Anlagen in Schwellenländern
Der Begriff „Schwellenländer“ –auch „Schwellenmärkte“ oder „Emerging Markets“ (EM) genannt – ist ein Sammelbegriff für Volkswirtschaften, die in bestimmten Bereichen bereits zu den Industrieländern aufgeschlossen haben, deren Entwicklungsstand insgesamt aber noch nicht erreicht haben. Zu den bekanntesten Schwellenländern zählen Brasilien, Russland, Indien und China (auch bekannt als BRIC-Staaten), doch es gibt noch viele andere, zum Beispiel Ungarn, Polen, die Vereinigten Arabischen Emirate und Korea. myLIFE gibt Ihnen einen Überblick über die Chancen und Risiken in Schwellenländern.
Chancen
In den nächsten 20 Jahren dürfte ein Großteil des globalen Wachstums auf die Schwellenländer entfallen. Steigende Bevölkerungszahlen, eine wachsende Mittelschicht und höhere verfügbare Einkommen sprechen für eine weitere Expansion der Schwellenländer. Das führende Beratungsunternehmen McKinsey erwartet, dass die weltweiten Konsumausgaben bis 2025 auf 62 Billionen USD steigen (doppelt so hoch wie 2013). Die Hälfte der Zuwächse dürfte von den Schwellenländern stammen. Im Jahr 2010 gab es[1] 2,4 Milliarden Konsumenten – etwas mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung. Bis 2025 rechnet die Beratungsfirma mit einem Zuwachs von 1,8 Milliarden Konsumenten weltweit. Die überwiegende Mehrheit davon lebt in Schwellenländern.
Im Jahr 2013 entfielen bereits 59 % der Gesamtnachfrage nach Baustoffen, 57 % der Gesamtnachfrage nach Eisen und Stahl sowie 47 % der Gesamtnachfrage nach Maschinen auf die Schwellenländer. Doch die Schwellenländer nehmen auch eine wichtige Rolle in der digitalen Wirtschaft ein. Nach Angaben der Boston Consultancy Group stammt mehr als ein Drittel der „Einhörner“ (Unicorn)[2] aus Schwellenländern.
(…) Viele strukturelle Argumente sprechen langfristig für eine Anlage in Schwellenländern, die darüber hinaus erhebliche Diversifikationsvorteile bieten.
Die Anlagemöglichkeiten in diesen wachstumsstarken Volkswirtschaften sind entsprechend attraktiv. Viele strukturelle Argumente sprechen langfristig für eine Anlage in Schwellenländern, die darüber hinaus erhebliche Diversifikationsvorteile bieten. Schwellenländer werden von Ereignissen in Industrieländern für gewöhnlich weniger stark beeinflusst, sodass sie einen gewissen Schutz im Falle von Turbulenzen im Heimatmarkt bieten.
Die Gewinner von den Verlierern zu unterscheiden, ist in den mitunter turbulenten und nicht immer transparenten Märkten allerdings nicht einfach.
Risiken
Eine Anlage in Schwellenländern ist in der Regel mit höheren Risiken verbunden als eine Anlage in Industrieländern. Im Allgemeinen sind die Märkte der Schwellenländer nicht so effizient wie die der Industrieländer (z. B. USA, Europa und Japan). Außerdem sind die Rechnungslegungsstandards und Wertpapiervorschriften weniger streng. Die Aktienmärkte der Schwellenländer sind in der Regel volatiler und weisen eine geringere Vielfalt auf. Ferner ist die Corporate Governance der Unternehmen unter Umständen schwächer.
Schwellenländer waren in der Vergangenheit durch eine unvorhersehbare Politik, unorthodoxe Zentralbankmaßnahmen und bisweilen scheinbar nicht tragfähige Schuldenniveaus gekennzeichnet und sind damit zum Teil auch heute noch konfrontiert.
Währungsschwankungen sorgen zusätzlich für Unsicherheit, sodass Anleger die jeweiligen Instrumente vor einer Investition genau prüfen sollten.
Trotz der verschiedenen Risiken unterliegen Schwellenländer einem raschen Wandel. Nach einigen unsicheren, von externen Anfälligkeiten und wirtschaftlichem Gegenwind geprägten Jahren erscheinen die Schwellenländer heute robuster.
