Nach der großen Stabilität: Anlegen in einem von Inflation geprägten Umfeld
Mit Blick auf die Weltwirtschaft lassen sich die letzten zehn Jahre als Phase großer Stabilität bezeichnen. Die Zinsen und die Inflation waren niedrig, das Wirtschaftswachstum stetig und gut prognostizierbar. Diese Stabilität spiegelte sich auch an den Finanzmärkten wider: Dank steigender Anleihen- und Aktienkurse war es in diesem Umfeld relativ einfach, mit Anlagen ein Kapitalwachstum zu erzielen. Nun, da die Finanzmärkte nicht mehr von einer lockeren Geldpolitik profitieren, scheint diese Phase vorüber zu sein.
Das Ende der Pandemie und die Wiederöffnung der Wirtschaft überall auf der Welt führten zu massiven Versorgungsengpässen, die einen Anstieg der Inflation auslösten. Durch den Krieg in der Ukraine wurde diese Dynamik weiter angeheizt. Der Ölpreis stieg von 20 US-Dollar pro Barrel im April 2020 auf rund 120 US-Dollar zwei Jahre später. Andere Rohstoffpreise haben ebenfalls stark zugelegt – der Weizenpreis verdoppelte sich im gleichen Zeitraum, und auch bei Industriemetallen waren kräftige Preissteigerungen zu verzeichnen.
Aufgrund der Inflation haben die Menschen weniger Geld in der Tasche, sodass Haushalte und Unternehmen weniger ausgeben bzw. investieren können und sich eine weltweite Rezession abzeichnet. Noch beunruhigender sind allerdings die Aussichten auf eine sogenannte Stagflation – eine Mischung aus äußerst schwachem Wirtschaftswachstum und hoher Inflation, wie sie zuletzt in den 1970er Jahren aufgetreten ist – denn darauf sind Privatpersonen, Regierungen und Unternehmen schlecht vorbereitet.
Die höhere Inflation hat die Zentralbanken zur Anhebung der historisch niedrigen Zinssätze veranlasst, die während eines Großteils des vergangenen Jahrzehnts die Regel waren. Wir haben uns an extrem niedrige Fremdkapitalkosten gewöhnt: Die Haushalte haben für Immobilien- und Verbraucherkredite kaum Zinsen gezahlt, und auch die Unternehmen konnten sich günstig Geld beschaffen, was sich positiv auf das Investitionsklima auswirkte. Der Markt für US-Unternehmensanleihen erreichte 2021 ein Rekordvolumen von 10,5 Billionen US-Dollar. Nun belasten steigende Fremdkapitalkosten nicht nur die Konjunktur, sondern auch die Regierungen. Denn zur Unterstützung von Bevölkerung und Wirtschaft haben diese während der Pandemie erhebliche Schulden aufgenommen.
Anlageumfeld im Wandel
Im Hinblick auf Investitionen sorgte die Stabilität der vergangenen zehn Jahre für ein ausgesprochen unkompliziertes Anlageumfeld, vor allem an den Aktienmärkten. Die Anleger konnten in nahezu jedem gewählten Anlagebereich, d. h. in allen Sektoren, Regionen und Anlageklassen, mit Erträgen rechnen.
Besonders gut entwickelten sich sogenannte Langzeitanlagen, angefangen bei Technologiekonzernen mit hohem langfristigen Wachstumspotenzial bis hin zu Anleihen mit langer Laufzeit, die über viele Jahre hinweg vorhersehbare Cashflows bieten.
In einem Umfeld steigender Zinsen und höherer Inflationsraten muss man sich etwas mehr Gedanken machen. Es gibt keine absolut sichere Möglichkeit, ein Portfolio vor der Inflation zu schützen. Wenn die Preise steigen, haben sich die Kosten der naheliegenden Instrumente zur Inflationsabsicherung, wie inflationsgebundene Anleihen oder Aktien von Energieversorgern, häufig bereits erhöht.
