Eine Vermögensallokation im Einklang mit den eigenen Lebenszielen
Wenn Sie Geld anlegen möchten, stellt sich zwingend die Frage nach Ihrem Risikoprofil. Unabhängig davon, dass Ihre Bank gesetzlich verpflichtet ist, vor der Erbringung von Anlagedienstleistungen ein Anlegerprofil mit Ihnen zu erstellen, sollten Sie unbedingt verstehen, was es bedeutet, Risiken einzugehen.
Das Wichtigste in Kürze
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Seit der Subprime-Krise müssen Sie vor einer Anlage einen Fragebogen ausfüllen, um Ihr Risikoprofil oder Anlegerprofil zu bestimmen. Das Anlegerprofil umfasst vier sich ergänzende Bereiche: Kenntnisse, Erfahrungen, Risikobereitschaft und Verlusttragfähigkeit. So soll verhindert werden, dass Anleger aus Unkenntnis der mit der Anlage in Finanzinstrumenten verbundenen Risiken hohe Verluste erleiden.
Die Leser unserer Rubrik myINVEST wissen, dass es bei der Geldanlage keine Garantien gibt. Es gilt: Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Sie wissen auch, dass Investieren immer mit Risiken verbunden ist, und kennen die Begriffe konservativ, vorsichtig, ausgewogen und dynamisch, mit denen Abstufungen der Risikobereitschaft beschrieben werden. Weniger bekannt ist hingegen, dass Risiko beim Investieren nicht nur ein objektiver Begriff ist, der sich auf die Art und Weise bezieht, wie man sich gegenüber mitunter unvorhersehbaren Marktschwankungen positioniert. Risiko ist auch subjektiv und muss im Einklang mit den Wünschen und dem Lebensweg des Anlegers definiert werden. Aus dieser Perspektive besteht das größte Risiko darin, in Instrumente zu investieren, die nicht zu einem passen und die nicht geeignet sind, zur Erreichung der eigenen Lebensziele beizutragen.
Risiko ist auch subjektiv und muss im Einklang mit Ihren Wünschen und Ihrem Lebensweg definiert werden.
Risiken verstehen
Was genau meinen wir, wenn wir von Risiken sprechen, und worum geht es eigentlich? Es gibt viele verschiedene Arten von Anlagerisiken (Wechselkursrisiko, Zinsrisiko, Ausfallrisiko, Marktrisiko, Inflationsrisiko usw.) und viele Methoden zur Berechnung des Risikos eines Portfolios (Standardabweichung, Value at Risk, Sensitivitätsanalyse, spezifische Risikokennzahlen usw.). Vereinfacht gesagt wird Risiko allgemein als Exposure, Volatilität oder potenzielle Wertschwankung des Anlageportfolios in Abhängigkeit von den Marktbewegungen betrachtet.
Aus technischer Sicht soll die Definition Ihres Risikoprofils oder Anlegerprofils es Ihrem Bankberater ermöglichen, unter Berücksichtigung Ihrer aktuellen Situation die Anlageklassen und Anlageinstrumente zu identifizieren, die am besten geeignet sind, um die für einen bestimmten Zeithorizont festgelegten Ziele zu erreichen. Nach der traditionellen Portfoliotheorie des US-amerikanischen Ökonomen Harry Markowitz sind Portfolios eine Zusammenstellung von Finanzinstrumenten mit unterschiedlichen Risiko-Rendite-Eigenschaften, die so kombiniert werden müssen, dass die vom Anleger gewünschte Rendite erzielt wird.
Aus dieser Warte ist alles eine Frage der Rationalität und der Mathematik. Doch die Märkte sind bei weitem nicht immer rational und ihre Bewegungen oft unvorhersehbar. Hinzu kommt, dass auch die Anleger mitunter irrational auf Schwankungen reagieren. Dies stellt Modelle zur Risikoberechnung auf eine harte Probe. Was kann man dagegen tun?
In der Realität sind Anleger mit Beschränkungen konfrontiert und verhalten sich nicht gemäß dem Rationalitätsmodell der klassischen Finanztheorie. Ein erster nützlicher Schritt ist deshalb die Unterscheidung zwischen Risikotragfähigkeit und Risikoaversion. Die Risikotragfähigkeit hängt von den objektiven wirtschaftlichen Gegebenheiten, dem Liquiditätsbedarf, dem Einkommen, dem Vermögen, den Steuern usw. ab. Kognitive Verzerrungen oder subjektive Wahrnehmungen sind in diesem Zusammenhang weniger von Bedeutung. Risikoaversion kann hingegen als eine Kombination von psychologischen Eigenschaften und emotionalen Reaktionen verstanden werden, die das Ausmaß des psychologischen oder emotionalen Schmerzes bestimmen, den ein Anleger empfindet, wenn er einen finanziellen Verlust erleidet.
