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April 19, 2024

Expertenmeinung: „Es war ein gutes Jahr für die Kapitalmärkte“

Betrachtet man die Schlagzeilen, dann hatte das Jahr 2019 – wie jedes Jahr – seine guten und schlechten Momente. Anleger waren mit der unberechenbaren Politik im Weißen Haus, einem Amtsenthebungsverfahren für den US-Präsidenten, einem Handelskrieg, dem Brexit und zahlreichen Protestaktionen von Chile bis Hongkong konfrontiert. Insgesamt war es jedoch ein erfolgreiches Jahr für die Finanzmärkte, und fast jede Anlageklasse lieferte positive Renditen, was nicht zuletzt der lockeren Geldpolitik zu verdanken war. In zwei unterschiedlichen Zeiträumen erklommen die Aktienkurse ein neues Hoch nach dem anderen, während sie Turbulenzen in der Jahresmitte mit begrenzten Verlusten und ohne Kollateralschäden überstanden. Eine Weihnachtsrally zum Jahresende trieb die Kurse weiter in die Höhe. Nun stellt sich die Frage, ob der Haussemarkt einen ausreichend langen Atem hat, um auch 2020 fortzubestehen. Wir werfen einen Blick auf einige der Faktoren, die sich im Jahresverlauf auf die Renditen ausgewirkt haben, und erörtern, welche Rolle sie 2020 spielen könnten.

Adventsgeschenke von den Zentralbanken

Die robuste Marktentwicklung im Jahr 2019 war zum Großteil auf das „Sicherheitsnetz“, das die Zentralbanken unter Risikoanlagen aufgespannt haben, und auf ihre enormen Liquiditätsspritzen für das Finanzsystem zurückzuführen. Als die Konjunkturdynamik langsam nachließ, wurden erneut zahlreiche gemäßigte geldpolitische Entscheidungen getroffen, die das Wachstum ankurbeln sollen. Bei ihren Sitzungen im Dezember bekräftigten die großen Zentralbanken ihr Vorhaben, das Zinsniveau stabil zu halten, d. h. es wird auch 2020 eine lockere Geldpolitik geben.

Das Direktorium der US-Notenbank Fed beschloss einstimmig, die Zinsen unverändert zu belassen, und seine Zukunftsprognosen beinhalten keine Zinsschritte für das Jahr 2020, sodass die Märkte die 2019 vorgenommenen Zinssenkungen um 75 Basispunkte erst einmal verdauen können. Laut dem Fed-Vorsitzenden Jerome Powell erwägt der Offenmarktausschuss, Wertpapierkäufe im Zusammenhang mit der Verwaltung der Währungsreserven bei Bedarf um verzinsliche Papiere mit kurzer Laufzeit zu erweitern, um die Liquiditätslage an den Geldmärkten zu entspannen.

Die EZB beließ die Zinsen auf einem historisch niedrigen Niveau (-0,5 %) und bestätigte, dass sie mit neugeschöpftem Geld weiterhin jeden Monat Vermögenswerte in Höhe von 20 Mrd. Euro kaufen werde, „solange es notwendig ist“. Bis zum Ende des Anleihekaufprogramms werden die Zinsen nicht erhöht.

Auch die Peoples’ Bank of China dürfte 2020 an ihren wachstumsfördernden Maßnahmen festhalten, und der Markt rechnet mit einer geldpolitischen Lockerung, die über den Mindestreservesatz (MRS) und Zinssenkungen umgesetzt wird. Sie sorgte bereits zu Beginn des neuen Jahres für einen Kursanstieg bei globalen Aktien (und ließ den S&P 500 auf ein neues Allzeithoch klettern), indem sie den MRS für gewerbliche Kreditgeber durchweg um 50 Bp. senkte und damit rund 115 Mrd. US-Dollar an frischer Liquidität ins Finanzsystem pumpte.

Leider sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Märkte weder so vorteilhaft, dass die Kurse nach oben getrieben werden, noch so ungünstig, dass die Preise von Vermögenswerten nachgeben und sich die reichlich vorhandene Liquidität verringert.

Leider sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Märkte weder so vorteilhaft, dass die Kurse nach oben getrieben werden, noch so ungünstig, dass die Preise von Vermögenswerten nachgeben und sich die reichlich vorhandene Liquidität verringert. Wir stellen jedoch fest, dass eine längerfristige Niedrigzinsperiode in der Tat ihre Nebenwirkungen hat (vor allem für Banken und Pensionsfonds), die im neuen Jahr womöglich stärker zum Tragen kommen. Die schwedische Riksbank hatte ihren Hauptreposatz nach einem fünfjährigen Experiment mit Negativzinsen bereits wieder auf null angehoben.

