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April 24, 2024

Vorzeitige Kreditrückzahlung: eine gute Idee?

  Gesammelt von myLIFE team myHOME Juni 9, 2020 4241

Die Rückzahlung eines Immobilienkredits vor dem Ende seiner Laufzeit ist auf den ersten Blick eine gute Idee. Doch obwohl Sie sich durch den Wegfall der monatlichen Tilgungsraten zweifelsohne freier fühlen dürften, so ist eine vorzeitige Rückzahlung aus finanzieller Sicht nicht unbedingt die beste Lösung. Bevor Sie eine Entscheidung treffen, sollten Sie daher eine Reihe von Aspekten berücksichtigen. myLIFE erklärt, wie eine vorzeitige Rückzahlung abläuft und welche Folgen sie hat.

Marie hat einen erheblichen Geldbetrag erhalten und möchte damit einen Teil ihres Immobilienkredits zurückzahlen, um ihre monatliche Tilgungsrate zu senken. Kann sie dies einfach so tun? Oder wäre es vielleicht vorteilhafter, das Geld auf einem Sparkonto anzulegen oder zu investieren? Richard hingegen lässt sich gerade von seiner Frau scheiden. Er hat zusammen mit ihr entschieden, das gemeinsame Haus zu verkaufen und jeweils eine eigene Immobilie zu erwerben. Sie sind also gezwungen, den Kredit für ihr Haus zurückzuzahlen, und fragen sich, ob dadurch zusätzliche Kosten auf sie zukommen.

Um die Fragen von Marie und Richard zu beantworten, haben wir uns an Bob Schmit, Senior Product Manager – Kredite und Bausparen – bei der BIL gewandt. Er erklärt uns, wie die vorzeitige Rückzahlung eines Immobilienkredits abläuft.

Herr Schmit, was versteht man unter der vorzeitigen Rückzahlung eines Immobilienkredits genau?

Die vorzeitige Rückzahlung eines Kredits bedeutet, dass man den vereinbarten Finanzierungsplan aufgibt und seinen Kredit vor dem offiziellen Laufzeitende teilweise oder vollständig zurückzahlt.

Meistens stellt sich diese Frage, wenn man einen größeren Geldbetrag erhalten hat (z. B. durch Schenkung oder Erbe) oder das Einkommen gestiegen ist und man künftig höhere monatliche Tilgungsraten zahlen möchte. In diesem Fall spricht man von einer teilweisen vorzeitigen Rückzahlung.

Eine vollständige Rückzahlung wird hingegen etwa häufig bei einer Scheidung gewünscht. Das geschiedene Paar möchte seine Immobilie verkaufen und den dafür aufgenommenen Kredit zurückzahlen, ohne zwangsläufig unmittelbar danach eine andere Immobilie zu erwerben.

Die vorzeitige Rückzahlung hat den Vorteil, dass die monatlichen Raten sinken oder entfallen und man so an Kaufkraft gewinnt. Allerdings wird in ihrem Rahmen unter Umständen eine Entschädigung fällig. Bevor man eine Entscheidung trifft, sollte man die Situation daher genau beleuchten.

Ob eine Entschädigung zu zahlen ist, hängt von der Art des abgeschlossenen Kredits – festverzinslicher oder variabel verzinslicher Kredit – sowie den aktuellen Marktzinsen ab.

In welchen Fällen muss man eine Entschädigung zahlen?

Wenn der Bank durch die vorzeitige Rückzahlung des Kredits Kosten entstehen, darf sie vom Kunden eine Entschädigung verlangen. Diese Entschädigung dient genau genommen dazu, die finanziellen Einbußen des Finanzinstituts durch das vorzeitige Ende des Kreditvertrags zu decken.

Ob Marie oder Richard eine Entschädigung zahlen müssen, hängt von der Art des abgeschlossenen Kredits – festverzinslicher oder variabel verzinslicher Kredit – sowie den aktuellen Marktzinsen ab.

