrauchern wurden lange Zeit nur ihre Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie ihr Zugang zu Finanzdienstleistungen berücksichtigt. Selbstverständlich spielen diese Faktoren eine Rolle. Eine allgemeine Definition von finanziellem Wohlbefinden muss das Konzept der Tragbarkeit beinhalten. Letztere ist gegeben, wenn die Person über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, um ihre Grundbedürfnisse (Nahrung, Unterkunft, Gesundheit, Ressourcen usw.) zu befriedigen. Dies setzt ein regelmäßiges Einkommen und/oder Ersparnisse in ausreichender Höhe voraus, sodass kein Geld aufgenommen werden muss, um die Ausgaben für diese Grundbedürfnisse bestreiten zu können.
Dank der Verhaltensökonomie ist heute bekannt, dass finanzielles Wohlbefinden komplexer ist und in gleichem Maße auch durch psychologische Aspekte, Verhaltensweisen und Wahrnehmungen beeinflusst wird.
Heute ist bekannt, dass finanzielles Wohlbefinden stark durch psychologische Aspekte, Verhaltensweisen und Wahrnehmungen beeinflusst wird.
Im Jahr 2017 definierten die Forscherin Elisabeth C. Brüggen und ihre Koautoren finanzielles Wohlbefinden als „Wahrnehmung […], in der Lage zu sein, seine aktuellen und künftigen Ziele für den Lebensstandard und die finanzielle Freiheit zu erreichen“. So betrachtet ist es verständlich, warum sich Personen, die sparsam sind, aber in einem Umfeld leben, in dem sie keine Notwendigkeit zu erhöhtem Konsum sehen, finanziell frei fühlen und zufrieden sein können. Eine Person, die sich in einem Umfeld bewegt, in dem sie sich ständig mit anderen vergleicht, die einen höheren Lebensstandard haben, wird sich dagegen nicht wohl fühlen. Sie wird immer das Bedürfnis haben, ihren Konsum zu steigern, und trotz ihrer komfortablen Situation über ihre Verhältnisse leben. Dieser Zwang, immer mehr haben zu wollen, führt unweigerlich zu finanzieller Unzufriedenheit. Es ist eine untragbare Situation, die sich negativ auf die geistige und finanzielle Gesundheit auswirken kann.
Dieser Effekt ist als Easterlin-Paradox bekannt, das erstmals 1974 von Richard Easterlin beschrieben wurde. Es handelt sich um das Phänomen, das die positive Wirkung, die eine Erhöhung des Einkommens auf das Wohlbefinden hat, ab einer bestimmten Schwelle tendenziell abnimmt oder sich sogar umkehrt. In diesem Fall ist es die Einstellung einer Person und nicht ihr Einkommen, die sich negativ auf ihr finanzielles Wohlbefinden auswirkt.
Kriterien des finanziellen Wohlbefindens
In einem 2022 veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel versuchten Fergal L. Carton und seine Kollegen, neue Kriterien für die Bewertung des finanziellen Wohlbefindens von Menschen zu bestimmen, wobei sie sich insbesondere mit einkommensschwachen Haushalten in Irland befassten. Sie leiteten drei Hauptkriterien für die Bewertung des finanziellen Wohlbefindens auf objektiver Ebene wie auch auf der Ebene der subjektiven Wahrnehmung aus ihren Studien ab. Entscheidend sind die Erfüllung finanzieller Verpflichtungen, eine positive Wahrnehmung der eigenen finanziellen Situation sowie eine resiliente Haltung in Bezug auf die Zukunft.
Erfüllung finanzieller Verpflichtungen. Es wird untersucht, ob die jeweiligen Personen in der Lage sind, ihre aktuellen und zukünftigen finanziellen Bedürfnisse zu befriedigen, ohne wiederholt in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten oder sich zu überschulden. Bei den untersuchten Haushalten mit geringem Einkommen stellten die Forscher fest, dass diejenigen, die sich durch Flexibilität auszeichneten, ihre Ausgaben anpassen konnten und ohne Schulden auskamen, über ein hohes Maß an finanziellem Wohlbefinden verfügten. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Denn auch Menschen mit hohem Einkommen können in Überschuldung geraten. Dazu reicht oft schon ein Schicksalsschlag, der – vielleicht nur vorübergehend – zu einem starken Einkommensverlust führt und verhindert, dass die laufenden Kredite bedient werden können.