Trotz der verschiedenen Risiken unterliegen Schwellenländer einem raschen Wandel. Nach einigen unsicheren, von externen Anfälligkeiten und wirtschaftlichem Gegenwind geprägten Jahren erscheinen die Schwellenländer heute robuster.
Anlageentscheidung
Die meisten Anleger erkennen zwar das Potenzial von Schwellenländern, wissen aber nicht, welchen Anlageansatz sie wählen sollen. Das Universum der Schwellenländer ist äußerst vielfältig – es umfasst vier Kontinente, 20 Zeitzonen und zahlreiche Währungen. Anleger benötigen gute Kenntnisse über lokale Regierungen, inländische Besonderheiten sowie die Wirtschaft und Märkte der Schwellenländer, in die sie investieren wollen.
Zudem müssen sie mit den verfügbaren Anlageinstrumenten und ihren Eigenschaften vertraut sein. Bei einer Anlage in Schwellenländern kommen vor allem vier Anlageklassen infrage: Schwellenländeraktien, Lokalwährungsanleihen, Hartwährungsanleihen und Unternehmensanleihen.
Schwellenländeraktien
Schwellenländeraktien bieten die Möglichkeit, Anteile an Unternehmen aus einer Vielzahl von Branchen zu erwerben, wobei das Angebot an Titeln beständig wächst. Der MSCI Emerging Markets Index umfasst 1.137 Unternehmen aus 24 Ländern. Rohstoffexporte waren früher die wichtigste Einnahmequelle von Schwellenländern. Heute befinden sich viele der Länder im Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft. Einige Unternehmen im Gesundheits-, Technologie- und Konsumsektor sind heute weltweit bekannt, und das Spektrum an Schwellenländerunternehmen hat sich deutlich erweitert.
Schwellenländeraktien verzeichneten in der Vergangenheit eine höhere Volatilität und größere Drawdowns als Aktien aus Industrieländern, was die Risiken der Anlageklasse wiederspiegelt. Wenn ein Teil des Portfolios in Schwellenländeraktien investiert war, führte dies in der Vergangenheit jedoch insgesamt zu höheren risikobereinigten Renditen.
Entscheidend ist, dass Anleger die Risiken von Schwellenländeraktien kennen und verstehen (was für viele eine enorme Herausforderung ist). Die potenziellen Diversifikationsvorteile, die vielversprechende Unternehmen in einigen der wachstumsstärksten Volkswirtschaften der Welt bieten, sollte man sich jedoch nicht ohne Weiteres entgehen lassen.
Anleger sollten sich zudem darüber im Klaren sein, dass sich die Anlageklasse der Schwellenländeraktien in den letzten Jahren grundlegend geändert hat. Länderspezifische Faktoren haben an Bedeutung gewonnen, und auch die Sektorzusammensetzung hat sich infolge des Konsumbooms radikal gewandelt.
Als Ausgleich für das zusätzliche Risiko boten Schwellenländeranleihen in der Vergangenheit höhere langfristige Renditen als vergleichbare Titel aus Industrieländern.
Schwellenländeranleihen
Schwellenländeranleihen werden entweder von den Regierungen der Schwellenländer (Staatsanleihen) oder von Unternehmen aus Schwellenländern emittiert. Als Ausgleich für das zusätzliche Risiko boten Schwellenländeranleihen in der Vergangenheit höhere langfristige Renditen als vergleichbare Titel aus Industrieländern. Neben den höheren Renditen bieten Schwellenländeranleihen zahlreiche Diversifikationsvorteile, da die Anlageklasse in der Vergangenheit eine geringe Korrelation zu den Anleihen aus Industrieländern aufwies. Es gibt zwei Arten von Schwellenländeranleihen: Lokalwährungsanleihen, die auf die Währung des jeweiligen Schwellenlands lauten, und Hartwährungsanleihen, die auf US-Dollar oder eine andere Reservewährung (normalerweise Euro oder Yen) lauten.
Lokalwährungsanleihen aus Schwellenländern
Die lokalen Anleihemärkte sind für ihren attraktiven Renditeaufschlag bekannt. Lokalwährungsanleihen aus Schwellenländern können zudem langfristige Diversifikationsvorteile bieten, da sie mit einem Engagement in den jeweiligen Schwellenländerwährungen einhergehen. Sie sind auch weniger anfällig für steigende Zinsen in den Industrieländern. Lokalwährungsanleihen können längerfristig eine weitere Möglichkeit bieten, von dem starken Wirtschaftswachstum und den sich verbessernden finanziellen Bedingungen der Schwellenländer zu profitieren. Dies hängt natürlich von der Risikotoleranz des Anlegers ab, da Schwellenländerwährungen sehr volatil sein können.