Im Falle eines Kredits mit festem Zinssatz gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Die Marktzinsen sind seit Abschluss des Kredits gestiegen. In diesem Fall fallen keine zusätzlichen Kosten an, da die Bank die zurückgezahlte Summe zu besseren Zinsen weiterverleihen kann.
  • Die Marktzinsen sind gesunken. Die Bank kann die zurückgezahlte Summe nicht zu einem ähnlichen Zinssatz weiterverleihen. Ihr entstehen daher finanzielle Verluste, die sie in Form von Gebühren an den Kunden weitergeben kann.

Handelt es sich hingegen um einen Kredit mit variablem Zinssatz, ist keine Entschädigung zu zahlen. Denn die vorzeitige Rückzahlung verursacht für die Bank, die sich kontinuierlich refinanziert, keine Kosten.

Hinweis: Unabhängig davon, ob eine Entschädigung zu zahlen ist oder nicht, fallen bei einer vorzeitigen Rückzahlung Bearbeitungsgebühren an.

Bei nach März 2016* für eine Hauptwohnsitzimmobilie abgeschlossenen Krediten gilt für Rückzahlungen bis 450.000 Euro eine Obergrenze in Höhe des Gegenwerts der innerhalb von sechs Monaten anfallenden Zinsen.

Wie hoch ist diese Entschädigung?

Die Höhe der Entschädigung hängt von drei Faktoren ab:

  • der Summe, die der Kunde zurückzahlen möchte,
  • der verbleibenden Laufzeit, für die der feste Zinssatz gilt, und
  • der Differenz zwischen dem Marktrefinanzierungszins bei Abschluss des Kredits und dem Zins für die Restlaufzeit des Kredits zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung.

Wenn der Refinanzierungszins über 20 Jahre bei Kreditabschluss 2 % betrug und der Refinanzierungszins über 10 Jahre (Restlaufzeit) bei Rückzahlung bei 1,50 % liegt, wird bei der Berechnung der Entschädigung der finanzielle Verlust durch die Refinanzierung von 0,50 % über die Restlaufzeit des festverzinslichen Zeitraums berücksichtigt.

Bei nach März 2016* für eine Hauptwohnsitzimmobilie (hierzu ist ein Nachweis einer mindestens zweijährigen Nutzung erforderlich) abgeschlossenen Krediten gilt für diese Gebühren bis zu einem bestimmten Rückzahlungsbetrag jedoch eine Obergrenze. Sie beläuft sich bei einer Rückzahlung von bis zu 450.000 Euro auf den Gegenwert der innerhalb von sechs Monaten anfallenden Zinsen.

Beispiel: Für den Kauf ihres Hauses haben Richard und seine Frau einen Kredit über 600.000 Euro mit einer Laufzeit von 20 Jahren und einem Zinssatz von 2 % aufgenommen. Nach vier Jahren möchten sie den Restbetrag von 500.000 Euro vollständig vorzeitig zurückzahlen. Der aktuelle Kundenzins beträgt 1,5 %. In diesem Fall beläuft sich die Summe, die die Bank maximal verlangen kann, auf die Zinsen (zum Satz bei Abschluss des Kredits), die im Laufe von sechs Monaten auf einen Betrag 450.000 Euro anfallen. Da die Obergrenze überschritten wurde, wird auf den Restbetrag von 50.000 Euro hingegen die vollständige Entschädigung fällig. Richard und seine Frau müssen daher eine Entschädigung von 4.500 Euro auf die 450.000 Euro und eine Entschädigung von 4.000 Euro auf die verbleibenden 50.000 Euro zahlen. Insgesamt beläuft sich die Entschädigung, die zusätzlich zu den Bearbeitungsgebühren anfällt, auf 8.500 Euro.

Hinweis: Die Obergrenze gilt in Luxemburg nicht, wenn die vorzeitige Rückzahlung eines Kredits für einen Zweitwohnsitz oder ein Mietobjekt beantragt wird.

Wie findet man heraus, ob sich eine vorzeitige Rückzahlung lohnt oder nicht?

Um zu ermitteln, ob sich die vorzeitige Rückzahlung eines Kredits finanziell lohnt, muss man verschiedene Simulationen durchführen.