Zu Weihnachten gab es ein Phase-1-Handelsabkommen

Auch die Meldungen über das Phase-1-Handelsabkommen, das die USA und China im Dezember endlich anstrebten, beflügelte die Märkte. Zusätzliche Zölle auf chinesische Importe im Wert von 156 Mrd. US-Dollar wurden gestrichen, und bestehende Zölle auf chinesische Waren im Wert von 120 Mrd. US-Dollar wurden auf 7,5 % halbiert. Im Austausch hierfür wird China mehr Agrarprodukte von den USA kaufen, die gesetzlichen Vorschriften zum Schutz von US-amerikanischem geistigen Eigentum innerhalb seines Hoheitsgebiets verschärfen und den Marktzugang für US-Finanzdienstleister erweitern. Das Abkommen, das den wichtigsten Schritt zur Deeskalation in dem seit 18 Monaten anhaltenden Handelskonflikt darstellt, soll am 15. Januar in Washington unterzeichnet werden. Wir rechnen nicht damit, dass 2020 dann alles glatt läuft. Phase 2 dürfte eine Einigung über heiklere Probleme (wie die Subventionen der chinesischen Regierung und staatliche Unterstützung für Industrieprogramme) beinhalten. Der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer wies bereits darauf hin: „Es müssen noch viele schwierige Fragen gelöst werden … Ich bin nicht Pollyanna“ (eine überschwänglich optimistische Figur aus einem amerikanischen Kinderbuch). Wahrscheinlich werden die Verhandlungen im nächsten Jahr für stetige Volatilität an den Märkten sorgen.

Die Aktienmärkte schienen der Entwicklung vorzugreifen und das Erreichen der Talsohle fälschlicherweise mit einem Aufschwung gleichzusetzen.

Die gesamtwirtschaftliche Lage: Eine Stabilisierung ist noch kein Aufschwung

An den Märkten freute man sich über die makroökonomischen Daten zum Jahresende, aus denen ersichtlich wurde, dass die Weltwirtschaft ihre Talfahrt beendet hat. Hierbei schienen die Aktienmärkte der Entwicklung allerdings vorzugreifen und das Erreichen der Talsohle fälschlicherweise mit einem Aufschwung gleichzusetzen. Wir brauchen jetzt erst einmal makroökonomische Daten, die den überstürzt eingepreisten Aufschwung belegen. Sollte sich dieser nicht bestätigen, werden die Unternehmen Mühe haben, die ambitionierten Gewinnerwartungen der Analysten für das kommende Jahr zu erfüllen, und es wird vermutlich zu Abwärtskorrekturen kommen.

Die makroökonomischen Daten vom Dezember bestätigten unser gesamtwirtschaftliches Szenario, bei dem vom Erreichen der Talsohle ausgegangen wird. Arbeitsmarkt und Konsum in den USA blieben stabil, doch die Investitionen fielen immer noch verhalten aus, was sich im rückläufigen Auftragseingang für Gebrauchsgüter widerspiegelte. Das überrascht wenig, denn die Unternehmensgewinne beginnen gerade erst sich zu erholen, und weltweit bestehen noch relativ viele Unsicherheitsfaktoren. Der „Waffenstillstand“ im Handelskrieg liegt noch nicht lange genug zurück, um bereits seine volle Auswirkung auf die Konjunktur zu entfalten.

In der Eurozone deutet die anhaltende Schwäche im Fertigungssektor (der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe fiel im Dezember, als eigentlich mit einer Erholung gerechnet wurde) darauf hin, dass sich die Risiken trotz des robusten Dienstleistungssektors (der Einkaufsmanagerindex für das Dienstleistungsgewerbe war überraschend gestiegen) nicht in Luft aufgelöst haben. Andere Geschäftsklimaumfragen, wie beispielsweise die des ifo-Instituts, bestätigen die Einschätzung, zu der wir vor einigen Monaten gelangt sind: Wahrscheinlich haben wir das Schlimmste überstanden, doch das heißt nicht, dass wir uns schon in der vielbeschworenen Erholungsphase befinden. Faktisch bestehen immer noch Abwärtsrisiken.

In China gab es positive Meldungen zur Industrieproduktion und zu den Einzelhandelsumsätzen für November, die darauf schließen lassen, dass die Konjunkturmaßnahmen langsam in der Realwirtschaft ankommen und positive Wirkung zeigen. Die Verbesserung ist jedoch noch nicht lange zu beobachten und daher mit Vorsicht zu genießen.

