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Dezember 19, 2024

Finanzen: Was Demut über die eigene Kompetenz aussagt

Im Zeitalter der Unmittelbarkeit und globalen Kommunikation gibt es viele selbsternannte Experten, die behaupten, über die Zauberformel zu verfügen, was Geldanlage und Finanzen betrifft. Was ist davon zu halten und wie kann man die eigene Kompetenz in diesem Bereich beurteilen? Ein Teil der Antwort ergibt sich daraus, wie Sie zu einem grundlegenden Wert stehen: Demut.

Sie sind bestens vernetzt und immer gut informiert? Wenn es um Geldanlage und Finanzen geht, sind Sie davon überzeugt, die besten Entscheidungen treffen zu können, ohne die Hilfe eines Finanzexperten in Anspruch nehmen zu müssen? Falls Sie diese Antworten mit Ja beantworten: Haben Sie sich schon einmal die Zeit genommen, darüber nachzudenken, worauf sich dieses Selbstvertrauen stützt?

Vielleicht interessieren Sie sich seit einigen Monaten für aufstrebende Biotech-Firmen, verfolgen die Entwicklung von Kryptowährungen oder lesen alles über vielversprechende Start-ups, die kurz vor dem Börsengang stehen. Aber reicht das aus? Bei myLIFE geht es uns nicht darum, Ihnen die Kompetenz abzusprechen. Vielmehr wollen wir Sie ermutigen, Ihre Kompetenz richtig zu beurteilen. Privatanleger können durchaus eigenständig investieren, sofern sie in der Lage sind, sich selbst richtig einzuschätzen und zuverlässige Informationen zu beschaffen und zu bewerten, auf die sie ihre Entscheidungen stützen.

„Unwissenheit führt häufiger zu Selbstvertrauen als Wissen“ (Charles Darwin)

Gefährliches Halbwissen

Wenn wir uns für ein neues Thema interessieren, saugen wir zügig eine Vielzahl neuer Informationen auf. In der Regel glauben wir dann, sehr viel mehr zu wissen, als tatsächlich der Fall ist! Wir überschätzen unsere Kompetenz, und es besteht das Risiko, dass wir bei Entscheidungen verfügbare Informationen nicht mit der gebotenen Vorsicht bewerten. Dies kann dramatische Konsequenzen haben, wenn es um unsere Finanzen geht. Um es mit den Worten von Charles Darwin zu sagen: „Unwissenheit führt häufiger zu Selbstvertrauen als Wissen“. Wer nicht weiß, dass er nichts weiß, hält sich möglicherweise für ein Genie. Ein Vorfall aus dem Jahr 1995 in den USA veranschaulicht dies.

Der Dunning-Kruger-Effekt

Nur wenige Stunden nachdem McArthur Wheeler am helllichten Tag, ohne sich zu vermummen, zwei Banken überfallen hatte, wurde er von der Polizei auf den Überwachungskameras der beiden Banken identifiziert und verhaftet. Als die Polizeibeamten ihn mit den Videoaufnahmen konfrontierten, zeigte er sich überrascht, dass sein Gesicht darauf zu erkennen war. Er hatte sein Gesicht mit Zitronensaft eingerieben und war davon überzeugt gewesen, dass ihn dies für die Kameras unsichtbar machen würde.

Diese wahre Geschichte nahmen die beiden US-amerikanischen Psychologieprofessoren Dunning und Kruger zum Anlass, sich mit den kognitiven Verzerrungen im Zusammenhang mit der Einschätzung der eigenen Kompetenz zu beschäftigen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass weniger kompetente Menschen dazu neigen, ihre Fähigkeiten zu überschätzen, und sich somit der Grenzen ihres Wissens nicht bewusst sind. Dies wird als „Dunning-Kruger-Effekt“ bezeichnet. Sehr kompetente Personen sind sich dagegen ihrer Grenzen bewusst, weshalb sie ihr Können oft unterschätzen. Da sie über eine größere Expertise verfügen und mehr Demut an den Tag legen, treffen sie häufig die besseren Entscheidungen. Allerdings rühmen sie sich nicht damit. Während sich die Inkompetenten bemühen, ihre angebliche Expertise nach außen zu tragen, gehen die Kompetenten in der Regel gezielter vor und sind zurückhaltender.

Durch ihre Kompetenz und Demut sind kompetente Menschen in der Lage, bessere Entscheidungen zu treffen.

Dies ist wichtig, da der Dunning-Kruger-Effekt nicht nur im oben beschriebenen Fall, sondern in vielen Bereichen des täglichen Lebens zu beobachten ist, beispielsweise Gesundheit, Bildung und Finanzen. Was kann man also tun? Es empfiehlt sich, sich in Demut zu üben und sicherzustellen, dass man über die richtigen Informationen verfügt, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Und genau da liegt das Problem!