Lebensziele statt abstrakter Zahlen
Wenngleich Modelle ihre Berechtigung haben, sollten Sie sich fragen, was es für Sie persönlich bedeutet, Risiken einzugehen. Sehr konservative Anleger empfinden jede Investition, die mit einem Verlustrisiko verbunden ist, als riskant. Risikofreudige Anleger sind hingegen bereit, einen Verlust in einem ungünstigen Szenario in Kauf zu nehmen, um von hohen Renditechancen zu profitieren. Ein absolutes Engagement am Markt löst bei einigen Anlegern Unsicherheit und Besorgnis aus, während andere mit Begeisterung hohe Risiken eingehen.
Wer den Markt als einziges Entscheidungskriterium heranzieht, verstärkt tendenziell seine kognitiven Verzerrungen, reagiert emotionaler oder verspürt ein größeres Bedürfnis, sich mit anderen zu vergleichen. Das hilft nicht bei der Verwirklichung der eigenen Lebensziele.
Hier gilt es, besonders vorsichtig zu sein. Den Markt als einziges Entscheidungskriterium heranzuziehen, hilft Ihnen nicht bei der Verwirklichung Ihrer Lebensziele. Schlimmer noch: Dadurch verstärken Sie tendenziell Ihre kognitiven Verzerrungen, reagieren emotionaler oder verspüren ein größeres Bedürfnis, sich mit anderen zu vergleichen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn Sie entweder sehr risikobereit oder sehr risikoavers sind.
Bei der Geldanlage geht es nicht darum, besser zu sein als der Nachbar, sondern ein Anlageportfolio zusammenzustellen, das Ihren Zielen entspricht und es Ihnen ermöglicht, Ihre Lebenspläne zu verwirklichen. In diesem Sinne sollte Ihr Risikoprofil bestimmen, inwieweit Sie bereit sind, Risiken einzugehen, um Ihre persönlichen Ziele zu erreichen, und nicht Ihre Fähigkeit, Risiken einzugehen, um den Markt zu schlagen.
Dies ist der Ansatz der Verhaltensportfoliotheorie, die Portfolios im Gegensatz zur klassischen Portfoliotheorie nicht einfach als eine Kombination von Finanzinstrumenten betrachtet. Danach werden Portfolios in erster Linie als Mittel zum Zweck angesehen. Sie dienen ausschließlich dazu, es dem Anleger zu ermöglichen, bestimmte Lebensziele zu erreichen (Ruhestand, Ausbildung der Kinder, Heirat, Zweitwohnsitz usw.).
Die Verhaltensportfoliotheorie definiert Risiko nicht als Abweichung vom Durchschnitt, sondern vielmehr als die Gefahr, ein festgelegtes Ziel nicht zu erreichen.
Die Verhaltensportfoliotheorie definiert Risiko nicht als Abweichung vom Durchschnitt, sondern vielmehr als die Gefahr, ein festgelegtes Ziel nicht zu erreichen.
Festlegung Ihrer Bedürfnispyramide
Dieser Ansatz ist interessant, weil er berücksichtigt, dass erfolgreiches Investieren emotional schwierig ist. Die Verhaltensökonomen Daniel Kahneman und Amos Tversky haben in ihren Arbeiten gezeigt, dass Menschen oft Entscheidungen treffen, die auf gedanklichen Abkürzungen und nicht auf reiner Logik beruhen. Dies kann zu suboptimalen Entscheidungen führen und Menschen dazu verleiten, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln. Sie überreagieren auf kurzfristige Marktbewegungen und verlieren ihre langfristigen Ziele aus den Augen. Eine weitere mögliche Reaktion ist Herdenverhalten, also blind dem Markt zu folgen, ohne dabei die eigenen Interessen zu beachten.
Unter Berücksichtigung des Risikos möglicher Fehleinschätzungen fordert die Verhaltensportfoliotheorie Anleger auf, Distanz zu den abstrakten Zahlen des Marktes zu wahren und Maßnahmen zu ergreifen, die es ihnen ermöglichen, ihre persönlichen Lebensziele zu erreichen.
