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Oktober 30, 2024

Vom benchmark-basierten zum themenorientierten Anlegen

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST November 15, 2019 1710

Die 15 Jahre seit Beginn der globalen Finanzkrise von 2007-2008 waren von bedeutenden strukturellen Veränderungen in der Weltwirtschaft gekennzeichnet. Nach mehr als einem Jahrzehnt dauerhaft niedriger Zinsen veranlasste der rapide Anstieg der Inflation die Zentralbanken dazu, die Zinssätze auf den bisher höchsten Stand in diesem Jahrhundert anzuheben. Auf eine Phase schwachen Wirtschaftswachstums folgten ein Auf und Ab während der Pandemie sowie letztendlich eine strengere Geldpolitik, die in vielen bedeutenden Ländern zu einer Rezession führte.

Die Volkswirtschaften befinden sich im Wandel. Bei vielen großen Unternehmen haben neue Technologien, neue Wettbewerber und neue Geschäftsmodelle für massive Umwälzungen gesorgt – und hier und da auch Opfer gefordert. Der jüngste Boom im Bereich Künstliche Intelligenz ist dabei nur eine von zahlreichen Entwicklungen. Inmitten dieser Veränderungen hat eine Abkehr von der Globalisierung stattgefunden, die das Risiko einer wirtschaftlichen Polarisierung und des Entstehens von globalen Handelsblöcken birgt, die sich misstrauisch gegenüberstehen.

Diese Veränderungen nehmen viele institutionelle Anleger und andere Vermögensverwalter zum Anlass, neu zu bewerten, wie Anlageportfolios am besten verwaltet werden können. Ist es beispielsweise sinnvoll, eine Anlage davon abhängig zu machen, in welchem Land ein Unternehmen seinen Hauptsitz hat oder börsennotiert ist, auch wenn es seine Produkte und Dienstleistungen in einem ganz anderen Land vertreibt? Oder sollte man geografische Aspekte einfach ganz außen vor lassen? Der Luxusgüter- und Getränkekonzern LVMH gilt zum Beispiel nach wie vor als französisches Unternehmen, obwohl er nur 10% seiner Umsätze in seinem Heimatland und lediglich 29% in Europa insgesamt erzielt.

Einschränkungen durch Benchmarks

Eine weitere Frage, die es zu klären gilt, ist, ob auf traditionellen Benchmarks basierende Anlagestrategien noch sinnvoll sind, wenn die Unternehmen heutzutage viel anfälliger für massive Störungen durch wirtschaftliche Entwicklungen, Naturkatastrophen, politische Ereignisse oder gar Kriege sind.

Dieser traditionelle Ansatz ist mit dem Risiko verbunden, dass man möglicherweise in seit langer Zeit etablierte Unternehmen investiert, die letztlich Verlierer des technologischen Wandels sein könnten, andererseits aber neue und kleinere Unternehmen übersieht, die diese Veränderungen herbeiführen. Auch der Klimawandel an sich stellt ein Dilemma dar. Wem sollten die Anleger mehr Bedeutung beimessen? Dem jüngsten Rentabilitätsanstieg bei der Gewinnung fossiler Brennstoffe und ihrer Nutzung zur Energieerzeugung oder dem Risiko, dass Unternehmen aufgrund teurer Stranded Assets wie nicht mehr (weiter) erschließbare Kohleminen und Ölfeldern zurückbleiben?

Beim benchmark-basierten Anlegen gibt es noch einige weitere Probleme, wie die McKinsey-Analysten Vincent Bérubé, Sacha Ghai und Jonathan Tétraultin ihrer Studie „From indexes to insights: The rise of thematic investing“ aus dem Jahr 2014 herausstellten. Sie erklären: „Der kurzfristige Fokus des vierteljährlichen Abgleichs mit einer Benchmark steht mit einem der großen Vorteile im Widerspruch, den institutionelle Anleger haben, nämlich mit dem langfristigen Anlagehorizont.“

Relative Investments können Anleger unerwünschten Risiken aussetzen.

