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Dezember 22, 2024

Expertenmeinung: „Alles neu macht der Mai?“

Es gibt erste Anzeichen dafür, dass wir mit dem Monat Mai möglicherweise die Talsohle des durch die Coronavirus-Pandemie ausgelösten Konjunkturrückgangs erreicht haben. Angesichts der beispiellosen fiskalpolitischen und finanziellen Unterstützung und der allmählichen Lockerung der Kontaktbeschränkungen scheinen sich die Daten wieder zu stabilisieren. Ab hier sehen wir uns jedoch einer U-förmigen Erholung (d. h. einem rapidem Rückgang der Erträge, gefolgt von einer allmählichen Rückkehr zur Normalität) gegenüber statt der erträumten V-förmigen Erholung.

Die gesamtwirtschaftliche Lage

Die Welt befindet sich derzeit in der tiefsten Rezession seit den 1930er-Jahren. Es besteht jedoch Grund zur Hoffnung, dass es auch die kürzeste sein wird.

Mit dem Ende des Shutdowns geht eine leichte Verbesserung der Konjunkturdaten einher – doch wir sind noch nicht über den Berg. Da noch kein Impfstoff gefunden wurde, werden viele Unternehmen aufgrund der verhängten Kontaktbeschränkungen weiterhin nicht mit voller Kapazität arbeiten können, und das beängstigende Risiko einer zweiten Infektionswelle (der Südkorea derzeit zu entrinnen versucht) besteht ungehindert fort.

In den USA gestaltet sich die wöchentliche Statistik der Arbeitslosmeldungen als eine Art Barometer, an dem sich das Ausmaß der wirtschaftlichen Schieflage ablesen lässt. Und die Diagnose sieht nicht gut aus: Über 40 Millionen Amerikaner haben inzwischen ihre Arbeit verloren. Zwar sind die Zahlen zunächst schockierend, doch wie sich an dem leicht rückläufigen Trend zeigt, scheint sich die Lage allmählich zu beruhigen. Die Zahl der laufenden Anträge (die einen Hinweis auf die Gesamtarbeitslosenzahl gibt) ist in der letzten Maiwoche von 24,9 Millionen auf 21,1 Millionen gesunken. Gleichzeitig zeigen Umfragen unter amerikanischen Verbrauchern, dass diese nicht mit einer schweren und langen Krise rechnen, die ihre finanzielle Lage erheblich und langfristig beeinträchtigen wird. Der Anteil der Befragten, der mit einer Verbesserung der Geschäftsbedingungen rechnet, stieg auf einen Rekordwert von 43 %.

In Europa werden die Beschäftigungsdaten in größeren Abständen veröffentlicht, doch angesichts des besseren Sozialversicherungssystems ist davon auszugehen, dass die unmittelbaren Auswirkungen auf die arbeitende Bevölkerung schwächer ausfallen als in den USA: In der Eurozone lag die Arbeitslosenquote im März bei 7,4 %. Die Ergebnisse der Verbrauchervertrauensumfragen stimmen mit denen aus den USA überein: Die Befragten der deutschen IFO-Umfrage gaben an, dass sie nicht glauben, dass die Krise noch lange andauern wird. Die Bundesbank erklärte, dass wir ihrer Einschätzung nach im zweiten Quartal die Talsohle erreichen werden, betonte aber, dass weiterhin sehr hohe Unsicherheit besteht.

Wie wir uns vorstellen können, würde jetzt wohl Anarchie herrschen, wenn die Zentralbanken keine entschiedenen und wirksamen Maßnahmen ergriffen hätten, um eine Liquiditätskrise abzuwenden.

Konjunkturanreize

Wie wir uns vorstellen können, würde jetzt wohl Anarchie herrschen, wenn die Zentralbanken keine entschiedenen und wirksamen Maßnahmen ergriffen hätten, um eine Liquiditätskrise abzuwenden. Neben der Senkung der Zinssätze auf nahe null hat sich die US-Notenbank im Wesentlichen zu einem unbegrenzten Anleihekaufprogramm verpflichtet. Über ihr bestehendes Anleihekaufprogramm hinaus stellt die EZB im Rahmen ihres Pandemie-Notfallankaufprogramms 750 Milliarden Euro bereit und hat gleichzeitig verschiedene Instrumente geschaffen, um die Liquidität an den Kreditmärkten aufrecht zu erhalten (nähere Einzelheiten zu den Initiativen der Zentralbanken in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie). In Anbetracht der schwachen Inflationszahlen rechnen die Märkte damit, dass die EZB auf ihrer Juni-Sitzung beschließen wird, ihr Notfallankaufprogramm um 500 Milliarden Euro aufzustocken (damit würde das Gesamtvolumen ihrer Kaufprogramme in diesem Jahr auf 1,6 Billionen Euro ansteigen).

