Alphanomics: von der Unvollkommenheit der Märkte profitieren
Finanzmärkte werden stark von menschlichen Akteuren beeinflusst. Da diese ihrerseits unter dem Einfluss wechselhafter Emotionen und kognitiver Verzerrungen stehen, lässt sich das Marktgeschehen folglich nicht allein durch rationales Verhalten erklären. Die Frage lautet also: Gibt es einen Ansatz, mit dem Anleger diese vorhersehbaren Verzerrungen gezielt berücksichtigen können, um erfolgreicher zu investieren? Die Anhänger der sogenannten „Alphanomics“ sind davon überzeugt, dass es ihn gibt. Doch handelt es sich dabei nur um einen Marketing-Hype oder tatsächlich um eine kleine Revolution an den Anlagemärkten? Machen Sie sich selbst ein Bild davon.*
Das Wichtigste in Kürze
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Die Grenzen der klassischen Theorie
Lange Zeit dominierte die Effizienzmarkthypothese (Efficient Market Hypothesis, EMH) die Welt des Investierens. Dieser Grundpfeiler der Finanztheorie besagt, dass die Preise von Vermögenswerten stets alle verfügbaren Informationen widerspiegeln, und dass es deshalb unmöglich ist, den Markt systematisch zu schlagen. Die EMH beruht auf der Vorstellung, dass sich die Anleger rational verhalten und dass sich die Preise von Vermögenswerten sehr schnell an neue Informationen anpassen.
Diese Annahme, die das allgemeine Verständnis der Märkte geprägt hat, weist jedoch erhebliche und gut dokumentierte Einschränkungen auf. Die Forschung im Bereich der Verhaltensökonomie – insbesondere die Arbeit von Hersh Shefrin – zeigt auf, dass die kognitiven und emotional bedingten Verzerrungen der Anleger zu Ineffizienzen und sogar zu Anomalien am Markt führen. Überreaktionen auf sensationelle Meldungen oder Unterreaktionen auf grundlegende Informationen lösen Kursanomalien aus. Darüber hinaus beeinflussen sich die Anleger wechselseitig in ihren Entscheidungen, sodass unter Umständen eine Blase entstehen oder Panik ausbrechen kann. Zu den potenziell schädlichsten Verzerrungen gehören Selbstüberschätzung, die wiederum dazu führt, dass Risiken von den Anlegern unterschätzt werden, und Verlustaversion, die sie davon abhält, verlustbringende Vermögenswerte zum richtigen Zeitpunkt abzustoßen.
Die EMH leugnet die Existenz solcher Anomalien zwar nicht, sieht in ihnen aber lediglich vereinzelte Fehler, die nicht berücksichtigt werden müssen. Die Verhaltensökonomie hat demgegenüber gezeigt, dass sich diese „Fehler“ wiederholen und dass sie systematischer Natur sind. Theoretisch könnten diese Marktineffizienzen also als Investitionschancen identifiziert und gezielt ausgenutzt werden. Dank Alphanomics wird diese Theorie seit einigen Jahren auch in der Praxis umgesetzt.
Theoretisch können diese repetitiven und systematischen Marktineffizienzen als Anlagechancen identifiziert und gezielt ausgenutzt werden.
Alphanomics: zwischen Verhaltensökonomie, Big Data und KI
„Alphanomics“ bezeichnet einen finanziellen Ansatz, der verhaltensökonomische Erkenntnisse, quantitative Analysen und technologische Fortschritte in der Datenverarbeitung und Künstlichen Intelligenz (KI) miteinander kombiniert. Er ist Teil einer Reihe von akademischen und praktischen Bemühungen, die darauf abzielen, die Ineffizienzen der Finanzmärkte zu verstehen und auszunutzen. Die Bezeichnung „Alphanomics“ geht ursprünglich auf das Buch „Alphanomics: The Informational Underpinnings of Market Efficiency“ der Forscher Charles M. C. Lee und Eric C. So. zurück, das 2015 erschien. Sie stellen Alphanomics darin als einen Ansatz vor, der darauf abzielt, Marktineffizienzen zu erkennen und auszunutzen, um Anlagechancen zu generieren.
Im Rahmen von Alphanomics werden moderne Analysewerkzeuge wie Big Data, KI und fortgeschrittene statistische Modelle eingesetzt, um von diesen systematischen irrationalen Verhaltensweisen finanziell zu profitieren. Ziel ist es dabei, Überschussrenditen zu erwirtschaften, die auf drei Säulen beruhen:
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- Verhaltensineffizienzen ausmachen. Ein zentraler Aspekt von Alphanomics besteht darin, Marktbewegungen und Anlegerentscheidungen zu analysieren und so Fälle zu erkennen, in denen die Preise nicht den tatsächlichen Wert von Vermögenswerten widerspiegeln. Eine solche Situation liegt beispielsweise vor, wenn die Aktien eines bestimmten Unternehmens nach einer negativen Meldung von sehr vielen Anlegern verkauft werden, obwohl die Fundamentaldaten eigentlich solide sind.
