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April 19, 2024

Wenn Risikoscheu Anleger weniger erfolgreich macht

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST November 8, 2019 3464

Risikoscheu sollte für Anleger eigentlich ein nützlicher Charakterzug sein. Sie bewahrt sie vor starken Turbulenzen an den Wertpapiermärkten und hilft ihnen, schlechte Anlagen zu meiden. Sie ist eine natürliche Reaktion, wenn man hart für sein Geld gearbeitet hat und dieses Geld nicht verlieren will. Doch allzu häufig bleiben Anleger dann zur falschen Zeit in den falschen Anlagen investiert, was auf lange Sicht ihr Vermögen schmälert.

Risikoscheu in Bezug auf die Verwaltung der eigenen Anlagen und des eigenen Vermögens kann sich auf vielerlei Arten äußern. So bleiben viele Anleger etwa lieber auf ihrem Geld sitzen, als es in Aktien oder auch Anleihen anzulegen. Gemäß der letzten Ausgabe von BlackRock Investor Pulse, der größten Umfrage unter Anlegern weltweit, legen 57% der befragten Personen keinen Cent ihres Ersparten in marktbasierten Anlagen an; 27% gaben an, Angst davor zu haben, alles zu verlieren.

Die Neigung, Barpositionen zu halten, vernichtete langfristig viel Vermögen: Rund 15 Jahre lang lagen die Zinssätze (annähernd) bei null, sodass die Erträge auf Erspartes zumeist nicht einmal die Inflation ausglichen. Der reale Wert eines Betrags von 30.000 Euro würde bei einer angenommenen Inflationsrate von nur 2% nach Ablauf von 20 Jahren nur noch 20.200 Euro betragen. Derzeit sieht es sogar noch schlechter aus, da die Inflation 2022 und Anfang 2023 sprunghaft angestiegen ist – was man von den Zinsen auf Sparguthaben jedoch nicht behaupten kann.

Die Neigung, Barpositionen zu halten, vernichtete langfristig viel Vermögen: Rund 15 Jahre lang lagen die Zinssätze (annähernd) bei null, sodass die Erträge auf Erspartes zumeist nicht einmal die Inflation ausglichen.

Kapitalerhalt

Ein weiteres Problem bei der Risikoscheu ist, dass Anleger dem kurzfristigen Kapitalerhalt den Vorzug gegenüber Kapitalwachstum geben. Seit der globalen Finanzkrise, bei der die Aktienmärkte rund 40% an Wert verloren, halten sich die Anleger mit Aktienmarktanlagen zurück und scheuen die damit verbundene Volatilität. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie hatten Aktien immer wieder mit Turbulenzen zu kämpfen, und die weltweiten Aktienmärkte verbuchten im Jahr 2022 einen Wertrückgang.

Die Angst der Anleger vor plötzlichen Markteinbrüchen hat zur vermehrten Auflegung von Multi-Asset-Fonds und anderen Anlagestrategien geführt, die eine geringere Volatilität und zugleich bessere Renditen als Barpositionen anstreben. Intuitiv mögen solche Anlagen ein Gefühl von erhöhter Sicherheit vermitteln, doch unter Umständen wird dabei das langfristige Kapitalwachstum beeinträchtigt, das erforderlich ist, um zum Beispiel einen sorgenfreien Lebensabend zu sichern. Zwischen 2009 und 2020 haben die Aktienmärkte beeindruckende Gesamtrenditen erzielt. Für ein langfristiges Kapitalwachstum ist es ungemein wichtig, an den Märkten investiert zu bleiben und bei vorübergehenden Rückgängen nicht in Panik zu verfallen.

Es gibt sogar einige sehr gute Argumente, warum Anleger bei ihren Aktienmarktanlagen größere Risiken eingehen sollten. Viele Aktienstrategien sind bestrebt, das Verlustrisiko zu minimieren und die Anleger durch möglichst ruhige Gewässer zu lotsen. Dabei können die langfristigen Erträge jedoch auf der Strecke bleiben.

Auswahl wachstumsstarker Aktien

Analysen von Hendrik Bessembinder, einem Finanzexperten und Professor an der Arizona State University, W. P. Carey School of Business, haben jedoch gezeigt, dass sich die Aktienmarkterträge auf einige wenige wachstumsstarke Unternehmen konzentrieren – wer diese nicht hält, kann auch genauso gut in Staatsanleihen investieren. Nach Aussage von Prof. Bessembinder erbrachten über einen Zeitraum von 90 Jahren betrachtet mehr als 95% der Unternehmen am US-Markt keine Erträge.

Er erklärt, dass zwischen 1926 und 2016 die Gesamtwertschöpfung in Höhe von 35 Billionen US-Dollar durch Aktien, deren Renditen jene von US-Treasuries überstiegen, gerade einmal 1.092 Unternehmen zugerechnet werden kann, also 4,3% der fast 26.000 Aktien, die in diesem Zeitraum an den Märkten gehandelt wurden. Mehr als die Hälfte dieser 35 Billionen US-Dollar wurden von nur 90 Unternehmen erzielt, d.h. weniger als 0,333%.

