Unerschütterlicher Optimismus und die Anleger von morgen
In dem Artikel „Die Mutter aller Themen mit Disruptionspotenzial: Nachhaltigkeit“ hatte ich die „beängstigende Zunahme der Agnotologie“ weltweit angesprochen und erläutert, dass die Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch spezifische Interessengruppen durchaus üblich ist. Die COVID-19-Krise löste unzählige Traumata aus, darunter auch persönliche Schicksalsschläge. Sie bietet jedoch auch Chancen für eine tragfähigere Zukunft, denn sie brachte unsere Überzeugung ins Wanken, dass wir großen Veränderungen machtlos gegenüberstehen.
Die Klimakrise, die in Medien und Politik derzeit kaum noch eine Rolle spielt, ist weiterhin ein vordringliches Problem und wird im Laufe der Zeit noch größere Besorgnis erregen. Sie birgt das Potenzial für eine künftige Krise von weltweitem Ausmaß, die noch gewaltiger ausfallen könnte als die, die wir gerade durchleben.
Während des Virusausbruchs sind Wissenschaftler die vertrauenswürdigste Instanz. Das ist eine wunderbare Gelegenheit für Bürger und Regierungsverantwortliche, um aus der Vergangenheit zu lernen, Veränderungen anzustoßen und die Herausforderungen, vor denen wir stehen, in Angriff zu nehmen. Wie wir gerade lernen, kommt es beim Ergreifen wirksamer Maßnahmen auf den richtigen Zeitpunkt an. Die Konjunktur muss dringend wieder in Gang kommen, aber ebenso wichtig ist es, künftige Krisen infolge des Klimawandels zu verhindern. K. S. Robinson äußerte sich dazu wie folgt:1 „Das Virus verändert unsere Vorstellungswelt. Was früher unmöglich erschien, ist nun denkbar. Wir nehmen unseren Platz in der Geschichte anders war. Uns ist bewusst, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Welt, einer neuen Ära stehen. Offenbar lernen wir gerade, unsere Empfindungen neu einzuordnen.“
Ein solcher Wandel ist überfällig. Wir achten die Grenzen, die Mutter Natur uns setzt, schon längst nicht mehr und verursachen Schäden, die unsere Kinder nie wieder beheben können. Indem sie die Wirtschaft zum Stillstand bringen, um die Infektionskurve abzuflachen, bringen die meisten Staaten zum Ausdruck, dass Gesundheit wichtiger ist als Wohlstand. Das ist ein historischer Augenblick. Früher waren wir angesichts des drohenden Massensterbens nicht in der Lage zu handeln. Die Pandemie löst ein Gefühl der Panik aus.
Als die Behörden mit nachdrücklichem Rückhalt der Bürger beschlossen, einen Großteil der Bevölkerung in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken, wurde ihnen wieder klar, dass Humankapital ein Produktionsfaktor ist.
Wir waren nicht auf eine Pandemie vorbereitet, aber gut für eine Finanzkrise gerüstet (denn damit haben wir Erfahrung).
Genaues wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen, doch sein Sie nicht überrascht, wenn allen irgendwann klar wird, dass wir zwar nicht auf eine Pandemie vorbereitet, aber gut für eine Finanzkrise gerüstet waren (denn damit haben wir Erfahrung). Ohne sich vorher abgestimmt zu haben, mobilisierten die meisten Industrieländer praktisch sofort gewaltige Summen, um die Finanzliquidität aufrechtzuerhalten, waren allerdings nicht in der Lage, dem medizinischen Personal geeignete Schutzkleidung zur Verfügung zu stellen.
Langsam aber sicher kommen wir zu der Erkenntnis, dass Humankapital der wichtigste Produktionsfaktor einer Volkswirtschaft ist. Wussten Sie beispielsweise, dass Umweltverschmutzung2 seriösen Forschungsarbeiten zufolge dem Humankapital schadet? Aus den Ergebnissen ging hervor, dass Luftverschmutzung die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Sie macht uns krank und dumm. Wenn wir also die Umweltverschmutzung verringern, kommt das unserer Gesundheit und unserem Geldbeutel zugute. Wirtschaftswissenschaftler nennen solche Faktoren „externe Effekte“, und für Anleger liegt natürlich auf der Hand, welche Chancen Technologien bieten, die diesen Übergang zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen. Das Gleiche gilt für die Unternehmen, die bei diesem Wandel eine Führungsrolle übernehmen. Wenn sich die Wirtschaftswissenschaften wirklich mit dem optimalen Einsatz von Ressourcen beschäftigen, dann ist es jetzt höchste Zeit, es richtig zu machen. Wir befinden uns auf der falschen Seite der Laffer-Kurve für Umweltverschmutzung3.
Weniger Umweltverschmutzung sorgt im Grunde für ein höheres BIP.
