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April 18, 2024

Klimawandel – Unternehmen der „Old Economy“ und Anleger in der Zwickmühle

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST Februar 1, 2022 736

Die Kosten für den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft erscheinen geradezu horrend. Die EU plant, mindestens 30 % ihres Sieben-Jahres-Haushalts von 2,018 Bio. Euro für Maßnahmen mit Bezug zum Klimawandel zu verwenden. Derweil schätzt die OECD, dass bis 2030 Investitionen von rund 7 Bio. US-Dollar pro Jahr erforderlich sein werden, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.

Für Unternehmen, die von diesen Initiativen profitieren, wie etwa Akteure aus den Bereichen saubere Energie, CO2-freie Infrastruktur, Recycling oder Kreislaufwirtschaft, sind das hervorragende Nachrichten. Doch was bedeuten diese Aussichten für Unternehmen der kohlenstoffbasierten „Old Economy“, wie beispielsweise Erdöl- und Erdgaskonzerne, Versorger im Bereich fossile Brennstoffe oder energieintensive Unternehmen, die auf diese Energieträger angewiesen sind?

Für viele dieser Unternehmen sind die Aussichten scheinbar trüb. So kommen strengere Regulierungen, die bei Nichteinhaltung der Klimaziele höhere Strafzahlungen vorsehen, insbesondere Unternehmen in der Automobilbranche immer teurer zu stehen. Im Januar 2021 wurde gegen den größten Autobauer der Welt, Volkswagen, ein Bußgeld von mehr als 100 Mio. Euro verhängt, weil der Konzern im Jahr 2020 die Pkw-Flottenziele der EU für den CO2-Ausstoß verfehlt hatte.

Eine weitere Strafe von 502 Mio. Euro musste VW für unerlaubte Absprachen mit BMW (Bußgeld von 372 Mio. Euro) und Daimler zahlen. Die Unternehmen hatten gemeinsam die Entwicklung von Technologien zur Senkung der Stickoxid-Emissionen verzögert und damit gegen das EU-Wettbewerbsrecht verstoßen.

Klimaberichterstattung

Da die Offenlegungspflichten von Unternehmen immer umfangreicher werden, dürfte die Zahl der Verstöße künftig steigen. In der EU kam es im Zusammenhang mit vielen der umfassenden Bestimmungen der Offenlegungsverordnung zwar zu anfänglichen Verzögerungen, längerfristig wird dieser gesetzliche Rahmen Fondsmanager jedoch dazu zwingen, mehr Informationen von den Unternehmen zu verlangen, in die sie investieren. Im vergangenen Jahr gab Großbritannien Pläne bekannt, große Unternehmen und Finanzinstitute ab 2025 zur Veröffentlichung von klimabezogenen Daten zu verpflichten. Im April 2021 verabschiedete die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD). Diese soll die bestehenden Berichtspflichten der EU-Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung (Non-Financial Reporting Directive, NFRD) ergänzen, die die Offenlegungspflichten bestimmter großer Unternehmen in Bezug auf nichtfinanzielle Daten sowie Informationen im Hinblick auf die Vielfalt regelt. Der Vorschlag zielt unter anderem darauf ab, die Berichtspflichten auf alle an geregelten Märkten notierten Unternehmen auszuweiten und eine Prüfpflicht für die veröffentlichten Informationen sowie umfangreichere Berichtspflichten einzuführen.

Indexanbieter setzen bei der Zusammenstellung wichtiger Referenzindizes auf immer strengere Regeln.

Unternehmen, die sich an diesem grundlegenden wirtschaftlichen Wandel nicht beteiligen, werden sich weiteren Problemen ausgesetzt sehen. Indexanbieter setzen bei der Zusammenstellung wichtiger Referenzindizes auf immer strengere Regeln, und Unternehmen mit schlechten Bewertungen in den Bereichen Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung könnten letztendlich ausgeschlossen werden. In Anbetracht des Kapitals, das in Produkten angelegt ist, die große Indizes nachbilden, könnte dies erhebliche Auswirkungen auf die Aktienkurse haben.