- Verhaltensökonomie mit Technologie verbinden. In der Verhaltensökonomie werden die Verzerrungen erforscht, die das menschliche Verhalten beeinflussen. Bei Alphanomics werden diese Verzerrungen quantifiziert. Das geschieht durch die Analyse von Milliarden von Echtzeitdaten (Transaktionen, Kapitalströme, Trends in den sozialen Netzwerken). So sollen potenzielle Ineffizienzen ausgemacht werden, die den menschlichen Anlegern verborgen geblieben sind.
- Rationale Entscheidungen aus dem Wissen um irrationale Verhaltensweisen ableiten. Wichtig ist es zudem, Chancen rechtzeitig zu nutzen, bevor die betreffenden Ineffizienzen vom Markt korrigiert werden. Um das zu bewerkstelligen, wird bei Alphanomics mit algorithmischen Modellen gearbeitet.
In der Verhaltensökonomie werden die Verzerrungen erforscht, die das menschliche Verhalten beeinflussen. Bei Alphanomics werden diese Verzerrungen quantifiziert.
Ein reizvoller Ansatz – in der Theorie
Laut den Verfechtern von Alphanomics kann diese Methode mit ihren ausgeklügelten Modellen verwendet werden, um übertriebene Korrekturen zu erkennen. Eine solche Korrektur kann etwa auftreten, wenn ein Wertpapier nach einer schlechten Nachricht von den Anlegern unverhältnismäßig stark abgestoßen wird. Hier bietet sich eine gute Gelegenheit zur Investition, die genutzt werden muss, bevor der Markt den Preis neu anpasst. Zudem soll es mit dieser Methode auch möglich sein, Momentum-Effekte und Kursbewegungen durch die Analyse kurzfristiger Verhaltenstrends zu antizipieren. Kurz gesagt: Alphanomics präsentiert sich als ausgeklügelte wissenschaftliche Strategie zur Generierung von Mehrwert. Man könne damit etwa unterbewertete und von Anlegern vernachlässigte Vermögenswerte ausmachen oder auch die Beteiligung an Spekulationsblasen vermeiden, die durch das Herdenverhalten am Markt entstehen.
In der Theorie bietet dieser Ansatz eine Reihe von Vorteilen:
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- einen Wettbewerbsvorteil erlangen. Im Rahmen von Alphanomics werden fortschrittliche Werkzeuge eingesetzt, um auf einem mit Informationen übersättigten Markt das zu erkennen, was andere übersehen. So wird es möglich, bessere Investitionsentscheidungen zu treffen.
- einen proaktiven Ansatz zur Verwaltung verfolgen, bei dem die Anlageentscheidungen nicht nur den aktuellen Trends folgen, sondern auch auf „versteckte“ Chancen ausgerichtet sind.
- Marktineffizienzen ausnutzen, da Chancen erkannt werden, die andere Anleger aufgrund ihrer verzerrten Wahrnehmung übersehen könnten.
- den Einfluss von Emotionen reduzieren, da quantitative Modelle eingesetzt werden, die so weit wie möglich verhindern, dass impulsive Entscheidungen infolge von Angst oder Gier zum Tragen kommen.
- Risiken besser steuern, da irrationales Marktverhalten berücksichtigt wird, um Risiken zu antizipieren und zu vermindern.
Wenn Sie sich unsere Erläuterungen bis hierhin durchgelesen haben, verstehen Sie sicher, dass die Alphanomics-Methode ausschließlich erfahrenen Anlegern vorbehalten ist, die über ausgeklügelte Instrumente verfügen und imstande sind, einen gewissen Abstand zu wahren. Tatsächlich hat die Methode ihre Grenzen, und sie wirft berechtigte Fragen auf.
Unbestreitbare praktische Grenzen
- Die Methode ist voll und ganz von der Qualität der Daten und der Algorithmen zur Datenverarbeitung abhängig. Der Anlageprozess nach Alphanomics stützt sich stark auf große Datenmengen (Big Data), die genutzt werden, um Verhaltensmuster und Ineffizienzen zu erkennen. Wenn die Daten unvollständig, verzerrt oder fehlerhaft sind, beeinträchtigt dies die Genauigkeit der Analysen und die Qualität der getroffenen Entscheidungen drastisch. Darüber hinaus sind die bei Alphanomics verwendeten Algorithmen für maschinelles Lernen und KI äußerst komplex und ihre Erstellung ist entsprechend anspruchsvoll. Ein schlechtes Design oder eine falsche Interpretation der Ergebnisse kann sehr kostspielige Fehler zur Folge haben.
- Die Vorteile sind kurzlebig. Wenn Strategien auf der Grundlage von Alphanomics populär werden und somit viele Akteure anziehen, führt dies zu einer schnellen Korrektur von Ineffizienzen. Eine solche Entwicklung kann die Arbitragemöglichkeiten verringern und die Fähigkeit zur Erzielung einer Outperformance einschränken. Noch schlimmer ist, dass die Ineffizienzen, die ausgenutzt werden sollen, mitunter durch einen allzu breiten Einsatz quantitativer Strategien noch weiter verstärkt werden. Dies kann unvorhersehbare Marktreaktionen und sogar Liquiditätskrisen nach sich ziehen.