Weniger Umweltverschmutzung sorgt im Grunde für ein höheres BIP. Eine Förderung von Anlageformen, die diesen Übergang unterstützen, ist nicht nur aus moralischer Sicht eine gute Idee, sondern auch effizient, denn durch sie lassen sich externe Effekte abschwächen. Wir sollten die aktuelle Pandemie nutzen, um all dies zu überdenken. Dinge ändern, um ein „generationsübergreifendes Schneeballsystem“ zu verhindern4, bei dem die ökologischen Kosten, die wir heute nicht begleichen, als verhängnisvoller Stapel von „Schuldscheinen“ an unsere Nachkommen weitergereicht werden, die dann die Zeche zahlen müssen.
Wie Tom Rivett-Carnac meisterhaft erläutert5, geht es darum, wieder Herr unseres Handelns zu werden. Wir nehmen die belanglosen Kleinigkeiten des Alltagslebens als Dinge war, die wir beherrschen können. Angesichts der rasch über uns hereinbrechenden Krise sind wir frustriert und deprimiert. Wenn wir vor einer enormen Herausforderung stehen und uns machtlos fühlen, greifen bei den meisten von uns irrationale Verhaltensmuster. Unser Verstand reagiert, indem er das Problem leugnet oder unsere eigene Rolle herunterspielt. Pfleger und Krankenschwestern haben den Menschen dabei geholfen, mit dem Schicksalsschlag COVID-19 fertig zu werden. Uns ist natürlich klar, dass diese Heldinnen und Helden die Ausbreitung der Krankheit nicht verhindern konnten. Dies entzieht sich ihrer Kontrolle. Doch das bedeutet nicht, dass ihr Beitrag bedeutungslos ist. Aufgrund des Mutes und der Menschlichkeit, die sie unter Beweis stellen, zählt ihre Arbeit zu dem Bedeutsamsten, was Menschen leisten können, auch wenn sie keine Kontrolle über das Endergebnis haben.
Bei der Klimakrise spüren wir die Auswirkungen unserer Handlungen nicht unmittelbar, da es eine zeitliche Verzögerung zwischen den Maßnahmen und den Ergebnissen gibt. Bisher ging man davon aus, dass die Folgen des Klimawandels erst irgendwann in ferner Zukunft zum Tragen kommen würden. Doch nun müssen wir feststellen, dass diese Zukunft schon wesentlich früher eingetreten ist. Eine solidarische und verantwortungsvolle Einstellung in Kombination mit konsequentem Handeln kann ganze Gesellschaften in die Lage versetzen, langfristig auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. Ein wunderbares Beispiel aus der Geschichte ist Churchill. Die Briten zauderten und taten alles Mögliche, um sich nicht mit der Realität auseinandersetzen zu müssen. Indem er das britische Volk dazu brachte, das eigene Handeln und den vor ihm liegenden Weg in einem anderen Licht zu sehen, gelang es Churchill, eine stille Entschlossenheit zu wecken, dass sich das Land niemals ergeben würde. Seine Worte waren eine Ermutigung, sich der düsteren Realität zu stellen; es ging nicht um die Wahrscheinlichkeit, den Krieg zu gewinnen. Auf diese Weise entstand ein tiefgreifender, unbeirrter und unerschütterlicher Optimismus. Die düsteren Zukunftsaussichten wurden nicht ignoriert, aber man weigerte sich, ängstlich davor zurückzuschrecken. Dieser unerschütterliche Optimismus entfaltet eine unglaubliche Kraft. Stellen wir uns also der grundlegenden Tatsache, dass der Mensch eines der Geschöpfe in unserem Lebensraum ist, die alle miteinander verbunden und für ihr Überleben aufeinander angewiesen sind.
Finanzanlagepläne sollten auf einen unerschütterlichen Optimismus gegründet sein.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich spreche mich nicht für eine weitere hausgemachte Rezession – d. h. für ein nochmaliges Ausbremsen des Wirtschaftslebens zum Schutz unseres Planeten – aus. Vielmehr geht es mir darum, dass Finanzanlagepläne auf diesen unerschütterlichen Optimismus gegründet sein sollten. Nachhaltige Anlagen bieten die Möglichkeit, dringend notwendige Maßnahmen umzusetzen, denn hierbei wird das Streben nach Finanzerträgen um einen guten Zweck ergänzt.
Wir dürfen uns nicht mehr einreden, dass wir nichts tun können, sondern müssen jetzt handeln, um die sich abzeichnende Katastrophe6 auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft abzuwenden. Vor dieser Wahl stehen wir alle.
1 https://www.newyorker.com/culture/annals-of-inquiry/the-coronavirus-and-our-future
2 http://conference.iza.org/conference_files/environ_2019/palacios_j24419.pdf
https://www.nber.org/papers/w22328
3 Die Laffer-Kurve ist eine von dem angebotsorientierten Wirtschaftswissenschaftler Arthur Laffer entwickelte Theorie, die den Zusammenhang zwischen Steuersätzen und staatlichen Steuereinnahmen zeigt. Sie dient zur Veranschaulichung von Laffers Argument, dass eine Senkung der Steuersätze in manchen Fällen zu einer Erhöhung des Gesamtsteueraufkommens führen kann.
4 https://www.newyorker.com/culture/annals-of-inquiry/the-coronavirus-and-our-future
5 Tom Rivett-Carnac: How to shift your mindset and choose your future.
6 Mark Carney in seiner Rede vom September 2015.