Meine Finanzen, meine Projekte, mein Leben
Oktober 30, 2024

Niedrige Zinsen, schwere Entscheidungen für Anleger

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST März 28, 2019 2201

Die Europäische Zentralbank hat ihre Politik der quantitativen Lockerung zwar im vergangenen Dezember beendet, bisher gibt es jedoch noch keine Anzeichen für eine Anhebung der Zinsen. Das bedeutet, dass uns die extrem niedrigen Zinssätze der vergangenen rund zehn Jahre auch in absehbarer Zukunft erhalten bleiben werden. Anleger sollten diese Tatsache berücksichtigen. Wir haben daher einige Aspekte zusammengestellt, die Sie in einem Niedrigzinsumfeld beachten sollten.

Als Antwort auf die globale Finanzkrise haben die Zentralbanken die Zinssätze auf noch nie dagewesene Niveaus gesenkt. Die Entscheidungsträger wollten mit der Förderung von Investitionen, Krediten und Ausgaben einen katastrophalen Konjunkturabschwung verhindern, und deutliche Zinssenkungen waren in diesem Zusammenhang eine naheliegende Notfallmaßnahme. Eine nachhaltige Erholung ließ im historischen Vergleich jedoch auf sich warten, und da zudem die Inflation nicht anzog, blieben diese Notfallmaßnahmen in Kraft.

Als Mitte 2018 ein synchrones Wachstum verzeichnet wurde und optimistische Einschätzungen vorherrschten, begann die EZB damit, das Anleihenkaufprogramm im Rahmen ihrer Politik der quantitativen Lockerung zurückzufahren. Seitdem hat eine beispiellose Reihe von Unsicherheiten die europäische Wachstumsfähigkeit eingetrübt. Deutschland ist nah an einer Rezession, Italien ringt seit Langem um ein nennenswertes Wachstum und die Demonstrationen der Gelbwesten in Frankreich haben die Wirtschaftsaktivität des Landes beeinträchtigt.

Unterdessen gerät die Weltwirtschaft zunehmend unter Druck. China leidet unter den angedrohten Zöllen auf Exporte in die USA, und die Anreize für die amerikanische Volkswirtschaft durch die Steuersenkungen Anfang 2018 lassen zunehmend nach. Die aktuelle Erholung in Europa könnte sich zudem als kurzlebig erweisen.

In der Eurozone scheinen steigende Zinsen folglich noch in ferner Zukunft. Die Märkte gehen derzeit davon aus, dass die EZB im weiteren Jahresverlauf oder Anfang 2020 mit einem Zinsanhebungszyklus beginnen wird. Sollte sich das wirtschaftliche Umfeld allerdings weiter verschlechtern, könnte dieser Schritt jedoch verschoben werden. Eine aktuelle Studie der Europäischen Zentralbank legt nahe, dass die Währungshüter in den kommenden Jahren nur wenig Spielraum für Zinsanhebungen haben könnte. Es scheint daher, als müssten Anleger anhaltend niedrige Zinsen in ihre Strategie einbeziehen.

Warum niedrige Zinsen einen anderen Ansatz erfordern

Unter normalen Bedingungen führen Einlagen auf Sparkonten für Anleger in der Regel zu Opportunitätskosten. Ihr Kapital hätte sich am Aktienmarkt unter Umständen besser entwickelt. Bevorzugt man jedoch die Sicherheit von Bareinlagen, so sind die langfristigen Folgen begrenzt, da trotz allem ein gewisser Kapitalzuwachs erzielt wird. Bei einer Inflation von 2 % und einer Verzinsung von Sparguthaben in Höhe von 4 % würde die jährliche Realrendite 2 % betragen.

Das Inflationsziel der EZB beläuft sich derzeit auf 2 %. Bei diesem Inflationsniveau würde der tatsächliche Wert von 10.000 Euro, die auf einem unverzinsten Sparkonto liegen, innerhalb von zehn Jahren auf 8.170 Euro sinken.

Wenn die Zinsen jedoch bei 0 % oder knapp darüber liegen, ändert sich die Gleichung. Beträgt die Inflation 2 % und wird das Sparkonto nur mit 1 % verzinst, verliert das langfristige Guthaben der Anleger jedes Jahr 1 % an Wert. Über einen Zeitraum von 20 bis 25 Jahren könnte dies zu einem erheblichen Vermögensverlust führen. Das Inflationsziel der EZB beläuft sich derzeit auf 2 %. Bei diesem Inflationsniveau würde der tatsächliche Wert von 10.000 Euro, die auf einem unverzinsten Sparkonto liegen, innerhalb von zehn Jahren auf 8.170 Euro sinken.

Dies zwingt Anleger zu einer Änderung ihrer Strategie, da sie Risiken eingehen müssen, um eine nennenswerte Rendite zu erzielen. Daneben sollten Bareinlagen unattraktiver werden. Doch die Menschen reagieren anders. Ein gutes Beispiel ist Deutschland, dessen Bevölkerung neben den Luxemburgern und Schweden zur Spitzengruppe der Sparer in Europa gehört und durchschnittlich rund 17 % des Jahreseinkommens zurücklegt.