Doch es geht um mehr als CO2-Emissionen und den Klimawandel. Der World Wide Fund for Nature (WWF) schätzt, dass 2025 zwei Drittel der Weltbevölkerung unter Wassermangel leiden werden. Insbesondere in der Industrie oder in der Textilbranche kann der Zugang zu Wasser Unternehmen daher künftig vor große Herausforderungen stellen. Auch ganz allgemein gewinnt der Schutz natürlicher Ressourcen und der Biodiversität unter Anlegern zunehmend an Bedeutung.

Zudem wächst der Druck auf Unternehmen, sozial verantwortlicher zu handeln und stärker auf Vielfalt, Inklusion und das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu achten – auch in Lieferketten und im Hinblick auf die jeweiligen Interessensgruppen. Unternehmen, die für schlechte Arbeitsverhältnisse verantwortlich sind bzw. diese tolerieren oder ungesunde Produkte anbieten, wie etwa Hersteller von gezuckerten Getränken, könnten in Zukunft ins Schlingern geraten.

Selbst unter Experten herrscht alles andere als Einigkeit darüber, was nachhaltige Unternehmen ausmacht.

Folgen für Anleger

Eine einfache Lösung bestünde darin, nicht in Unternehmen anzulegen, deren Produkte oder Prozesse der Umwelt schaden, und stattdessen ausschließlich in „saubere“ Unternehmen zu investieren. Das ist jedoch viel leichter gesagt als getan. Denn selbst unter Experten herrscht alles andere als Einigkeit darüber, was nachhaltige Unternehmen ausmacht.

So führt MSCI etwa Tesla auf Platz eins der Autohersteller weltweit mit der besten ESG-Performance, während das Unternehmen im Ranking von FTSE das Schlusslicht bildet. MSCI bewertet Tesla aufgrund der emissionsarmen Fahrzeuge positiv, und FTSE vergibt aufgrund der Unternehmensführung eine schlechte Note.

Ein lediglich auf Ausschlüssen beruhender Ansatz nimmt Anlegern die Chance, positiven Einfluss auf Unternehmen in ihrem Portfolio zu nehmen. Der Druck von Aktionärsseite spielte in der Vergangenheit eine wichtige Rolle, um Verwaltungsräte und Führungskräfte davon zu überzeugen, Probleme in Klimafragen anzugehen.

Im Juni 2021 verfügte ein Gericht in den Niederlanden, dass Shell seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 % gegenüber 2019 verringern muss. Die Aktionäre verlangten von dem Unternehmen, sich ehrgeizigere Klimaziele im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu setzen. Verfechter dieser Strategie führen an, dass Unternehmen, die aufgrund einer schlechten Klimabilanz oder problematischer Lieferketten von Anlegern gemieden werden, von Private-Equity-Gesellschaften übernommen werden könnten, woraufhin sie nicht mehr den Transparenzpflichten börsennotierter Unternehmen unterliegen würden.

Ein weiteres Problem stellt die Erwirtschaftung von Erträgen dar. Während viele CO2-intensive Unternehmen der „Old Economy“ regelmäßig attraktive Dividenden ausschütten, investieren zahlreiche Akteure im Bereich saubere Energie weiterhin in die Entwicklung ihrer Unternehmen. Folglich verfügen sie noch nicht über die nötigen freien Cashflows, um Anlegern Dividenden zu zahlen. Ein massiver Wechsel zu grünen Anlagen könnte es somit erschweren, mit einem Portfolio Erträge zu erzielen.

Ein massiver Wechsel zu grünen Anlagen könnte es erschweren, mit einem Portfolio Erträge zu erzielen.