Zufriedenheit mit der eigenen finanziellen Situation. Anhand dieses Kriteriums wird beurteilt, inwieweit eine Person ihre finanzielle Situation nach ihrer eigenen Wahrnehmung als gut einstuft. Diese Einschätzung korreliert nicht mit der Höhe des Einkommens, sondern berücksichtigt Faktoren wie „in der Lage zu sein, Zins- und Tilgungszahlungen pünktlich zu leisten“ oder allgemeiner, sich finanziell „im grünen Bereich“ zu bewegen, selbst wenn das eigene Konto nur einen geringen positiven Saldo aufweist.
Resilienz für die Zukunft. Hier geht es um die Fähigkeit, unerwartete Ereignisse oder finanzielle Notlagen abzufedern oder regelmäßig Geld für familiäre Angelegenheiten zurückzulegen. Impulskäufe oder ein fehlendes Bewusstsein für ein problematisches Ausgabeverhalten sind Negativfaktoren in dieser Kategorie.
Erkenntnisse aus dem Verhalten einkommensschwacher Haushalte
Basierend auf diesen neuen Kriterien zur Beurteilung des finanziellen Wohlbefindens ist es sinnvoll, sich an den Praktiken derjenigen zu orientieren, die zwar in bescheidenen Verhältnissen leben, aber dennoch mit ihrer finanziellen Situation zufrieden sind.
Übernehmen Sie die Kontrolle. Sie können beginnen, Ihre Gewohnheiten zu ändern, indem Sie sich diese einfache Frage stellen: Bestimmen das Geld bzw. der gefühlte Mangel an Geld und das Bedürfnis nach mehr Ihr Leben oder ermöglicht es Ihnen Ihr Lebensstil, Ihre Einkünfte und Ausgaben zu kontrollieren?Das ist eine wichtige Fragestellung, die es Ihnen erlaubt, Ihre guten und schlechten Gewohnheiten neu zu bewerten. Entscheidend ist, dass Sie ehrlich antworten.
Entziehen Sie sich dem sozialen Druck und lernen Sie, auf Ihre wahren Wünsche und Bedürfnisse einzugehen.
Hören Sie auf, sich zu vergleichen. Wussten Sie, dass es viele Menschen gibt, die über ein hohes Einkommen verfügen, aber überschuldet sind, weil sie sich ständig mit anderen vergleichen und diejenigen beneiden, die noch mehr haben als sie? Menschen, die nur über ein geringes Einkommen verfügen, aber mit ihrer finanziellen Situation zufrieden sind, haben erkannt, dass der Vergleich mit anderen nur zu Frustration führt und ein Gefühl des Mangels erzeugt, das nicht unbedingt mit den eigenen Wünschen zusammenhängt. Entziehen Sie sich dem sozialen Druck und lernen Sie, auf Ihre wahren Wünsche und Bedürfnisse einzugehen.
Schätzen Sie das Seltene und Hochwertige. Kennen Sie das Überflussparadoxon? Es tritt auf, wenn eine Ressource, die in der Vergangenheit selten und schwer zu beschaffen war, nun im Überfluss vorhanden ist. Sie ist dann weniger interessant und man wird ihrer überdrüssig. Wenn Sie alles in großen Mengen haben können und immer mehr wollen, wirkt sich dies negativ auf Ihr finanzielles Wohlbefinden aus. Menschen mit geringem Einkommen wissen seltene Dinge zu schätzen und gehen gezielt vor, um das zu bekommen, was sie wirklich wollen. Wenn sie ihr Ziel erreichen, ist die Zufriedenheit umso größer. Fragen Sie sich, was Sie wirklich motiviert, machen Sie einen Plan und setzen Sie auf Qualität. Hören Sie auf, immer mehr anzuhäufen. Mehr haben zu wollen, um ein bestimmtes Projekt verwirklichen zu können oder ein echtes Bedürfnis zu befriedigen, ist eine Sache. Einfach aus Prinzip immer mehr haben zu wollen, hilft Ihnen vielleicht, Ihr Kapital zu vermehren, aber nicht, Ihr finanzielles Wohlbefinden zu steigern.