Diese Ergebnisse dürften für Anleger schwer zu verdauen sein. Sie bedeuten letztlich, dass es für die Steigerung des Vermögens auf lange Sicht praktisch unumgänglich ist, diese wachstumsstarken Unternehmen zu identifizieren, – auch wenn sie wahrscheinlich volatil sind und oftmals teuer erscheinen mögen. Diese Ergebnisse erklären auch, warum schlecht diversifizierte Portfolios eine Performance unter dem Marktdurchschnitt verzeichnen.

Diversifiziertes Portfolio

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass beispielsweise Amazon im Jahr 2000 als extrem teuer galt, als der Aktienkurs bei 0,78 US-Dollar lag; das Unternehmen erwirtschaftete bis 2005 trotz steigender Absatzzahlen keine bzw. kaum Gewinne. Nach einem kurzfristigen Höchststand von 172 US-Dollar im Dezember 2021 lag der Aktienkurs im Juni 2023 bei fast 128 US-Dollar. Dies veranschaulicht, wie Risikoscheu Anleger daran hindern kann, bestmöglich vom Wachstum an den Aktienmärkten zu profitieren.

Es zeigt aber auch, wie wichtig ein gut diversifiziertes Portfolio ist, durch das die Wahrscheinlichkeit steigt, dass einige der darin enthaltenen Aktien eine erstklassige Wertentwicklung erzielen (und Verluste ausgleichen). Außerdem müssen Anleger diese Aktien lang genug halten, damit diese ihr wahres Wertpotenzial entfalten können. Dies können sie dadurch erreichen, dass sie in einen oder mehrere passive Fonds – in der Regel ETFs – mit einer breiten Vielfalt an Aktien eines Aktienmarktindex investieren oder einen aktiven Fondsmanager auswählen, dem es in der Vergangenheit bereits gelungen ist, die künftigen Gewinner aus der großen Masse herauszupicken.

Unser Schmerz bei Verlusten ist sehr viel größer als unsere Freude über Gewinne.

Tief verwurzelte psychologische Phänomene tragen zur Risikoscheu bei. Laut Experten für Verhaltensökonomie ist unser Schmerz bei Verlusten sehr viel größer als unsere Freude über Gewinne. Die Psychologen Amos Tversky und Nobelpreisträger Daniel Kahneman entwickelten in den späten 1970er Jahren die Prospect Theory (zu Deutsch auch: Neue Erwartungstheorie). Damit wird ermittelt, wie Menschen zwischen verschiedenen Ergebnissen auswählen. Beispielsweise, ob sie sich eher für den Kauf einer Anlage in der Erwartung langfristiger Gewinne – aber mit dem Risiko kurzfristiger Verluste – entscheiden, oder ob sie lieber dem Kapitalerhalt Vorrang geben.

Streben nach Sicherheit

Ihre Studien ergaben, dass Anleger tendenziell Wert auf Sicherheit legen; Menschen geben sicheren Ergebnisse den Vorzug gegenüber Ergebnissen, die nur wahrscheinlich sind. Im Kontext der Märkte ist das nachvollziehbar, da potenzielle Gewinne hoch sein können, jedoch immer auch unsicher sind. Barpositionen und Anlagen in risikoarmen Anleihen bieten dagegen Gewissheit oder zumindest eine größere Vorhersehbarkeit. Das beruhigt die Anleger, denn sie wissen, dass sie wenigstens ihren Nominalbetrag zurückerhalten, auch wenn dessen Kaufkraft unter der Inflation gelitten hat.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass das wahrgenommene Risiko einer Anlage am Aktienmarkt geringer ist, als die meisten Menschen glauben – solange Anlagen langfristig gehalten werden. Analysen des britischen Finanzberaters Willis Owen ergaben, dass Anleger während eines 33-jährigen Zeitraums in nur sechs von 281 möglichen Phasen mit zehnjährigen Anlagen an den Aktienmärkten Geld verloren haben.

Strategien zur Verlustminderung

Im Allgemeinen war dies dann der Fall, wenn Anleger in genau jener Zeit an den Aktienmärkten anlegten, wenn diese sich auf Hochständen bewegten, kurz vor einem Crash – zum Beispiel am 31. Januar 1999 oder kurz vor der Finanzkrise zwischen 2007 und2009. Ansonsten schnitten die Anleger mit einer durchschnittlichen Rendite von 139% in einem Jahrzehnt sehr viel besser ab.

In den meisten Fällen hätten diese – sehr seltenen – Verluste durch eine Strategie mit regelmäßigen monatlichen Anlagen, anstatt das gesamte Kapital auf einmal am Aktienmarkt anzulegen, gemindert werden können. Mit dieser Strategie, die auf den Durchschnittskosteneffekt setzt, kann ein Anleger eine oder mehrere Anlagen mit gleich bleibenden Beträgen in regelmäßigen Abständen kaufen.

Risikoscheu kann sich für Anleger positiv auswirken, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn sie die Höhe des Risikos an den Aktienmärkten falsch einschätzen oder dem kurzfristigen Kapitalerhalt den Vorzug gegenüber langfristigem Kapitalwachstum geben, können sie am Ende schlechter dastehen. Die Daten besagen, dass der beste Ansatz für Anleger darin besteht, mehr Risiken einzugehen, als sie es instinktiv tun würden, und langfristig standhaft zu bleiben. Noch besser wäre es, zu verstehen, dass das Eingehen von Risiken Chancen eröffnen kann, während Angst unter Umständen zu schweren und kostspieligen verhaltensbedingten Anlagefehlern führt.