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Dezember 19, 2024

Investitionen: Der Unterschied zwischen Verlust, Schmerz und Unsicherheit

Statt zu handeln, ignorieren viele Anleger einen Verlust in ihrem Portfolio lieber und hoffen, dass ihre Wertpapiere wieder steigen. Dadurch umgehen sie vielleicht den mit dem Verlust verbundenen Schmerz, liefern sich jedoch dem Stress der Ungewissheit aus. Ein ganz schlechter Deal!

Graut es Ihnen vor dem Moment, an dem Sie erfahren, ob Ihre Investition Top oder Flop ist? Wenn ja, sollte dieser Artikel Ihnen zu denken geben. Studien haben nämlich gezeigt, dass es für unsere Psyche weniger schmerzhaft und damit empfehlenswerter ist, der Realität ins Auge zu sehen und Verluste zu akzeptieren, als in Ungewissheit zu verweilen. Wer sich mit Problemen auseinandersetzt, verringert nicht nur die Angst vor dem Unbekannten, sondern kann auch damit verbundene Chancen nutzen.

Den Stress bezwingen

Fast jeder Anleger hat sich wohl schon einmal geweigert, der Realität ins Auge zu sehen und die Tatsache, dass aufgrund einer Fehlinvestition ein Verlust entstanden ist, so lange wie möglich verdrängt. Der Grund dafür ist einfach: Auf diese Weise versuchen Anleger, den psychologischen Schmerz, der zum finanziellen Verlust hinzukommt, zu vermeiden. Allerdings bürden sie sich damit Stress auf, weil sie insgeheim wissen, dass über kurz oder lang womöglich die gleiche oder eine noch schlechtere Situation auf sie wartet. Und das ist schlimmer, als sich der Realität zu stellen. Zur Veranschaulichung hier ein kleines Experiment:

Stellen Sie sich ein virtuelles Spiel vor, bei dem die Teilnehmer Steine anheben und vorhersagen müssen, ob sich darunter eine Schlange versteckt. Die Spieler werden in zwei Gruppen eingeteilt.

    • Gruppe 1: Die Teilnehmer wissen, dass sie bei einer falschen Antwort mit einer Wahrscheinlichkeit von 50:50 entweder einen kleinen elektrischen Schlag oder aber keine Strafe erhalten.
    • Gruppe 2: Die Teilnehmer wissen, dass sie bei einer falschen Antwort mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit einen stärkeren elektrischen Schlag erhalten und damit eine sehr unangenehme Situation riskieren.

Für welche Gruppe war das Experiment wohl am stressigsten? Anders als vermutet war der Stresspegel bei Gruppe 1 höher, da die Teilnehmer mit einer stärkeren Ungewissheit konfrontiert waren. Dies fand das Institut für Neurologie des University College London (UCL) im Rahmen einer Studie heraus. Die Gewissheit, bei einem Fehler einen Stromschlag zu erhalten ist psychologisch weniger belastend, als sich diesbezüglich in Unsicherheit zu wiegen.

Nicht zu wissen, ob man einen Stromschlag bekommt oder nicht, ist offenbar schlimmer als zu wissen, dass man in jedem Fall einen Stromschlag bekommt.

Der Hauptautor dieser Studie, Archy de Berker, kommentierte das Ergebnis wie folgt: „Dank unseres Experiments können wir Schlussfolgerungen über die Auswirkung von Ungewissheit auf den Stresspegel ziehen. Nicht zu wissen, ob man einen Stromschlag bekommt oder nicht, ist offenbar viel schlimmer als zu wissen, dass man in jedem Fall einen Stromschlag bekommt.

Wenngleich die Auswirkungen von Ungewissheit auf den Stresspegel mit dieser Studie erstmals quantifiziert wurden, ist das Prinzip doch verständlich und leicht zu erklären: Ungewissheit macht uns ängstlich. Denken wir nur einmal an das Warten auf medizinische Ergebnisse, die Suche nach Informationen über Zugverspätungen oder die Reaktion unseres Anlageportfolios auf einen unerwarteten finanziellen Schock.