Es ist jedoch sinnvoll, Vermögenswerte zu besitzen, deren Erträge im Einklang mit den Preisen steigen können, sei es durch die von Unternehmen ausgeschütteten Dividenden oder die Mieten von Gewerbeimmobilien. Zudem sollte man Anlagen meiden, die fixe Cashflows liefern, wie etwa die meisten Anleihen, da die festen Zinserträge bei fortschreitender Inflation an Wert verlieren. In der Vergangenheit boten Investitionen an den Aktienmärkten einen besseren Schutz vor der steigenden Inflation als Anleihen.
Im aktuellen Umfeld ist es problematisch, nichts zu tun, d. h. Bargeld zu halten. Gleichzeitig ist die Anlage in Finanzwerten aufgrund der Marktvolatilität jedoch risikoreicher.
Zudem ist es ein Umfeld, in dem es sehr teuer wird, Bargeld zu halten. Bei einer hohen Inflation wird der Realwert von Ersparnissen schnell aufgezehrt, und sie verlieren an Kaufkraft. Es handelt sich um ein komplexes Umfeld, in dem es problematisch ist, nichts zu tun, d. h. Bargeld zu halten. Gleichzeitig ist die Anlage in Finanzwerten aufgrund der Marktvolatilität jedoch risikoreicher als in der jüngeren Vergangenheit.
Abstufungen bei festverzinslichen Anlagen
Die steigende Inflation wirkt sich zwar grundsätzlich ungünstig auf Bestandsanleihen aus, es gibt aber dennoch verschiedene Abstufungen. Der Wert von Anleihen höherer Qualität, d. h. Staatsanleihen aus Industrieländern und Unternehmensanleihen von Spitzenunternehmen, dürfte hauptsächlich von den Inflationserwartungen und den steigenden Zinsen beeinflusst werden.
Bei höher verzinslichen Anleihen von Unternehmen mit niedrigerer Bonität oder Staatsanleihen aus Schwellenmärkten ergibt sich das Risiko für die Anleger jedoch vorwiegend aus der Einschätzung der Kreditwürdigkeit des Emittenten.
Inflationsgebundene Staatsanleihen sollten die Anleger eigentlich schützen, doch ihr Preis ist an die Inflationserwartungen anstatt an die tatsächliche Erhöhung der Lebenshaltungskosten gekoppelt. Anleger, die sich gegen die Inflation absichern möchten, sollten also gut darauf achten, was bereits eingepreist ist. Wenn bereits eine hohe Inflation herrscht, die voraussichtlich weiter steigen wird, bieten inflationsgebundene Anleihen keinen wesentlichen Vorteil.
Rohstoffe als Absicherung gegen die Inflation
Wie zu erwarten haben Rohstoffe bei der aktuellen Inflationswelle bislang einen beträchtlichen Schutz geboten. Die Rohstoffpreise sind aufgrund verschiedener Faktoren gestiegen. Dazu zählen die hohe Nachfrage infolge der wirtschaftlichen Erholung nach der COVID-19-Pandemie, Engpässe aufgrund von Lieferkettenunterbrechungen und Dominoeffekte des Krieges in der Ukraine.
Staatliche Programme zur Förderung umweltfreundlicher Infrastruktur und grüner Mobilität haben zu einer deutlich höheren Nachfrage nach Grundstoffen wie Kupfer und Lithium und somit auch zu einem Preisanstieg in diesem Bereich geführt. Bergbauunternehmen und Energieversorger haben sich gut behauptet, obgleich die Aktienmärkte insgesamt zu kämpfen hatten. Agrarrohstoffe könnten sich angesichts der wachsenden Besorgnis über weltweit drohende Lebensmittelkrisen ebenfalls gut entwickeln.
Gold gilt seit jeher als Absicherung gegen die Inflation, ist jedoch nicht immer verlässlich.
Gold gilt seit jeher als Absicherung gegen die Inflation, ist jedoch nicht immer verlässlich. Tatsächlich schwankt der Wert des Edelmetalls eher im Einklang mit den (inflationsbereinigten) Realzinsen. Er legt zu, wenn diese negativ sind und fällt, wenn sie steigen. In einem von Stagflation geprägten Umfeld könnte Gold jedoch gut abschneiden, falls die Anleger das Vertrauen in andere Anlageklassen verlieren. Kurzum: Gold eignet sich nicht so sehr zur Absicherung gegen die Inflation, ist aber ein guter struktureller Diversifizierungsfaktor.