- Verzerrte Verhaltensmodelle. Auch wenn die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie bei Alphanomics berücksichtigt werden, bleibt es weiterhin sehr schwierig, die gesamte Komplexität des menschlichen Verhaltens zu modellieren. Verzerrungen können sich im Laufe der Zeit ändern oder je nach Kultur und wirtschaftlichem Kontext voneinander unterscheiden. Insoweit dies der Fall ist, werden die Modelle dadurch weniger robust. Außerdem ist es möglich, dass die erkannten Verhaltensmuster – insbesondere unter ungewöhnlichen Marktbedingungen – nicht ununterbrochen reproduziert werden.
Ein Grundsatz bleibt immer gültig, ganz egal, ob es um menschliche oder um künstliche Intelligenz geht: Wertentwicklungen in der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf künftige Wertentwicklungen zu.
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- Overfitting und die Grenzen der Vorhersagbarkeit. Die Algorithmen für maschinelles Lernen können anfällig für Overfitting sein, d.h. sie orientieren sich möglicherweise zu stark an historischen Daten und verlieren so ihre Fähigkeit, sich an neue Marktbedingungen anzupassen. Die Alphanomics-Modelle gehen schließlich von vergangenen Verhaltensweisen und Ineffizienzen aus, um die Zukunft vorherzusagen. Die Finanzmärkte sind jedoch dynamisch und werden von unvorhergesehenen und mitunter völlig neuartigen Ereignissen beeinflusst. Dies schränkt die Fähigkeit der Modelle zur Erstellung von Prognosen ein. Ein Grundsatz bleibt immer gültig, ganz egal, ob es um menschliche oder um künstliche Intelligenz geht: Wertentwicklungen in der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf künftige Wertentwicklungen zu.
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- Eine Methode, die anfällig für unvorhersehbare Ereignisse ist. Irrationale Verhaltensmuster sind nicht die einzigen Faktoren, die Ineffizienzen auf den Märkten erzeugen. Wirtschaftskrisen, geopolitische Schocks oder extreme Klimaereignisse können verhaltensbedingte Ineffizienzen neutralisieren, da die Entscheidungen der Anleger in solchen Fällen eher von externen Faktoren als von klassischen Wahrnehmungsverzerrungen bestimmt werden. Hinzu kommt, dass die Finanzaufsichtsbehörden auch den Zugang zu bestimmten Daten oder die Zulässigkeit bestimmter Investitionspraktiken beschränken und so die Wirksamkeit der Alphanomics-Strategien beeinträchtigen können. In einer Welt, in der die Regulierung von KI noch in den Kinderschuhen steckt, ist diese Hürde gewiss nicht zu vernachlässigen.
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- Kosten und Realisierbarkeit. Für Alphanomics sind erhebliche Investitionen in die technische Infrastruktur, in qualifiziertes Personal (Analysten, Datenwissenschaftler) und in Ressourcen für die Aufrechterhaltung leistungsfähiger Systeme erforderlich. Aufgrund dieser hohen Kosten ist die Methode großen Finanzinstituten und Investmentfonds vorbehalten. Zudem ist es für Laien schwierig, Alphanomics zu verstehen, was die Transparenz und Akzeptanz der Methode einschränkt.
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- Ein Mangel an Intuition. Die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie sind durchaus nützlich, doch bisweilen kommt es vor, dass sie auf rein mechanische Weise in quantitative Modelle integriert und nicht quantifizierbare Feinheiten mit Blick auf das Anlegerverhalten völlig ignoriert werden. Die Automatisierung von Entscheidungsprozessen kann dazu führen, dass die menschliche Intuition außen vor bleibt – obwohl sie von entscheidender Bedeutung für die Interpretation bestimmter Signale ist, die nicht von den Daten erfasst werden.
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- Ethik und Datenschutz. Die Auswertung von Verhaltens- und Transaktionsdaten wirft ethische und datenschutzrechtliche Fragen auf. Das gilt insbesondere, wenn die Anleger nicht vollständig darüber informiert sind, wie ihre Daten verwendet werden.
Das Bild der Finanzmärkte, das wir durch Alphanomics erhalten, ist realistischer als die Effizienzmarkthypothese. In der Theorie handelt es sich um einen leistungsfähigen Ansatz zur Steigerung der Performance durch das Ausnutzen von irrationalen Verhaltensweisen und Marktineffizienzen. Dieser Ansatz bleibt jedoch experimentell und stellt keine Patentlösung dar. Die Abhängigkeit von Daten, die unstete Dynamik der Märkte und die hohen Kosten begrenzen zudem seine Einsetzbarkeit – ganz zu schweigen von den ethischen Fragen, die er aufwirft. Mit dem Fortschreiten der KI-Revolution wird sich auch die Alphanomics-Methode weiterentwickeln und stetig verbessern. Gleichwohl gilt es, die Grenzen dieser Methode zu verstehen und zu beachten, dass sie nur mit der Hilfe ausgewiesener Experten auf diesem Gebiet angewendet werden sollte. Seien Sie also vorsichtig!“
*Inhalt aus dem Französischen übersetzt mit dem AI-Tool BIL GPT.