Ist diese Angst zwangsläufig schlecht? Nicht unbedingt. Bei diesem von unseren Urahnen geerbten Stress handelt es sich um einen Mechanismus, der uns dabei hilft, uns besser an unsere unsichere Umgebung anzupassen. In unserem Experiment empfanden die Teilnehmer, die nicht wussten, ob sie einen Stromschlag bekommen würden, den größten Stress. Somit lernten sie auch mit der Zeit am besten, wo sich die Schlange im Spiel versteckt halten könnte! Der Grund dafür ist einfach: Wer den größten „Schmerz“ empfindet, wird sich besonders dafür einsetzen, den Schmerz zu verringern.

Dem Sturm trotzen

Was lernen unsere Anleger, die der Realität ihrer Situation nicht ins Auge blicken und ihre Verluste nicht akzeptieren wollen, aus diesem Experiment? Wenn sie den schicksalhaften Moment so lange wie möglich verdrängen, fürchten sie sich wahrscheinlich vor dem Schmerz, den der Verlust mit sich bringt. Dieser mit dem Verlust verbundene Schmerz ist auf unsere von unseren Urahnen geerbte Verlustaversion zurückzuführen. Denn der psychologische Schmerz, den wir in dieser Situation empfinden, ist neurologisch gesehen identisch mit physischem Schmerz.

Das Experiment macht deutlich, dass Verdrängen keine Lösung ist. Manche Anleger suchen vielleicht Zuflucht in der Ungewissheit. Indem Sie den Kopf in den Sand stecken, steigern sie jedoch in Wirklichkeit ihren Stress und ihr Unwohlsein. Noch schlimmer ist, dass sie den Zeitpunkt für dringend notwendige Entscheidungen in Bezug auf ihre Anlage womöglich verpassen.

Durch die Verwechslung von Risiko und Ungewissheit quälen Anleger sich häufig unnötig!

Untätigkeit ist sicherlich die schädlichste Reaktion, die Anleger zeigen können, wenn sie mit einer unbekannten Situation konfrontiert werden. Trotzdem tun sie oftmals – nichts. Woran liegt das? Wenn Anleger Verluste nicht wahrhaben wollen, liegt das vielleicht auch daran, dass sie sich schuldig fühlen, weil sie die Risiken falsch eingeschätzt haben. Hierin liegt jedoch ein weiterer Fehler, denn durch die Verwechslung von Risiko und Ungewissheit quält man sich unnötig.

Risiko und Ungewissheit

Viele Anleger verwechseln Risiko und Ungewissheit. Das Risiko kann anhand statistischer Beobachtungen (Korrelation und Standardabweichung von Renditen) geschätzt und durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen beschrieben werden: etwa die Wahrscheinlichkeit, beim Roulette zu gewinnen bzw. zu verlieren, oder das Risiko, das bei einem Flugzeugflug unter normalen Bedingungen besteht. Die Welt der Kapitalanlagen ist nicht nur voller Risiken, sondern auch voller Ungewissheiten!

Natürlich existieren zahlreiche objektive Parameter, die es vor einer Anlageentscheidung zu prüfen gilt. Dennoch sollte man sich bewusst sein, dass eine Anlage immer auch eine Wette auf die Zukunft ist, die leider größtenteils nicht vorhersehbar ist. Zwar versuchen professionelle Anleger, das künftige Geschehen bestmöglich einzuschätzen und vorherzusagen, investieren letztlich jedoch immer unter unbekannten und unsicheren Bedingungen. Sie haben vielleicht das Fachwissen, um Risiken zu minimieren, nicht aber die Weitsicht, um sich über die Ungewissheit hinwegzusetzen. Dies ist einer der Gründe, warum Anlegern zu Demut geraten wird. Darüber hinaus sollten sie ihre Anlagen diversifizieren und einen langfristigen Ansatz verfolgen.

Damit wollen wir jedoch nicht sagen, dass Kapitalanlagen im Grunde ein Glücksspiel sind. Unter normalen Bedingungen lassen sich Risiken relativ gut mit den herkömmlichen Finanztheorien quantifizieren. In Extremsituationen funktioniert dies allerdings nicht. Der Ausbruch einer Pandemie und ihre Auswirkungen auf die Märkte lassen sich damit nicht vorhersagen. Auch die Wirtschaftstheorie kann das Problem der Ungewissheit nicht lösen.

Was in einer Risikosituation die beste Entscheidung sein mag, ist nicht unbedingt die beste Entscheidung in einer Situation mit ungewissem Ausgang.