Richtungswechsel

In Bezug auf die „Old Economy“ ist es sinnvoll, zwischen jenen Unternehmen zu unterscheiden, die sich im Kampf gegen den Klimawandel engagieren, und jenen, die untätig bleiben. Die Ölkonzerne BP und Total streben beispielsweise an, die Treibhausgasemissionen aus ihren globalen Geschäftstätigkeiten bis spätestens 2050 auf netto null zu reduzieren.

Beide Konzerne investieren in großem Umfang in alternative Energien, Stromspeicherlösungen und Ladestationen für Elektroautos. Dieser Wandel benötigt Zeit und verlangt nach Investitionen. Er kann auch die Gewinne und damit die Ausschüttungen an die Aktionäre begrenzen. Dennoch scheinen diese den Richtungswechsel nicht mehr in Frage zu stellen.

Explorationsrechte und Fördertätigkeiten machen einen erheblichen Teil der Bilanzen dieser Konzerne aus, und die Unternehmen sind sich bewusst, dass diese Posten bei einem Einbruch der Nachfrage nach ölbasierten Energieträgern zu sogenannten „gestrandeten Anlagen“ werden könnten, d. h. unverwertbaren Vermögenswerten, die eine Gefahr für die finanzielle Stabilität darstellen. Aktuellen Schätzungen zufolge können 50 % bis 70 % der fossilen Brennstoffreserven – die für den Wert der Konzerne ausschlaggebend sind – nicht gefördert werden, wenn eine Überschreitung des CO2-Budgets und ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als 2°C verhindert werden sollen.

Diesmal könnten die Dinge wirklich anders liegen

Diesen Ansatz verfolgen jedoch nicht alle Unternehmen, vor allem nicht jene, die geringerem Druck von Seiten der Aktionäre ausgesetzt sind. Unternehmen, die eine Abkehr von heute noch profitablen Strategien ablehnen oder deren Produkte oder Dienstleistungen mit einer nachhaltigen Wirtschaft grundsätzlich nicht vereinbar sind, haben langfristig keine Zukunft, auch wenn sie nicht von heute auf morgen verschwinden dürften.

Das wichtigste Klimaziel der Netto-Null-Emissionen soll bis 2050 und damit erst in knapp drei Jahrzehnten erreicht werden. Einstweilen ist die Wirtschaft nach wie vor auf Erdöl angewiesen, und wenn der Rohstoff zu einem knappen Gut wird, könnten die Preise in die Höhe schießen. Da institutionelle Anleger jedoch zunehmend ökologische Aspekte berücksichtigen müssen, dürften sich steigende Ölpreise nur in geringem Maße auf die Aktienkurse von uneinsichtigen Ölkonzernen auswirken. Zudem würden höhere Preise für fossile Brennstoffe die schon bestehenden Kostenvorteile von erneuerbaren Energieträgern vergrößern.

Umsichtige Anleger dürften bereits heute berücksichtigen, dass ein ausgeglichenes Risiko-Rendite-Verhältnis nur über Anlagen in Sektoren erreicht werden kann, deren Wachstumspotenzial auf Nachhaltigkeitsthemen wie erneuerbare Energien, Wasserversorgung oder Kreislaufwirtschaft beruht.

In der Vergangenheit wurde die Überzeugung, die Dinge lägen diesmal anders, für unvorsichtige Anleger zwar wiederholt zur Falle, aktuell scheinen wir jedoch tatsächlich vor einem tiefgreifenden und anhaltenden wirtschaftlichen Wandel zu stehen. Anleger, die dies übersehen, müssen möglicherweise den Preis für gestrandete Anlagen zahlen und profitieren unter Umständen nicht vom Wachstum in zukunftsträchtigen Branchen.

Unternehmen, die eine Abkehr von heute noch profitablen Strategien ablehnen oder deren Produkte oder Dienstleistungen mit einer nachhaltigen Wirtschaft nicht vereinbar sind, haben langfristig keine Zukunft.