Ein Großteil dieses Geldes liegt jedoch leider auf Sparkonten, die keine Erträge erwirtschaften. Gleichzeitig sind die finanziellen Vermögenswerte der Deutschen mit die geringsten in Europa. Bei derart niedrigen Zinsen für Bareinlagen schrumpft damit fortlaufend das Sparguthaben des Landes.

Anleihen als Alternative?

Niedrige kurzfristige Zinssätze belasten auch die längerfristigen Anleiherenditen, die für Anleger in der Vergangenheit eine wichtige Ertragsquelle darstellten. Einzelpersonen, die auf Erträge aus ihren Ersparnissen angewiesen sind, müssen andere Anlagen in Betracht ziehen – in der Regel Vermögenswerte mit höherem Risiko –, um dieselben Renditen zu erzielen, die Anleihen in der Vergangenheit boten. Die Rendite für 10-jährige deutsche Staatsanleihen beträgt aktuell zum Beispiel 0,22 %. Sie liegt damit unter den Zinssätzen der meisten Sparkonten und bietet keine rentable Einnahmequelle mehr.

Um Erträge zu generieren, müssen sich die Anleger den Aktienmärkten zuwenden. Infolge der gestiegenen Nachfrage durch die Anleger hat dies zu einem Anstieg der Kurse von Aktien mit „anleiheähnlichen“ Merkmalen geführt. Zu diesen Aktien zählen Titel mit verlässlichen Gewinnen und zuverlässigem Cashflow, die einen konstanten Dividendenertrag bieten. Diese Unternehmen sind aktuell relativ hoch bewertet, ihre Kurse können auf eine Änderung des Zinsumfelds jedoch empfindlich reagieren.

Unternehmen, für die ein starkes Wachstum erwartet wird (vor allem im Technologiesektor), wurden in den vergangenen Jahren von Anlegern sehr geschätzt. Eine kleine Gruppe von internationalen Technologiekonzernen, die vorwiegend in den USA ansässig sind, verzeichnete beträchtliche Kursanstiege, da die Anleger Wachstum um jeden Preis wünschten.

Dies ist durchaus sinnvoll, da in einer Zeit mit relativ geringem Wirtschaftswachstum Unternehmen wertvoller sind, die dauerhaft schneller wachsen als ihre Mitbewerber. Aus diesem Grund wurden Vergleiche mit den 1960er und frühen 1970er Jahren gezogen. Zu dieser Zeit, der eine Phase mit schwachem BIP-Wachstum vorausgegangen war, schätzten US-Anleger die Gruppe der „Nifty Fifty“. Dieser Name bezeichnete eine konzentrierte Gruppe von vorwiegend amerikanischen Großunternehmen mit hohem Wachstum, die an der New York Stock Exchange notierten. Dabei ist jedoch anzumerken, dass der Vergleich von Netflix heute und Polaroid in den 1970er Jahren eine zu starke Vereinfachung wäre.

Während der Marktturbulenzen im Oktober 2018 gaben sowohl Anleihen als auch Aktien nach. Gemäß der klassischen Investmenttheorie dürfte dies jedoch nicht passieren.

Die Struktur von Portfolios gewinnt an Bedeutung

Die „Nifty Fifty“ wurden letztendlich vom Bärenmarkt der 1970er zu Fall gebracht, und im aktuellen Umfeld sind selbst die größten Technologieunternehmen anfällig für Änderungen in Bezug auf Risikofaktoren. Nicht nur Anleihen erscheinen durch einen Zinsanstieg gefährdet, sondern auch eine Reihe von Aktien.

Während der Marktturbulenzen im Oktober 2018 gaben sowohl Anleihen als auch Aktien nach. Gemäß der klassischen Investmenttheorie dürfte dies jedoch nicht passieren. Anleihen sollten ein Portfolio schützen, wenn die Aktienmärkte empfindlich auf Volatilität reagieren.

Anleger müssen daher die Strukturierung ihres Portfolios überdenken und Risikoquellen neu bewerten. Ein gemischtes Portfolio aus Aktien und Anleihen bietet unter Umständen nicht den Schutz, den Anleger anstreben. Diese Situation spricht für die Berücksichtigung alternativer Anlageklassen und eine sorgfältige Verteilung der Anlagen. Oder handelt es sich vielleicht einfach um ein perfektes Beispiel dafür, dass Korrelationen nicht konstant sind und sich Diversifikationsvorteile erst über längere Zeiträume ergeben?

Anleger müssen bei der Umsetzung der üblichen Schutzvorkehrungen heute sorgfältiger denn je vorgehen: Eine wohlüberlegte Diversifizierung, eine strenge Titelauswahl und ein solides Risikobewusstsein sind unabdingbar.

Die niedrigen Zinsen haben das Anlageumfeld verändert. Um stabile Renditen zu erzielen, sind viele Anleger nun dazu gezwungen, größere Risiken einzugehen als geplant. Da sich das Umfeld in naher Zukunft nicht ändern dürfte, müssen Anleger bei der Umsetzung der üblichen Schutzvorkehrungen heute sorgfältiger denn je vorgehen: Eine wohlüberlegte Diversifizierung, eine strenge Titelauswahl und ein solides Risikobewusstsein sind unabdingbar.