Expertenmeinung: „Heilmittel“
Da etwa 2,5 Milliarden Menschen in irgendeiner Form von einem „Lockdown“ betroffen sind, können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass sich die Weltwirtschaft in einer Rezession befindet. Damit sich die Konjunktur nach dem Ende der Massenquarantäne wieder erholen kann, müssen die Verantwortlichen geld- und fiskalpolitische Maßnahmen ergreifen, um bis dahin das Schlimmste abzufedern.
Der März war ein turbulenter Monat für die Märkte, und Cash stand besonders hoch im Kurs. Selbst Anlagen, die traditionell als sichere Häfen gelten, wurden gemieden, da sich die Anleger die wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Krise vor Augen führten. Die Pandemie hat inzwischen fast jedes Land erreicht, und die Anzahl der bestätigten Infektionsfälle ist über 890.000 gestiegen. Das parallele Auftreten von Angebots- und Nachfrageschocks zieht zweifellos eine wirtschaftliche Kontraktion nach sich, auch wenn dies bislang noch nicht in den Makrodaten zum Ausdruck kommt. In unserem Basisszenario unterstellen wir allerdings, dass dieser dramatischen Krise gleichermaßen mit fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen begegnet wird. Daher dürfte die Rezession tief, aber hoffentlich kurz ausfallen …
Geldpolitische Maßnahmen
Breit angelegte geldpolitische Stimulierungsmaßnahmen werden von den Anlegern begrüßt, da sie sicherstellen, dass den Märkten das Lebenselixier, sprich die Liquidität, nicht ausgeht. Weltweit haben die Notenbanken als Erste auf die Krise reagiert und diverse Stimulierungsmaßnahmen angekündigt, darunter vor allem Zinssenkungen und Wertpapierkäufe.
In Europa startete die EZB ihre Liquiditätsoffensive mit der Einführung günstiger Konditionen für gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO, ein Programm zur Bereitstellung von Krediten für Banken) und einem „Umschlag“ von 120 Milliarden Euro für Anleihenkäufe. Die Märkte zeigten sich jedoch desillusioniert, was die EZB veranlasste, alle Register zu ziehen. Christine Lagarde hatte ihren „whatever it takes“-Moment und erklärte, für den Einsatz für den Euro gäbe es keine Grenzen. Sie kündigte das Pandemie-Notfallkaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) im Gesamtumfang von 750 Milliarden Euro an, das den Kauf von Staats- und Unternehmensanleihen sowie von Commercial Paper von Nichtfinanzunternehmen vorsieht. Somit werden die Anleihenkäufe der Zentralbank in den nächsten neun Monaten eine bislang beispiellose Größenordnung von über 1 Billion Euro erreichen. Darüber hinaus wurde die Obergrenze für den Kauf von Staatsanleihen eines einzelnen Landes fallengelassen, was den Weg für ein potenziell unbegrenztes Gelddrucken freimacht.
Was dies für die finanzielle Stabilität und die langfristige Glaubwürdigkeit des Dollars bedeutet, bleibt abzuwarten.
In den USA senkte die Federal Reserve (Fed) die Zinsen auf nahezu null, verabreichte Liquiditätsspritzen über Hunderte von Milliarden Dollar über Repos und erklärte, Anleihen in unbegrenztem Umfang kaufen zu wollen, um der Panik am Markt zu begegnen. Innerhalb weniger Wochen wurde die Bilanz der Fed um 1 Billion Dollar aufgebläht, und am Ende dieser aktuellen Rettungsaktion könnte ihr Umfang nach Einschätzung von Analysten 9 bis 10 Billionen Dollar erreichen. Was dies für die finanzielle Stabilität und die langfristige Glaubwürdigkeit des Dollars bedeutet, bleibt abzuwarten. Außerdem griff die US-Notenbank in ihre Trickkiste aus der Zeit der Finanzkrise und reaktivierte verschiedene Instrumente aus dieser dunklen Phase, die das reibungslose und effiziente Funktionieren der Geld- und Finanzmärkte sicherstellen sollen.
Japan verfügte über weniger geldpolitische Munition, da die Bank of Japan (BoJ) bereits seit Jahrzehnten im Kampf gegen die beharrlich niedrige Inflation auf eine unkonventionelle Geldpolitik setzt. Als Antwort auf die Krise erhöhte sie Anfang März die tägliche Obergrenze ihres bestehenden Wertpapierkaufprogramms auf rund 100 Milliarden Yen (zuvor ca. 70 Milliarden Yen). Im weiteren Verlauf des Monats kündigte sie an, die Käufe von börsengehandelten Fonds (ETFs) auf 12 Billionen Yen (112 Milliarden US-Dollar) pro Jahr zu verdoppeln.
China hatte es nicht eilig mit größeren geldpolitischen Lockerungsschritten und leitete diese erst diese Woche, nachdem das Virus unter Kontrolle gebracht war, ein, wobei der 7-Tage-Reverse-Repo-Satz (der Zinssatz für Kredite an Banken) von 2,40 % auf 2,20 % und damit so deutlich wie seit fünf Jahren nicht mehr auf ein Rekordtief gesenkt wurde. Die Verantwortlichen hatten zunächst mit umfangreichen Liquiditätsspritzen und einer Senkung des Mindestreservesatzes für Banken reagiert (am 16. März wurde er für bestimmte Banken um 0,5 Prozentpunkte auf 1 % reduziert).