Gemäß der im Jahr 2000 von Shefrin und Statman vorgestellten Verhaltensportfoliotheorie (Behavioral Portfolio Theory) sollte ein Portfolio wie eine Pyramide mit verschiedenen Schichten aufgebaut sein. Die unterste Schicht dient als Sicherheitspolster, um finanzielle Katastrophen zu verhindern. In der obersten Schicht geht es hingegen darum, die Rendite zu maximieren, um den Wohlstand potenziell mehren zu können. Statt eine abstrakte Kurve mit verschiedenen Risiko-Rendite-Kombinationen vorzuschlagen, ermöglicht die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie eine Vermögensallokation, die der menschlichen Denkweise sehr nahekommt. Sie vermittelt ein genaueres Bild davon, wie die Entscheidungsfindung tatsächlich abläuft. Anleger erhalten die Möglichkeit, ihr Portfolio wie eine Pyramide zu strukturieren, in der sie ihre Ziele priorisieren und die entsprechenden Mittel zuweisen.
Die unterste, grundlegende Schicht bildet die Basis, um den finanziellen Ruin zu verhindern und die Weitergabe des Vermögens an die Kinder durch Finanzinstrumente zu sichern, die zwar möglicherweise keine besonders hohen Renditen abwerfen, aber den Erhalt des Vermögens gewährleisten. Hierzu werden in der Regel Sparprodukte eingesetzt.
Die nächste Schicht kann beispielsweise zur Bildung einer Rücklage dienen, um die Finanzierung zukünftiger Projekte wie die Ausbildung der Kinder zu sichern. Weitere Schichten können folgen, um „kleine Extras“ wie den Kauf eines Zweitwohnsitzes oder Investitionen in Kunst oder Wein zu finanzieren. Ganz oben in der Pyramide können Sie in Bereiche investieren, die Sie begeistern und die Ihnen am Herzen liegen, beispielsweise in die medizinische Forschung.
Wenn Sie Ihre Vermögensallokation nach verhaltenswissenschaftlichen Gesichtspunkten ausrichten, können Sie eine Reihe von kognitiven Verzerrungen vermeiden und Grenzen festlegen.
Wenn Sie Ihre Vermögensallokation nach verhaltenswissenschaftlichen Gesichtspunkten ausrichten, können Sie sich vor einer Reihe von kognitiven Verzerrungen schützen und Grenzen festlegen, je nachdem welche Schicht der Pyramide Sie stärken wollen. Sie orientieren sich dann nicht mehr an der Marktentwicklung, sondern an Ihren Zielen.
Wenn Sie gebeten werden, Ihr Risikoprofil festzulegen, sollten Sie dies immer unter Berücksichtigung Ihrer Ziele und Wünsche tun. Ihr Bankberater begleitet Sie hierbei und bespricht anschließend die genaue Zusammenstellung Ihres Portfolios mit Ihnen. Er steht Ihnen bei der Umsetzung Ihrer Anlagestrategie zur Seite, kann aber selbstverständlich nicht Ihre Lebensziele für Sie festlegen. Vorbereitung ist daher alles!
Beim Investieren spielen Logik und Emotionen gleichermaßen eine Rolle. „Geistige Buchhaltung“ ist ein Konzept, das veranschaulicht, wie wir unsere finanziellen Entscheidungen anhand subjektiver Kriterien wie der Herkunft des Geldes oder dem geplanten Verwendungszweck mental in verschiedene Kategorien einteilen. Da Geld unabhängig von seiner Herkunft und seinem Verwendungszweck austauschbar ist, mag dies irrational erscheinen. Doch es ist unserem Gehirn schwer zu vermitteln, dass jeder Euro gleich viel wert ist.
Wenn wir erkennen, dass unsere Emotionen bei unseren Anlageentscheidungen eine Rolle spielen, können wir besser verstehen, warum wir bestimmte Entscheidungen treffen und wie wir unsere persönlichen Ziele und Werte dabei besser berücksichtigen können. Geistige Buchhaltung ist irrational, kann uns aber helfen, unser Geld emotional sinnvoll und im Einklang mit unseren Lebenszielen zu verwalten.
Statt nur „den Markt schlagen“ zu wollen, sollten Anleger beim Aufbau eines Portfolios ihre persönliche Situation und ihre Risikobereitschaft im Hinblick auf ihre Lebensprojekte berücksichtigen. Das größte Risiko besteht darin, sich nicht über die eigene Lebenssituation und die eigenen Lebensziele im Klaren zu sein, bevor man über den Aufbau eines Anlageportfolios nachdenkt.