Die Regierungen anderer Länder folgen diesem Beispiel. Die USA haben fiskalische Anreize in Höhe von 3 Billionen Dollar geschaffen, und es sieht ganz danach aus, als würden noch weitere folgen, da viele namhafte Persönlichkeiten wie etwa der Vorsitzende der US-Notenbank, Jerome Powell, betonen, dass mehr nötig sei, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Der Kongress diskutiert nun über eine Bonuszahlung für Arbeitnehmer für ihre Rückkehr an den Arbeitsplatz.

In Europa konnten sich die Staatsoberhäupter indes endlich auf eine koordinierte fiskalpolitische Reaktion auf die Krise einigen. Die Europäische Kommission hat ein Hilfspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro vorgeschlagen: 500 Milliarden Euro sollen in Form von Zuschüssen an die Mitgliedstaaten verteilt werden, und 250 Milliarden Euro sollen als Darlehen zur Verfügung stehen. Um das Paket zu finanzieren, würde die EU an den Finanzmärkten Kredite aufnehmen – eine Maßnahme, die als ein erster kleiner Schritt in Richtung der höchst umstrittenen Emission gemeinsamer Anleihen angesehen wird.

Mit einer solchen Unterstützung für die Volkswirtschaften und Märkte verzeichneten Risikoanlagen im Mai eine Rally und erholten sich wieder auf Stände, die zuletzt vor Ausbruch der Pandemie erreicht worden waren. Wir blieben gegenüber diesen von Emotionen angetriebenen Kursanstiegen vorsichtig positioniert, da sie uns zu realitätsfern erscheinen. Die Aktienmärkte scheinen sich derzeit in einer in der Zukunft nach einer Pandemie spielenden Traumwelt zu bewegen. Allerdings es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass weiterhin große Risiken bestehen.

Die Aktienmärkte scheinen sich derzeit in einer in der Zukunft nach einer Pandemie spielenden Traumwelt zu bewegen. Allerdings es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass weiterhin große Risiken bestehen.

Zum einen in Bezug auf die Vielfalt an Szenarien, wie sich die Pandemie weiterentwickeln könne, und zum anderen in Bezug auf das menschliche Verhalten. Es lässt sich nicht voraussagen, wie sich die Lage für die Verbraucher und Unternehmen nach der Aufhebung der Kontaktsperren entwickeln wird. Wird sich ihr Ausgabeverhalten wieder normalisieren? Werden sie nur träge wieder zu investieren beginnen? Werden sie die von ihnen entlassenen Mitarbeiter wieder einstellen?

Diese Fragen werden im nächsten Monat im Fokus stehen, wenn wir uns herzuleiten versuchen, welche Form die Erholung annehmen wird. In der Tat dürsten die Ökonomen derzeit nach neuen Daten (wie etwa zur Entwicklung des Verkehrsaufkommen, des Stauaufkommens während der Hauptverkehrszeiten, der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, der Zahl an Tischreservierungen in Restaurants, der Fußgängerzahlen auf den Einkaufsmeilen usw.), deren übliche Messwerte in der Regel bereits veraltet sind, bevor sie überhaupt zur Verfügung stehen. Nächsten Monat sollten Anleger ihr Augenmerk auch wieder auf den Handelskonflikt zwischen den USA und China richten, der erneut zu schwelen beginnt.

Angesichts dieses Hintergrundgeschehens, weniger bis keiner Prognosen für die Berichtssaison und hoher Aktienkurse (gemessen am KGV) bleiben wir Aktien gegenüber vorerst neutral positioniert und sichern uns indessen mit Gold und Staatsanleihen gegen einen möglichen Anstieg der Volatilität ab. Möglicherweise haben wir den Tiefpunkt der Krise bereits erreicht, doch wir bleiben vorerst lieber auf der sicheren Seite, bis wir eine greifbarere Datenbasis als ein „Vielleicht“ haben.