Damit sich der Patient erholen kann, müssen die fiskalpolitisch Verantwortlichen dem Nachfrageschock infolge der Massenquarantäne begegnen.
Zur Verteidigung blasen: Fiskalpolitische Maßnahmen
Dank der ultra-expansiven Geldpolitik wird das System bislang liquide gehalten und eine ausgeprägte Kreditklemme verhindert. Damit sich der Patient jedoch erholen kann, müssen die fiskalpolitisch Verantwortlichen dem Nachfrageschock infolge der Massenquarantäne begegnen. Sie müssen die Lücke schließen und eine Welle von Insolvenzen und Entlassungen verhindern, damit Konsumneigung und -vermögen wieder steigen können, sobald die Bewegungseinschränkungen aufgehoben werden. Die Dauer der Rezession wird davon abhängen, wie gut dies gelingt.
Die Regierungen schnüren nach und nach Fiskalpakete wie zu Kriegszeiten. Während der US-Senat das bislang größte Hilfspaket der Geschichte im Umfang von 2 Billionen Dollar gebilligt hat, sinnieren die Entscheidungsträger in Brüssel noch darüber, welche gemeinsamen Maßnahmen wohl am geeignetsten wären (diese Verzögerung, die im Grunde symptomatisch für die ständige Suche Europas nach einem Konsens ist, könnte sich dieses Mal allerdings als vorteilhaft erweisen, da die Konsumenten derzeit nicht die Möglichkeit haben, hinauszugehen und Geld auszugeben). In Japan erklärte Premierminister Shinzo Abe, das Land werde sein bisher umfangreichstes Unterstützungsprogramm auflegen, das auch Bargeldauszahlungen an Haushalte umfasst, die bei der Bewältigung der negativen wirtschaftlichen Folgen mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben.
Der Rest der Welt kann sich ein Beispiel an China nehmen, das sehr gezielte fiskalische Maßnahmen ergriffen hat, die speziell auf die Unterstützung der von der Epidemie stark betroffenen Unternehmen – insbesondere Klein- und Mikrounternehmen, Privatunternehmen sowie das verarbeitende Gewerbe – abzielen. Nachdem sich die chinesischen Wirtschaftsdaten in den vergangenen Monaten drastisch verschlechtert hatten, zeichnen sich inzwischen wieder erste Verbesserungen ab – ein Hoffnungsschimmer für den Rest der Welt, denn mit den richtigen politischen Maßnahmen muss ein V-förmiger Aufschwung vielleicht kein Wunschdenken bleiben, sobald die Quarantäne aufgehoben wird und die Nachfrage wieder anzieht. So hat sich der diese Woche veröffentlichte Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe in China von 35,7 Punkten im Februar auf 52,0 Punkte im März verbessert und damit die Erwartungen (44,8 Punkte) übertroffen. Dies bedeutet gleichzeitig den höchsten Stand seit September 2017. Auch das Pendant für den Dienstleistungssektor ist wieder gestiegen, von 29,6 Punkten auf 52,3 Punkte, während 42,0 Punkte erwarten worden waren. Das Problem für China besteht jedoch darin, dass der angesichts der Pandemie zu erwartende Einbruch der Auslandsnachfrage die chinesischen Fabriken erneut treffen könnte, wenngleich sich die heimische Wirtschaft allmählich erholt. Für eine dauerhafte Stabilisierung könnten daher weitere politische Eingriffe erforderlich sein.
Beherzte fiskalpolitische Maßnahmen können jetzt zwar dazu beitragen, die Rezession zu verkürzen. Ausschlaggebend sind jedoch vor allem epidemiologische Faktoren und die Frage, wie lange es dauern wird, bis die Ausbreitung des Virus ihren Zenit überschritten hat. Oder wie es IWF-Chefin Kristalina Georgieva formuliert hat: „Solange das Virus nicht eingedämmt ist, können wir nur sehr schwer wieder zu dem Leben zurückkehren, das wir lieben“. Aus diesem Grund müssen wir alle unseren Beitrag dazu leisten, „die Kurve abzuflachen“ und soweit wie möglich zu Hause bleiben, damit die Ansteckungen unter Kontrolle und die Belastung für das Gesundheitssystem verringert werden kann.
Die Geschichte zeigt, dass das Antidot gegen Panik bei der Verwaltung von Privatvermögen ein ruhiger und disziplinierter Ansatz ist.
Auch wenn die Nerven blank liegen, so zeigt doch die Geschichte, dass das Antidot gegen Panik bei der Verwaltung von Privatvermögen ein ruhiger und disziplinierter Ansatz ist. Es ist wichtig, die langfristigen Ziele im Auge zu behalten und sich nicht von der Marktpanik erfassen zu lassen.
Da keine Kosten und Mühen gescheut werden, um die Weltwirtschaft am Laufen zu halten, gehen wir in unserem Basisszenario davon aus, dass sie die Krise überstehen wird. Sicherlich müssen wir uns auf Erschütterungen und Blessuren einstellen. Aber Firmen und Haushalte, die qualitativ gut aufgestellt sind, werden es schaffen. Verbraucher werden wieder konsumieren und Unternehmen werden wieder investieren. Das Vertrauen in ein solches Szenario wird auch durch die Prognosen des IWF gestärkt, der 2021 eine Erholung oder sogar einen „deutlichen Aufschwung“ erwartet …