„Eine strikte Fokussierung auf die Benchmark bedeutet, dass ein Anleger die Chance verpassen kann, fehlbewertete Vermögenswerte zu erkennen. Ihm kann auch die Liquiditätsprämie entgehen, die er erzielen könnte, wenn er illiquide langfristige Anlagen mit einem Abschlag kauft. Relative Investments können Anleger unerwünschten Risiken aussetzen.”

Breite globale Trends

Als Reaktion auf diese Probleme haben sich viele institutionelle Anleger in den letzten zehn Jahren dem themenorientierten Anlegen zugewandt. Dabei geht es darum, langfristige, gut etablierte und beständige Trends in der Wirtschaft und Gesellschaft weltweit zu erkennen und Unternehmen ausfindig zu machen, die von diesen Trends profitieren dürften – egal, in welchem Teil der Welt.

Wenn man genauer darüber nachdenkt, ergibt das durchaus Sinn. Innerhalb eng gefasster geografischer Grenzen zu investieren, wenn Unternehmen weltweit konkurrieren, scheint indes immer weniger Sinn zu ergeben, wenngleich Trends wie „Nearshoring“ und „Friendshoring“ nicht außer Acht gelassen werden sollten. Wenn allerdings ein deutsches Konsumgüterunternehmen in Europa Marktanteile an einen handlungsschnelleren französischen Konkurrenten verliert, würden Anleger profitieren, wenn sie das französische Unternehmen im Portfolio halten – die von Konkurrenten ausgehende Gefahr ist aber vielleicht nicht so offensichtlich, wenn der Fokus der Anleger ausschließlich auf dem deutschen Markt liegt.

Die von den Anlegern analysierten Themen sind normalerweise breit gefasst, zum Beispiel „Wachstum der Weltbevölkerung“. Die Vereinten Nationen gehen derzeit davon aus, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen anwachsen wird. In der Zwischenzeit werden auch die Mittelschichten einen erheblichen Zuwachs verzeichnen, was vor allem auf den steigenden Wohlstand in den Schwellenländern, allen voran China und Indien, zurückzuführen ist. Dies hätte Auswirkungen auf die bisherigen Muster in Bereichen wie Konsum, Landwirtschaft und Wohnraum und könnte die Wachstumsperspektiven von Unternehmen in diversen Sektoren stark beeinflussen.

Überalterung der Gesellschaft

Ein weiterer bedeutender weltweiter Trend ist die zunehmende Verstädterung. Bereits mehr als jeder zweite Mensch auf der Welt lebt in der Stadt, und jede Woche wächst die Bevölkerung in den Städten der Welt um 1,5 Millionen Menschen – dadurch steigt die Nachfrage nach Infrastruktur wie Stromversorgungs-, Straßen-, Versorgungs- und Mobilfunknetzen.

Daneben führt die Alterung der Bevölkerung zu einer Veränderung der Annahmen und beeinflusst dadurch die Anlageentscheidungen. Sehr bald wird es weltweit mehr Menschen über 65 Jahren als Kinder unter fünf Jahren geben, und besonders Japan und Italien spüren bereits das starke Ungleichgewicht zwischen der wachsenden Zahl von nicht mehr berufstätigen Ruheständlern und der sinkenden Zahl von Erwerbstätigen. Diese Veränderungen bringen bedeutende Chancen für Unternehmen mit sich, die sich auf die Bedürfnisse alter Menschen eingestellt haben, denen ein im historischen Vergleich viel längerer Ruhestand winkt, sowie für Unternehmen, die auf Maschinen, Netzwerke und Systeme spezialisiert sind, die den Bedarf nach menschlicher Arbeitskraft verringern.