Machen Sie das Beste aus dem, was Sie bereits haben. Uns allen ist klar, dass wir vor dem derzeitigen Hintergrund mehr Anstrengungen zum Schutz der Umwelt unternehmen und darauf achten müssen, weniger zu verschwenden. Ein solches Verhalten ist auch positiv für Ihr finanzielles Wohlbefinden. Statt immer mehr zu kaufen, sollten wir lernen, die Dinge, die wir besitzen, mehr zu schätzen und zu genießen. Menschen mit geringerem Einkommen bleibt oft gar nichts anderes übrig. Einige haben daraus allerdings eine Tugend gemacht, die bei ihnen für Zufriedenheit sorgt. Daran kann sich jeder ein Beispiel nehmen. Setzen Sie bei Dingen, die Sie besitzen, auf folgende Prinzipien: wiederverwenden, reparieren, recyceln, reduzieren, umnutzen.
Die Maxime lautet: wiederverwenden, reparieren, recyceln, reduzieren, umnutzen
Unterscheiden Sie zwischen guten und schlechten Schulden. Schulden zu haben, muss nicht zwangsläufig problematisch sein. Doch es ist wichtig, zwischen guten und schlechten Schulden zu unterscheiden. Einfach gesagt: Wenn man Geld für Dinge aufnimmt, die man nicht unbedingt braucht und deren Wert zwangsläufig sinken wird, sodass daraus ein Wohlstandsverlust resultiert, handelt es sich um schlechte Schulden. Das gilt beispielsweise für Verbraucherkredite, die für einen Zweitwagen aufgenommen werden, der zum Vergnügen und nicht aus Notwendigkeit angeschafft wird. Gute Schulden sind Kredite, die mit dem Ziel aufgenommen werden, neben einer möglichen sofortigen Nutzung auch eine langfristige Rendite und Steigerung des Vermögens zu ermöglichen. Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn Sie eine Immobilie kaufen, um Eigentümer zu werden und nicht mehr zur Miete wohnen zu müssen.
Anfang 2022 veröffentlichte die Luxemburger Zentralbank Zahlen zur Verschuldung der Privathaushalte. Daraus ging hervor, dass sich in Luxemburg innerhalb von 25 Jahren die Verschuldung in Relation zum verfügbaren Einkommen mehr als verdoppelt hat: von 75 % im Jahr 1995 auf 175 % im Jahr 2020. Den größten Anteil an der Verschuldung der privaten Haushalte haben Hypothekenschulden. Sie erhöhten sich von 47 % des verfügbaren Einkommens im Jahr 1999 auf 141 % im Jahr 2020. Die anderen Schuldenkomponenten der privaten Haushalte, insbesondere die Verbraucherkredite, sind im selben Zeitraum interessanterweise stabil bei 35 % geblieben.
So sind die Privathaushalte in Luxemburg zwar stärker verschuldet. Wie die BCL unterstreicht, verfügen sie jedoch über finanzielle Vermögenswerte, die ihnen helfen können, ihre Schulden im Falle eines Finanzschocks, der sich negativ auf die verfügbaren Einkommen auswirkt, zurückzuzahlen. Das Finanzvermögen der privaten Haushalte ist stärker gestiegen als die verfügbaren Einkommen. Es gilt jedoch zu bedenken, dass Haushalte mit einem höheren Einkommen bei einem Finanzschock weniger anfällig sind als Haushalte mit einem geringeren Einkommen, die gleich hoch verschuldet sind. Deshalb ist es vor allem für letztere wichtig, sich einen systematischen Überblick über ihre finanzielle Situation zu verschaffen und ihre Verschuldung gegebenenfalls zu verringern, um ihr finanzielles Wohlbefinden zu verbessern.
Denken Sie daran, dass finanzielle Unabhängigkeit zu finanziellem Wohlbefinden führt. Ein Immobiliendarlehen sollte eine Investition in die Zukunft sein, die jedoch nicht Ihre Freiheit beeinträchtigt, Ihr Geld im Alltag zu genießen! Es ist möglich, finanzielle Freiheit zu erreichen. Der Weg dorthin ist jedoch lang und erfordert viel Disziplin. Heute ist der perfekte Tag, um den ersten Schritt zu machen.