Falschinformationen verbreiten sich schneller als Fakten

In unserer heutigen hypervernetzten Welt kann jeder ein Konto in einem sozialen Netzwerk eröffnen und sich in direkter Konkurrenz zu echten Experten zu jedem Thema äußern. Folgt man der Logik von Dunning und Kruger sind es jedoch nicht zwingend die Kompetentesten, die am meisten und besten kommunizieren und die meisten „Follower“ haben (myLIFE warnt im Übrigen auch vor dem Herdentrieb).

Während der COVID-19-Pandemie boten verschiedene Forschungsdatenbanken freien Zugang zu Forschungsarbeiten mit einem engen oder entfernteren Bezug zur aktuellen Pandemie. Eingesperrt in ihren Wohnungen verbrachten viele Menschen Stunde um Stunde mit dem Studium dieser Forschungsarbeiten, wobei sie sie entweder im Original lasen oder sich mit Publikationen beschäftigten, in denen die Arbeiten – häufig unzureichend – zitiert wurden. Der eine oder andere war sicherlich der Ansicht, in wenigen Tagen solide Kenntnisse in der Virologie erworben zu haben. Vielleicht haben Sie mitbekommen, dass während der Pandemie ein Video viral ging, in dem der Urheber behauptete, dass das COVID-19 verursachende Virus vom Institut Pasteur entwickelt worden sei. Bei der Beschäftigung mit den in den Forschungsdatenbanken zur Verfügung gestellten Informationen über die Pandemie konzentrierte sich der Urheber dieses Videos nur auf zwei Elemente: den Begriff SARS-CoV und die Tatsache, dass ein Patent angemeldet wurde. Der Begriff SARS-CoV bezieht sich jedoch auf eine ganze Familie von Viren, und die Anmeldung eines Patents ist ein übliches Verfahren für ein Institut, das einen Impfstoff entwickelt. Das Institut meldete tatsächlich im Jahr 2004 ein Patent an, das sich jedoch auf das Virus bezog, das 2003 eine Epidemie ausgelöst hatte.

Forscher haben aufgezeigt, dass sich Falschinformationen, die auf den ersten Blick zunächst plausibel erscheinen, in unserer hypervernetzten und informationsüberladenen Welt sechsmal schneller verbreiten und häufiger geteilt werden als Fakten. Noch bevor die Falschinformationen richtiggestellt werden können, werden sie von Millionen von Menschen geteilt, sodass es kaum möglich ist, sie wieder aus dem Netz zu entfernen: Durch Falschinformationen genährte Zweifel halten sich in der Regel.

Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert mehr Energie als dessen Produktion.

Dies ist auch als Brandolinis Gesetz oder Bullshit-Asymmetrie-Prinzip bekannt: „Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert mehr Energie als dessen Produktion.“ Ein wenig Demut und Disziplin helfen, um nicht auf Falschmeldungen hereinzufallen.

Demut als Zeichen von Kompetenz

Wenn Sie sich über Investitionsmöglichkeiten informieren, sollten Sie daran denken, dass diejenigen, die am lautesten schreien, nicht unbedingt die Kompetentesten sind, gerade wenn es um die Geldanlage geht. Hüten Sie sich vor Finanzgurus in sozialen Netzwerken.

Wirkliche Experten sind in der Regel zurückhaltender und diskreter. Ihnen ist auch kaum daran gelegen, ihre Anlageideen mit der Öffentlichkeit zu teilen. Wenn Sie sich für sehr spezielle Anlagesegmente interessieren, empfiehlt es sich daher, sich von einem Finanzexperten unterstützen zu lassen, der zwischen Falschinformationen, Gerüchten und einer guten Anlagestrategie unterscheiden kann.

Falls Sie sich dazu entscheiden, auf eigene Faust zu recherchieren, sollten Sie einen wichtigen Grundsatz beachten: Lesen Sie immer den methodischen Teil einer wissenschaftlichen Arbeit bzw. den Prospekt eines Finanzprodukts. Meistens beruht die Illusion von Kompetenz auf Überzeugungen, die so stark sind, dass kein Raum für methodisches Denken bleibt. Wenn Sie in der Lage sind, die wissenschaftliche Methodik und das Protokoll eines Experiments zu verstehen, können Sie sich selbst ein Bild von der Stichhaltigkeit der aufgestellten Thesen machen. Gleiches gilt auch für die in einem Finanzprospekt dargestellte Performance sowie das Risiko-Rendite-Profil. Falls Sie diese Elemente dagegen nicht verstehen, ist es wichtig, die Grenzen der eigenen Kompetenz zu erkennen. Dann empfiehlt es sich, sich von einem Experten beraten zu lassen.

Welche Schlüsse können wir aus alledem ziehen? Das eigentliche Problem besteht nicht darin, sich in einem bestimmten Bereich nicht ausreichend auszukennen, sondern in der Unfähigkeit, die Grenzen der eigenen Kompetenz zu erkennen. Insofern ist Demut ein guter Ratgeber, wenn es darum geht, die richtigen strategischen Anlageentscheidungen zu treffen und zu wissen, wann die Unterstützung durch einen Experten erforderlich ist.