Value-Aktien gewinnen wieder an Beliebtheit
Bei Inflation ist heute verfügbares Bargeld attraktiver als zukünftige Erträge. Das begünstigt Value-Aktien, die grundsätzlich von bewährten Unternehmen begeben werden, nach deren Produkten und Dienstleistungen eine stetige und kalkulierbare Nachfrage herrscht und die meist hohe Dividenden zahlen.
Technologieunternehmen, vor allem solche, die sich noch nicht in der Gewinnzone befinden oder deren Bewertung mit Unsicherheit verbunden ist, sind hingegen in Ungnade gefallen. Die Anleger bevorzugen vor allem Unternehmen mit Preissetzungsmacht, die ihnen die Möglichkeit gibt, ihre gestiegenen Kosten an die Endkunden weiterzureichen.
Andere erwägenswerte Anlageklassen sind beispielsweise Immobilien und Infrastruktur, die inflationsbereinigte Erträge liefern. Vermieter von Gewerbeimmobilien können gegebenenfalls die Mieten anheben und ihre Erträge so in gewissem Umfang absichern.
Allerdings muss die Immobilie hierfür geeignet sein. Einige Marktsegmente stehen vor strukturellen Problemen, beispielsweise Einzelhandelsgeschäfte in den Innenstädten und Teile des Bürosektors, für den die langfristigen Auswirkungen der Arbeit im Homeoffice noch nicht vollständig erfasst wurden. Infrastrukturanlagen verfügen häufig über einen in die Bau- und Betriebsverträge für Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser, Mautstraßen oder Pipelines integrierten Inflationsschutz.
Streben nach Qualität
Unter günstigen Marktbedingungen suchen Anleger Chancen für Kapitalwachstum. Sind die Markbedingungen schlecht, konzentrieren sie sich darauf, möglichst kein Geld zu verlieren. Für letztere Situation gibt es kein Patentrezept; gegebenenfalls müssen die ungünstigen Bedingungen auf kurze Sicht einfach akzeptiert werden. Aufgrund der Volatilität ergeben sich jedoch auch Gelegenheiten, und die Aktienmarktbewertungen sind nach jahrelangem Wachstum zurückgegangen. Dieses Umfeld erfordert eine solide Analyse. Qualitätsunternehmen mit geringer Verschuldung, überzeugenden Geschäftsmodellen und einzigartigen Produkten können sich jedoch auch bei steigender Inflation hervorragend entwickeln.
Darüber hinaus sollten die Anleger einige bewährte Verhaltensweisen beachten, um gut durch diese Marktphase zu kommen. Regelmäßige Anlagen am Markt ermöglichen es ihnen, zu verschiedenen Kursen zu kaufen und die Durchschnittskosten für Ihr Investment über die Zeit zu senken. Sie sollten versuchen, sich nicht durch die Vielzahl kurzfristiger Marktmeldungen beirren zu lassen und in Panik verkaufen, wenn die Kurse fallen, oder inmitten der pessimistischen Stimmung auf Schnäppchenjagd gehen. Am besten ist es, sich langfristig an eine Strategie zu halten.
Das aktuell volatilere Umfeld sorgt dafür, dass sich andere Arten von Vermögenswerten als zuvor gut behaupten können bzw. ins Hintertreffen geraten. Es ist zweifellos ein komplexeres und für die Anleger anspruchsvolleres Szenario als während eines großen Teils der letzten zehn Jahre, doch Chancen werden sich sicher auch weiterhin ergeben.
Noch beunruhigender sind allerdings die Aussichten auf eine Stagflation – eine Mischung aus äußerst schwachem Wirtschaftswachstum und hoher Inflation – denn darauf sind Privatpersonen, Regierungen und Unternehmen schlecht vorbereitet.