Wenden wir uns erneut dem Fall von Marie zu. Angesichts der aktuell sehr niedrigen Zinsen scheint die teilweise Rückzahlung ihres Kredits vorteilhafter zu sein, als das Geld auf einem Sparkonto anzulegen.

Wenn Marie einen Kredit mit einem variablen Zinssatz abgeschlossen hat, muss sie der Bank keine Entschädigung zahlen. Auch wenn sie einen festverzinslichen Kredit abgeschlossen hat und die Zinsen seit dem Abschluss gestiegen sind, fällt keine Entschädigung an. Die vorzeitige Rückzahlung ist daher scheinbar eine gute Möglichkeit, um ihr Geld zu investieren.

Wenn Marie hingegen einen festverzinslichen Kredit abgeschlossen hat und die Zinsen seit Vertragsabschluss gesunken sind, muss sie die Bank entschädigen. In diesem Fall ist zu klären, ob die Belastung durch die Entschädigung nicht höher ist als die Ersparnis durch die vorzeitige Rückzahlung.

Beispiel: Marie hat im Juli 2017 einen Immobilienkredit über 200.000 Euro mit einer Laufzeit von 15 Jahren und einem festen Zinssatz von 2 % aufgenommen. Im Dezember 2019 beträgt der Kundenzins 1,50 %, und Marie möchte 30.000 Euro auf einmal zurückzahlen. Die Entschädigung, die sie der Bank für den Verlust von Zinseinnahmen zahlen muss, beläuft sich auf 1.875 Euro. In diesem Fall ist die Rückzahlung möglicherweise nicht die beste Lösung.

Ein Antrag auf vorzeitige Rückzahlung kann jederzeit gestellt werden. Es muss keine Mindestfrist eingehalten werden.

Zu welchem Zeitpunkt kann man einen Immobilienkredit vorzeitig zurückzahlen?

Ein Antrag auf vorzeitige Rückzahlung kann jederzeit gestellt werden. Es muss keine Mindestfrist eingehalten werden.

Bei einem festverzinslichen Kredit ist die eventuelle Entschädigung umso niedriger, je näher das Laufzeitende rückt, da diese auf den zu tilgenden Restbetrag berechnet wird. Bei einem variabel verzinslichen Kredit ist eine vorzeitige Rückzahlung hingegen zu Beginn der Laufzeit, d. h. bevor der Großteil der Zinsen an die Bank gezahlt wurde, finanziell lohnenswerter.

Was sollte man Ihrer Meinung nach vor der vorzeitigen Rückzahlung eines Kredits beachten?

Man sollte nichts überstürzen und sich genügend Zeit nehmen, um die Situation mit seinem Bankberater in Ruhe zu besprechen! Denn nur er kennt alle Einzelheiten und kann dem Kunden abhängig vom Grund für den Antrag sowie seinen Bedürfnissen und Erwartungen einen Gesamtüberblick über die Situation geben.

Richard und seine Frau sind im Rahmen ihrer Scheidung dazu „gezwungen“, ihren Kreditvertrag zu ändern. Sie können mit ihrem Kundenbetreuer die verschiedenen Rückzahlungsmodalitäten erörtern und so die für ihre individuelle Situation am besten geeignete Lösung finden.

Marie kann die verschiedenen Optionen, die sich ihr bieten, hingegen in aller Ruhe gegeneinander abwägen. Ihr Kundenbetreuer kann Simulationen durchführen, um zu ermitteln, welche Lösung aus finanzieller Sicht am besten für sie ist: die vorzeitige Rückzahlung, die Anlage des Geldes auf einem Sparkonto, mit der Möglichkeit, in der Steuererklärung weiterhin die Sollzinsen abzusetzen, die Verwirklichung eines anderen wichtigen Projekts oder auch eine Anlage in Finanzprodukten. Denn vielleicht ist für Marie nun der richtige Zeitpunkt gekommen, um ihre ersten Schritte als Anleger zu wagen.

* Datum des Inkrafttretens des Gesetzes