Die Befürworter des themenorientierten Anlegens führen an, dass sich damit die schwierige Aufgabe umgehen lässt, Vorhersagen zu den wirtschaftlichen Aussichten einzelner Länder zu treffen. Solche Prognosen sind bestenfalls willkürlich, und die Wahrscheinlichkeit, die Zukunftsaussichten genau vorherzusagen und die richtigen Anlageentscheidungen zu treffen, ist daher eher gering.

Die Befürworter des themenorientierten Anlegens führen an, dass sich damit die schwierige Aufgabe umgehen lässt, Vorhersagen zu den wirtschaftlichen Aussichten einzelner Länder zu treffen.

Thematisches Anlegen und Nachhaltigkeit

Die stärkere Verbreitung von thematischen Ansätzen geht mit dem Trend hin zu nachhaltigen Anlagestrategien einher. Anlegen aus der Perspektive der Nachhaltigkeit, d.h. die Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Auswirkungen von Unternehmen sowie ihrer Unternehmensführung, kann sowohl ein eigenständiges wichtiges Thema als auch ein zusätzlicher Aspekt für Portfolios sein, die nach anderen Kriterien zusammengestellt wurden. Die zunehmende Dringlichkeit bei der Bekämpfung des Klimawandels dürfte Unternehmen zugute kommen, die im Bereich der erneuerbaren Energien sowie der Infrastruktur tätig sind, die erforderlich ist, um Verbraucher und Unternehmen mit Solar-, Wind- und Wellenenergie zu versorgen. Des Weiteren müssen Technologien entwickelt werden, um die Umweltverschmutzung zu minimieren und das Recycling der vorhandenen Ressourcen zu erleichtern.

Themen bieten Anlegern die Möglichkeit, nach vorn statt zurückzublicken, was wichtig ist in einer Zeit, in der die Wertentwicklung in der Vergangenheit weniger denn je ein Maßstab für die zukünftigen Ergebnisse ist. Die historische Performance eines stationären Einzelhändlers oder eines Warenhauses ist in Zeiten von Amazon und Co. bedeutungslos; ein thematischer Ansatz kann die Anleger dagegen zu Unternehmen führen, die von den digitalen Umwälzungen profitieren dürften.

Thematisches Anlegen ist allerdings mit einigen Herausforderungen verbunden. Es ist nicht immer einfach, „themenreine“ Engagements aufzubauen. So verfügen etwa einige führende Anbieter alternativer Energielösungen auch nach wie vor über ein beachtliches Geschäft im Bereich der fossilen Brennstoffe.

Es ist nicht immer einfach, „themenreine“ Engagements aufzubauen.

Anpassung von Finanzmodellen

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Thema künstliche Intelligenz. Sie ist vielleicht nur für einen kleinen Teil der Umsätze von Unternehmen verantwortlich, die von ihr am stärksten profitieren dürften. Themenorientiert investierende Anleger müssen daher entscheiden, wie stark das Engagement oder wie groß die Position sein muss, um die erhoffte Performance zu erzielen.

Gleichzeitig könnten sich bestehende Finanzmodelle als ungeeignet erweisen, da sie den Anforderungen des thematischen Anlegens nicht genügen. Viele Portfoliomanager sind nach wie vor an Renditeziele auf Basis einer klassischen Benchmark gebunden oder legen bei der Vermögensaufteilung eng gefasste geografische Kriterien zugrunde. Durch das Festhalten an diesem Ansatz kann sich die Integration von thematischen Anlagen in eine Gesamtstrategie schwierig gestalten – gleichgültig, wie überzeugend die Beweggründe erscheinen.

Die Strategie des thematischen Anlegens entwickelt sich weiter und gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie ist jedoch noch relativ jung und es wird erst im Laufe der Zeit Belege geben, die einige der Theorien und Annahmen untermauern. Doch weil das thematische Anlegen die Welt so widerspiegeln soll, wie sie ist und nicht, wie sie einmal war, dürfte es sich langfristig immer mehr etablieren.