Meine Finanzen, meine Projekte, mein Leben
April 20, 2024

Wissen, was wirklich mehr wert ist

  Gesammelt von myLIFE team myINVEST November 4, 2021 1365

Das Phänomen der „Money illusion“ (Geldwertillusion) erlangte erstmals in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts durch den Ökonomen Irving Fisher Bekanntheit. Der Begriff Geldwertillusion beschreibt die Nichtwahrnehmung von Inflation und die Illusion, das Geld habe auch nach Jahren noch den gleichen Wert. Cash zu horten ist demnach keine gute Lösung.

Anfangs war das Phänomen der Geldwertillusion höchst umstritten und viele Experten vertraten die Ansicht, der Mensch könne niemals einer so eklatanten Selbsttäuschung erliegen und würde stets rational handeln. Der Mensch denke in realen Preisen und passe seine Erwartungen in Bezug auf sein Gehalt und Vermögen entsprechend an, so die Gegenthese.

Im Laufe der Zeit schlossen sich jedoch immer mehr Ökonomen Fishers Theorie an. Inzwischen ist es allgemein akzeptiert, dass es die Geldwertillusion tatsächlich gibt. Ein Beispiel: Stünden eine dreiprozentige Lohnerhöhung bei einer Inflationsrate von vier Prozent und eine einprozentige Anpassung des Gehalts bei einer Teuerung von ebenfalls einem Prozent zur Wahl, würden die meisten sich für die drei Prozent mehr Einkommen entscheiden. Dass der Zuwachs real minus ein Prozent beträgt und letztlich weniger Geld im Portemonnaie verbleibt, übersehen Verbraucher. Sie erliegen einer Illusion, planen mit drei Prozent mehr und kurbeln die Wirtschaft an.

Unternehmen und Verbraucher beeinflusst

Auch die Ökonomen Eldar Shafir, Peter A. Diamond und Amos Tversky lieferten interessante Erkenntnisse in Sachen Geldwertillusion: In einer Studie von 1997 zeigten sie auf, wie dieses Phänomen das Verhalten von Unternehmen und Verbrauchern in vielen Situationen stark beeinflusst werden kann.

Beispiel Preisstarrheit: Hier wurde festgestellt, dass der Preis von Waren möglicherweise selbst dann nur langsam steigt, wenn die Faktorkosten sich erhöht haben. Ein Ladenbesitzer zögert unter Umständen, höhere Preise von seinen Kunden zu verlangen, auch wenn es für ihn teurer geworden ist, seine Regale wiederaufzufüllen. Er neigt zu glauben, die Inflation sei nur von kurzer Dauer, dies, ohne konkrete Belege dafür zu haben.

Die Wissenschaftler fanden auch heraus, dass Verträge nicht so häufig an die Inflation gekoppelt waren, wie sie es hätten sein sollen. Beispielsweise war der Preis für ein Glas Coca-Cola von rund 200 ml in den USA 1886 auf fünf Cent festgelegt worden und schwankte bis 1959 (!) nur leicht und das auch nur lokal begrenzt.

Wer einen zu großen Teil seines Vermögens in Bar hält, dem kann im Alter das Geld ausgehen.

Inflation nicht einberechnet

Theoretisch sollte in jedem Zahlungsplan eine inflationsbedingte Erhöhung vorgesehen sein. Da fast alle Zentralbanken in den Industrieländern eine Inflation von bis zu zwei Prozent im Jahr als Ziel gesetzt haben, ist es erstaunlich, dass diese Entwicklung beim Finanzplanen nicht häufiger automatisch berücksichtigt wird.

1,4 Prozent

Im Jahr 2019 belief sich die durchschnittliche Inflationsrate in Luxemburg auf rund 1,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für das Jahr 2021 wird die Inflationsrate Luxemburgs auf rund 1,4 Prozent prognostiziert.

Wenn Gehälter (anders als in Luxemburg) nicht automatisch an die Entwicklung der Inflation angepasst werden, können die Kosten für Unternehmen bei der Einstellung weiterer Arbeitskräfte in Zeiten einer höheren Inflation real sogar sinken. Theoretisch würde das bedeuten, dass ein Unternehmen, je höher die Inflation, mehr Arbeitskräfte einstellen könnte.

Die meisten Steuersysteme zeichnen sich durch einen Progressionsmechanismus aus; unterschiedlich hohe Einkommen werden unterschiedlich stark besteuert. Die Steuerstufen werden aber nicht immer parallel zur Inflation angehoben, und wenn doch, dann erst zeitversetzt. Das bedeutet, dass Unternehmen in Zeiten höherer Inflation möglicherweise höhere Löhne und Gehälter zahlen, die Beschäftigten dann aber von der Progression erfasst werden, und unter Umständen insgesamt mehr Steuern zahlen müssen. Die Kaufkraft des verfügbaren Einkommens kann dadurch sinken. Daher gleicht eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 2,5 Prozent den Anstieg der Preise um 2,5 Prozent nicht unbedingt aus.

Die Kaufkraft zählt, nicht der nominale Geldwert.

Bargeld überbewertet

Die Forscher Shafir, Diamond und Tversky fanden auch heraus, dass der „gesellschaftliche Diskurs“, insbesondere in den Medien, die allgemeine Verwirrung um die Begriffe „realer Wert” und „nominaler Wert” reflektiert. Nirgends zeige sich dieses Problem deutlicher als in der Diskussion über das Sparverhalten. Im Allgemeinen betrachten Privatpersonen Bargeld noch immer als sichere Möglichkeit, um langfristig etwas anzusparen – eine Haltung, die sich in den Kommentaren zu Sparprodukten (geringes Risiko) und Investments (hohes Risiko) in den Medien widerspiegelt. Das liegt daran, dass der nominale Wert des Geldes auf einem Sparkonto leicht steigt oder gleichbleibt, was, verglichen mit den schwankenden nominalen Kursen von Aktien, als beruhigend wahrgenommen wird.

Dabei sind Sparkonten nicht „sicher“. Wer einen zu großen Teil seines Vermögens in Bar hält, dem kann im Alter das Geld ausgehen. Wenn die Inflation die Sparerträge um zwei Prozent pro Jahr übersteigt, sinkt der Wert eines Betrags von 100 000 Euro innerhalb von zehn Jahren auf rund 82 000 Euro. Oder anders ausgedrückt: Die Kaufkraft von aktuell 100 000 Euro liegt in zehn Jahren bei nur noch 82 000 Euro.

Am Aktienmarkt ließe sich das Vermögen deutlich erfolgreicher vergrößern. Allein die Dividendenrendite von Aktien ist aktuell höher als die Inflation.

Die Geldwertillusion kann Menschen auch zu irrationalen Ausgabeentscheidungen verleiten. Als die europäischen Länder im Jahr 2001 den Euro einführten, zeigte beispielsweise ein Experiment in den Niederlanden, dass die Spenden an gemeinnützige Organisationen rapide anstiegen. Was steckte dahinter? Die Experten vermuten, dass sich die Niederländer auf ein ungefähres Umtauschverhältnis zwischen Gulden und Euro von zwei zu eins eingestellt hatten. Als es schließlich bei einem Verhältnis von 2,2 zu eins endete, fühlten sich die Menschen wohlhabender.

Ganz allgemein gilt: Beim Umgang mit Geld sollte man sich nicht auf Gefühle verlassen. Und auch nicht nur auf den nominalen Wert achten, sondern auch darauf, was man in Wirklichkeit dafür bekommt. Dies zu berücksichtigen ist von wesentlicher Bedeutung, um sein Vermögen auf lange Sicht zu erhalten und zu vergrößern.