Geopolitische Spannungen könnten für Unruhe sorgen

Insgesamt ist unser makroökonomischer Ausblick freundlicher als zu Beginn des Jahres 2019, insbesondere da wesentliche Risiken, wie ein massiver Handelskrieg und ein ungeordneter Brexit, beseitigt sind. Allerdings erinnert die Situation an das Jahrmarktspiel, bei dem man den Maulwürfen auf den Kopf schlagen muss: Sobald ein Risiko in den Hintergrund tritt, taucht ein neues auf. Das Jahr 2020 begann mit US-amerikanischen Luftangriffen, bei denen Generalmajor Qassim Soleimani, ein bedeutender iranischer Militärführer, getötet wurde. Ein Vergeltungsschlag scheint unabwendbar. Infolgedessen besteht die ernsthafte Gefahr einer Eskalation im Nahen Osten, und auf diese Nachrichten folgte eine reflexartige Reaktion wie aus dem Lehrbuch: Die Kurse sicherer Wertpapiere legten zu, Risikoanlagen gaben nach und die Ölpreise schossen in die Höhe (die Sorte Brent auf über 70 US-Dollar pro Barrel). Geopolitische Unsicherheiten haben zu einem massiven Anstieg der Öl- und Goldpreise geführt. Wir warnen allerdings davor, blindlings auf den Zug aufzuspringen und diese Rohstoffe zu kaufen. Ohne zu wissen, wie der Iran reagieren wird, ist eine Analyse der wirtschaftlichen Folgen verfrüht; wir stellen jedoch fest, dass die Unternehmensinvestitionen bereits jetzt ein sehr niedriges Niveau aufweisen. Kommt es kurzfristig zu einem weiteren Rückgang bei gleichzeitig geschwächtem Marktvertrauen, könnte das Wachstum zum Erliegen kommen.

Wir stellen fest, dass die Unternehmensinvestitionen bereits jetzt ein sehr niedriges Niveau aufweisen. Kommt es kurzfristig zu einem weiteren Rückgang bei gleichzeitig geschwächtem Marktvertrauen, könnte das Wachstum zum Erliegen kommen.

Einige der wichtigsten Marktimpulse lassen sich somit wie folgt zusammenfassen: Allem Anschein nach werden die Zentralbanken an ihrer lockeren Geldpolitik festhalten. Das ist ein Pluspunkt. Die Handelskonflikte sind vorerst entschärft, schwelen aber im Hintergrund weiter und könnten jederzeit wieder aufflammen. Es gibt Anzeichen für eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage (vor allem dank der Verbraucher), ein Aufschwung muss jedoch erst noch durch entsprechende Zahlen bestätigt werden. Zudem könnten geopolitische Risiken eine Risikoaversion auslösen und die Anleger in defensive Marktsegmente drängen.

Vor diesem Hintergrund beurteilen wir Aktien zum Jahreswechsel neutral. Im Allgemeinen begünstigt das spätzyklische Umfeld diese Anlageklasse zwar, doch unserer Ansicht nach ist es verfrüht, entsprechende Positionen einzugehen – vor allem, da die Gewinnerwartungen für 2020 zu hoch gesteckt sind. Die Aktien in unserem Portfolio stammen hauptsächlich aus den USA, und wir bevorzugen eindeutig Titel von Qualitätsunternehmen mit soliden Bilanzen. Unsere Portfolios enthalten einige Staatsanleihen der Kernländer, die an sich kaum Vorteile bieten, jedoch für Diversifizierung sorgen und bei Ausverkäufen am Markt als schöner Puffer dienen. Wir favorisieren Anleihen mit Investment-Grade-Rating, vor allem in Europa, wo die erneuten Wertpapierkäufe der EZB festverzinsliche Finanzinstrumente aller Art stützen. Wenn die große Jagd nach der Rendite weitergeht, sollten sich Anleger nicht um jeden Preis daran beteiligen; vielmehr kommt es 2020 auf Selektivität an.

Man darf nicht vergessen, dass 2019 ein besonderes Jahr war, in dem die günstige Marktentwicklung allen Anlageklassen Auftrieb verlieh. Unserer Einschätzung nach werden die Korrelationen zwischen den Anlageklassen 2020 jedoch nachlassen, wodurch sich aktiven Anlageverwaltern möglicherweise interessante Gelegenheiten bieten. Wir sind außerdem der Meinung, dass man an die Renditen im Vergleich mit der Gewinnsträhne des Jahres 2019 keine übermäßig hohen Erwartungen stellen sollte.