Hartwährungsanleihen aus Schwellenländern
Kauft ein Anleger Schwellenländeranleihen in Hartwährung, das heißt in einer Reservewährung, reduziert er damit sein Währungsrisiko. Die Rendite wird in der Regel wie folgt berechnet: Rendite von US-Treasuries gleicher Laufzeit (für auf USD lautende Anleihen) zuzüglich eines Spreads für das zusätzliche Risiko der Anlage in dem Schwellenländeranleihen-Emittent. Die Performance eines Portfolios von Schwellenländeranleihen in Hartwährung ergibt sich somit aus einer Kombination von Zins- und Spreadbewegungen.
Unternehmensanleihen aus Schwellenländern
Unternehmensanleihen aus Schwellenländern werden von Emittenten begeben, die in vielen Regionen der Welt beheimatet sind. Die Anlageklasse unterliegt somit unterschiedlichen politischen, regulatorischen und geschäftlichen Bedingungen. Die Renditetreiber sind daher sehr vielfältig.
Gemäß Moody’s lag die jährliche Ausfallquote von Unternehmensanleihen aus Industrieländern zwischen 1998 und 2017 bei durchschnittlich 2,4 %, verglichen mit 3,7 % für Papiere aus Schwellenländern.
Das Ausfallrisiko dieser Anlageklasse wird in der Regel deutlich höher eingeschätzt. Tatsächlich ist der Unterschied zwischen den Ausfallquoten von Schwellen- und Industrieländern jedoch nicht so groß. Gemäß Moody’s lag die jährliche Ausfallquote von Unternehmensanleihen aus Industrieländern zwischen 1998 und 2017 bei durchschnittlich 2,4 %, verglichen mit 3,7 % für Papiere aus Schwellenländern. Der Unterschied ist zu einem großen Teil auf mehrere Jahre zu Beginn des Beobachtungszeitraums zurückzuführen, als die Staatsschuldenkrise in Schwellenländern zu Rekord-Ausfallquoten in diesen Ländern führte.
Auch wenn Schwellenländeranleihen oft mit Kreditrisiken und politischen Risiken verbunden sind, sind sie aufgrund der niedrigen Korrelation mit Anleihen aus Industrieländern weniger anfällig für das Zinsrisiko und stellen eine nützliche Diversifikationsmöglichkeit dar.
Fazit
Dieser Artikel gibt nur einen kleinen Einblick in diesen komplexen und vielfältigen Markt. Anleger sollten sicherstellen, dass sie die Risiken und Ertragschancen einer Anlage einschätzen können, und gegebenenfalls den Rat eines Experten einholen. Ein Experte ist auch in der Lage, auf das Risikoprofil, die Ziele und den Anlagehorizont zugeschnittene Empfehlungen zu geben. Wichtig ist auch zu prüfen, welche Wechselwirkungen zwischen den Vermögenswerten und anderen Anlageklassen im Portfolio des Anlegers bestehen.
Anleger sollten eine dynamische Investition in mehreren Anlageklassen erwägen, um an den Anleihe- und Aktienmärkten jeweils die interessantesten Chancen zu nutzen. Sie sollten einen langfristigen Horizont in Erwägung ziehen, um vom langfristigen Wachstumspotenzial der Schwellenländer zu profitieren.
Noch ein letzter Warnhinweis: Zwar gibt es zahlreiche Chancen in Schwellenländern, es ist aber zu beachten, dass Schwellenländeranlagen – sowohl Aktien als auch Anleihen – häufig als erstes unter Druck geraten, wenn die Volatilität an den globalen Märkten steigt. Außerdem muss man sich darüber im Klaren sein, dass weder Prognosen noch Wertentwicklungen der Vergangenheit ein zuverlässiger Indikator für künftige Ergebnisse oder Wertentwicklungen sind.
[1] Menschen mit einem verfügbaren Einkommen von über 10 USD pro Tag.
[2] Börsennotierte oder nicht börsennotierte Unternehmen mit einem Marktwert von über 1 Milliarde USD.