Wenn Ungewissheit herrscht, ist alles offen. Niemand kann das Ergebnis kennen oder berechnen. Was in einer Risikosituation die beste Entscheidung sein mag, ist nicht unbedingt die beste Entscheidung in einer Situation mit ungewissem Ausgang. Was ist in einer unvorhersehbaren Situation also zu tun? Es bleibt die Möglichkeit, sich auf Extremsituationen vorzubereiten, um bei aufziehendem Sturm auch in unruhigen Gewässern Kurs zu halten.

Mit dem Schlimmsten rechnen, das Beste hoffen und sich in Geduld üben

Eine ungewisse Zukunft lässt sich definitionsgemäß nicht vorhersehen. Das heißt jedoch nicht, dass es unmöglich ist, sich darauf vorzubereiten. Der erste Schritt besteht darin, zu akzeptieren, dass unsichere Situationen eintreten werden. Den Kopf in den Sand zu stecken ist jedenfalls keine Lösung.

Der zweite Schritt besteht darin, sein aktuelles Portfolio und seine Anlagestrategie vor dem Hintergrund dieser Ungewissheit zu überprüfen. Wenngleich sich die Ursachen oder das Ausmaß von Extremereignissen nicht vorhersagen lassen, kann man gemeinsam mit seinem Anlageverwalter mögliche Misserfolge in einer Anlagestrategie berücksichtigen und Optionen zur Minderung potenzieller Verluste prüfen. Der Grundgedanke ist es, geschickt Vermögenswerte auszuwählen, die verschiedenen Szenarien standhalten können, und die Anlagen, die Sie besitzen, besser zu verstehen. Das Problem der Ungewissheit lässt sich dadurch zwar nicht lösen, aber Sie lernen, Ihre Emotionen in Krisensituationen im Zaum zu halten und sich schnell wieder eine logische Denkweise in Bezug auf eine langfristige Perspektive anzueignen.

Simulieren Sie Schockszenarien für Ihr Portfolio. So finden Sie heraus, wo ihre Toleranzgrenze liegt. Ein Experte kann Ihnen mögliche Schockszenarien aufzeigen und Sie hinsichtlich der Vermögensaufteilung beraten, um diese Schocks abzufedern.

Der dritte Schritt besteht darin, einen kühlen Kopf zu bewahren und der Ungewissheit gegenüber eine positive Einstellung zu bewahren. Denn ein Extremereignis kann manchmal auch Anlagechancen mit sich bringen. Außerdem ist eine Krise oder eine extreme Marktentwicklung selten von Dauer. Es ist jedoch wichtig, dass Sie Ihr Anlageziel unabhängig von vorübergehenden Turbulenzen langfristig verfolgen. Das sollten Sie sich stets vor Augen halten.

Das Ziel besteht darin, den Gesamtwert des Portfolios zu schützen und im Laufe der Zeit zu steigern. Somit sollten Sie sich nicht auf die Anzahl der „Misserfolge“ auf dem Weg zu diesem Ziel konzentrieren, sondern auf die Höhe Ihrer Verluste oder Gewinne im zeitlichen Verlauf. Anleger, die jeglichen Verlust zu vermeiden versuchen, opfern für dieses Ziel oftmals einen großen Teil ihres potenziellen Wachstums. Wer hin und wieder gewisse Verluste verkraften und seinen Kurs beibehalten kann, wird auch in der Lage sein, die sich bietenden Chancen zu nutzen.

Anleger, die jeglichen Verlust zu vermeiden versuchen, opfern für dieses Ziel oftmals einen großen Teil ihres potenziellen Wachstums.

Das Wichtigste ist, Ungewissheit zu akzeptieren und ihr möglichst gelassen zu begegnen, denn nur so kann man erfolgreich investieren. Das Ziel besteht nicht darin, die Ungewissheit zu beseitigen, sondern sie zu akzeptieren und mit ihr umzugehen. Wenn Sie die Ungewissheit akzeptieren, stellt sie keine beängstigende Situation mehr dar, sondern vielmehr eine verwertbare Chance. Obendrein befreien Sie sich von einem erheblichen Stress, der „schmerzhafter“ ist als das Unbehagen, das Sie empfinden, wenn Sie Ihre Verluste hinnehmen. Dieser Stress kann andernfalls dazu führen, dass Sie zu einer Zeit, in der Untätigkeit dramatische Folgen haben kann, falsche oder sogar gar keine Entscheidungen treffen.