Wenn wir uns selbst täuschen
Anleger sollten sich vor Verzerrungen der Wahrnehmung in Acht nehmen.
So sehr Menschen sich auch bemühen, sie können sich nicht vollkommen rational verhalten. Trotz dieser Vorgabe betrachteten Finanztheoretiker Anleger lange als Personen, die sämtliche Entscheidungen wohlüberlegt treffen. In ihren Theorien gingen sie davon aus, dass der ideale Anleger alle verfügbaren Informationen sammelt, diese gründlich analysiert und anschließend in Kenntnis der Sachlage entscheidet. Dieses Modell ist das des ideal oder rational handelnden Wirtschaftssubjekts.
Kein rationales Wesen
Mit dem Aufkommen der Verhaltensforschung wurden nach und nach neue Modelle entwickelt. Sie versuchen, die begrenzte oder gar rudimentäre Rationalität der Mehrheit zu berücksichtigen. Die Verhaltensforschung stützt sich neben den Wirtschaftswissenschaften auf die Sozialwissenschaften – wie etwa die Psychologie – und konzentriert sich auf die Gedankengänge der Menschen sowie auf deren tatsächliches Verhalten. Sie hebt insbesondere die – häufig unbewussten – Faktoren und kognitiven Verzerrungen hervor, die eine Person bei der Entscheidungsfindung beeinflussen können.
Kognitive Verzerrung ist der Oberbegriff für systematisch auftretende Denk- und Wahrnehmungsfehler, die menschliche Entscheidungen beeinflussen. Immer dann, wenn wir wahrnehmen, denken, urteilen und erinnern, werden wir unbewusst von Vorannahmen des Gehirns beeinflusst. Kognitive Verzerrungen häufen sich, wenn Menschen schnell handeln müssen und/oder zu viele Informationen auf einmal vorliegen.
Die Wissenschaft, die das Verhalten und die kognitiven Verzerrungen von Anlegern untersucht, nennt man Verhaltensökonomie. Diese Disziplin wurde insbesondere im Jahr 2017 bekannt, als Richard Thaler für seinen Beitrag zum „Verständnis der Psychologie der Ökonomie“ den Nobelpreis für Wirtschaft erhielt. Thaler hat über Jahre die Entwicklung der Verhaltensökonomie entscheidend mitgeprägt und vorangebracht. Er hat die Abweichungen menschlichen Verhaltens von den Rationalitätsannahmen auf zwei wesentliche Ursachen zurückgeführt: kognitive Einschränkungen und Mängel bei der Selbstkontrolle. Neben den Rationalitätsannahmen beziehen sich seine Forschungen aber auch auf Überlegungen zur Grundhaltung von Wirtschaftssubjekten gegenüber anderen und deren Auswirkungen auf ihr wirtschaftliches Handeln.
Ein falsches Bild
Nun zu einigen der wichtigsten grundlegenden Verzerrungen, die Forscher bei Anlegern ausgemacht haben; dem Bestätigungsfehler, der Risiko- und Verlustaversion, der Selbstüberschätzung und dem Phänomen so genannter „versunkener Kosten“.
Selbstüberschätzung ist die Tendenz, die eigenen Fähigkeiten übertrieben positiv zu bewerten.
Der Bestätigungsfehler trifft zwar nicht ausschließlich auf Anlageentscheidungen zu, kann aber genau dort erhebliche Schäden verursachen. Unter dem Bestätigungsfehler versteht man die Tatsache, dass nur Informationen und Ereignisse berücksichtigt werden, die bestehende Gedanken bestätigen, und alles, was den eigenen Auffassungen und Überzeugungen widerspricht, zu ignorieren oder zu verharmlosen. Möglichst rationale Anlageentscheidungen sind so kaum möglich. Salopp gesagt: Wer bei Anlagen den Kopf in den Sand steckt, wird mit Sicherheit nicht nur gute Gewinnchancen verpassen, sondern auch viel Geld verlieren.
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Es gibt laut Experten drei klassische kognitive Prozesse: die Aufnahme, die Wahrnehmung und die Beurteilung von Informationen. Nach den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften werden diese drei Phasen emotional beeinflusst. |
Selbst wenn sich die große Mehrheit der Positionen eines Anlegers gut entwickelt, sieht dieser nur den Titel, der seit zwei Wochen im Minus ist. Er nimmt dies zur Kenntnis und will nie wieder was wagen. Dahinter steckt die Risikoaversion. Demgegenüber kann die Verlustaversion bestimmte Anleger dazu verleiten, an einem Titel festzuhalten, dessen Kurs sich im Sturzflug befindet und dessen Fundamentaldaten sich dauerhaft stark verschlechtert haben. Diese Anleger hoffen dann darauf, dass sich das Wertpapier erholen und ihnen Gewinne bescheren wird.
Wie der Name bereits sagt, bezeichnet Selbstüberschätzung die Tendenz, die eigenen Fähigkeiten übertrieben positiv zu bewerten. Im Anlagebereich bedeutet dies, die Überzeugung, trotz offensichtlicher gegenteiliger Anzeichen, stets Recht zu haben, oder vor allen anderen die Anlagegelegenheit des Jahrhunderts entdeckt zu haben. Unter dem Vorwand, es besser zu wissen, verleitet diese Verzerrung Anleger oftmals dazu, häufiger das Portfolio umzuschichten. Die dadurch entstehenden Transaktionskosten können die Gesamtrentabilität eines Portfolios jedoch letztendlich stark belasten – insbesondere, wenn sich herausstellen sollte, dass sich die neuen Anlagen nicht deutlich besser entwickelt haben als der Markt.
Das Gegenteil der Selbstüberschätzung ist die Selbstabwertung. Hierbei führt der Anleger im Voraus eine Reihe gerechtfertigter oder nicht gerechtfertigter Gründe an, warum sich die Portfoliotitel höchstwahrscheinlich schlecht entwickeln werden. Das Problem bei dieser Verzerrung ist, dass sie den Anleger vor allem davon abhält zu handeln – unabhängig davon, ob es um den Kauf oder Verkauf einer Position geht.
„Versunkene Kosten“ sind eine Art schlechte Erfahrungen mit Langzeitwirkung. Diese führen dazu, dass man sich aufgrund einer früheren Investition, die man in keiner Weise mehr zurückerlangt, irrational verhält und sich bietende Möglichkeiten falsch bewertet.
Auf Hilfe bauen
Allgemein gilt, dass es gefährlich ist, sich beim Anlegen auf sich allein zu verlassen. Zu groß ist das Risiko, ja sogar die Versuchung, sich von verzerrter Wahrnehmung leiten zu lassen. Hilfe vom Experten, mit einem Blick von außen, ist also durchaus angebracht.