Das Wachstumspotenzial eines langfristigen Anlageansatzes
Anlageexperten erinnern uns gerne daran, dass Investitionen mit einer langfristigen Perspektive getätigt werden sollten. Wenn man eine Anlage am Aktienmarkt in Betracht zieht, solle man über einen Anlagehorizont von mindestens fünf Jahren verfügen. Doch was ist der Grund hierfür? Wäre es nicht besser, vor einem Abschwung auszusteigen und erneut einzusteigen, bevor die Kurse wieder anziehen?
Das wichtigste Argument für einen langfristigen Ansatz lautet, dass die Aktienmärkte auf lange Sicht zwar eine bessere Performance bieten als die Anleihenmärkte und Barmittel, diese Entwicklung jedoch nicht linear verläuft. Die Aktienmärkte können volatil sein, und eine langfristige Perspektive sorgt dafür, dass Anleger nach einem starken Marktrückgang nicht dazu gezwungen sind, Positionen zu verkaufen, sondern abwarten können, bis sich die Kurse erholen. Und das ist fast immer der Fall.
Aber handelt es sich bei der Idee, den Markt zu „timen“, nicht um eine verlockende Vorstellung? Dann könnten Anleger verkaufen, wenn den Märkten ihres Erachtens schwierige Zeiten bevorstehen, und reinvestieren, wenn der Ausblick positiver ist. Diese Idee klingt in der Theorie hervorragend, sie lässt sich jedoch tendenziell nicht in die Praxis umsetzen. Der Grund hierfür liegt darin, dass ein derartiges Verhalten der menschlichen Natur zuwiderläuft und selbst die erfahrensten Anleger vor Herausforderungen stellt.
Herdentrieb
Anleger tendieren dazu, das Verhalten der Mehrheit zu imitieren: Sie verkaufen in schlechten Zeiten und kaufen in guten. Gestützt wird diese Beobachtung von der aktuellen Ausgabe einer jährlichen Studie des US-Finanzdienstleisters Dalbar, die zeigt, dass der durchschnittliche Anleger 2018 sowohl in guten als auch in schlechten Marktphasen hinter der Performance des S&P 500 zurückblieb. Als sich der Markt im Oktober schlecht entwickelte, lag die Rendite des durchschnittlichen Anlegers 1,13 % unter jener des Index, und im August, als die Märkte deutlich zulegten, war seine Portfoliorendite sogar 1,46 % niedriger als die Indexrendite.
Cory Clark, Marketingchef von Dalbar: „Anhand der Cashflows können wir erkennen, dass die Anleger unmittelbar drohende Gefahr vermuteten und daraufhin ihr Engagement zurückfuhren. Diese Bewegung war jedoch bei weitem nicht umfangreich genug, um erhebliche Verluste vermeiden zu können. Leider wurde das Problem dadurch verstärkt, dass die Anleger in den Monaten der Markterholung nicht mehr investiert waren.“
Angst und Gier verleiten Anleger gewöhnlich dazu, emotionale statt rationale Entscheidungen zu treffen. Für erfolgreiches Market Timing sind zwei richtige Entscheidungen vonnöten: Wann man aussteigt, und wann man wieder einsteigt. Statistisch gesehen liegt die Chance, einmal richtig zu liegen, bei 50 %, wohingegen die Chance, zweimal richtig zu liegen, nur noch 25 % beträgt. Wiederholt man dieses Spiel über einen längeren Zeitraum, kann dies zu einem dauerhaften Vermögensverlust führen.
Wenn man sich von Marktveränderungen oder dem Anlageumfeld beeinflussen lässt, kann sich dies negativ auf die langfristigen Renditen auswirken. Denn die stärksten Kursanstiege folgen oft unmittelbar nach einem deutlichen Einbruch oder an bestimmten Tagen. Verkaufen Anleger bei dem kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten, verpassen sie tendenziell Gewinnphasen und die Chance, dass sich der Wert ihrer Anlagen erholt. In turbulenten Marktphasen wiederum fällt es den meisten von uns einfach zu schwer, Titel zu kaufen. Mit einem langfristigen Anlagehorizont kann man diese Klippen des Market Timing mitunter umschiffen.
Die Magie des Zinseszinseffekts
Der Zinseszinseffekt (oder andere Renditearten) gehört zu den wichtigsten Faktoren beim langfristigen Vermögensaufbau. Damit dieser Effekt zum Tragen kommt, müssen Anleger ihre Investitionen jedoch ruhen lassen, damit Dividenden anfallen und Gewinne reinvestiert werden können.
Eine Analyse des Finanzdienstleisters Fidelity zeigt, wie groß der Einfluss von reinvestierten Dividenden sein kann. Ein Anleger, der über die vergangenen 30 Jahre monatlich 100 britische Pfund in den FTSE All Share Index angelegt und sämtliche Dividenden reinvestiert hätte, würde heute über ein Portfolio im Wert von 130.140 Pfund Sterling verfügen. Ohne die Erträge läge der Wert des Portfolios bei nur 66.069 Pfund, also bei knapp der Hälfte.
Auch die Kosten spielen eine Rolle, da jeder Euro, der für Gebühren gezahlt werden muss, die künftigen Renditen mindert. In diesem Fall wirkt der Zinseszinseffet in umgekehrter Weise, denn die Auswirkungen der Kosten werden im Laufe der Zeit immer größer. Die beste Möglichkeit, die Kosten gering zu halten, besteht darin, Anlagen zu tätigen und zu halten, anstatt ständig Titel zu kaufen und zu verkaufen.
Man kann sich von dem unablässigen Strom von Marktmeldungen leicht beeinflussen lassen und etwa auf Grundlage der Tweets von Donald Trump oder der Wirtschaftsdaten Wertpapiere erwerben oder veräußern. Dies führt jedoch zu höheren Handelskosten und schmälert langfristig den tatsächlichen Wert von Anlagen. Wenn Anleger ihr Portfolio umschichten, müssen sie daher so sicher wie möglich sein, dass die potenziellen Gewinne die Handelskosten übersteigen.
Irrationalität ausnutzen
Die Aktienmärkte verhalten sich tendenziell kurzfristig irrational und langfristig rational. Die Haltedauer wird insgesamt immer kürzer und beträgt für die größten Aktienmarkt-ETF im Durchschnitt lediglich zwölf Tage. Dies eröffnet geduldigen Anlegern Chancen. Denn weil die Kurse nicht immer den tatsächlichen Wert eines Unternehmens widerspiegeln, können Anleger von irrationalen Schwankungen profitieren.
Darüber hinaus verfolgen viele Anleger langfristige Ziele, wie etwa die Altersvorsorge, die Finanzierung des Studiums der Kinder oder den Kauf eines Zweitwohnsitzes. Panikreaktionen aufgrund kurzfristiger Marktschwankungen lenken nur von diesen Zielen ab. Sofern ein Anleger über einen ausreichend langen Anlagehorizont verfügt, ist es in Wahrheit unwahrscheinlich, dass er seine Ziele wegen ein wenig Volatilität an den Aktienmärkten verfehlt.
Man sollte sich stets fragen, über welchen Zeitraum eine Investition wachsen soll und wie viel Geld man am Ende des geplanten Anlagezeitraums zur Verfügung haben möchte. Die Antworten auf diese Fragen bieten einen guten Anhaltspunkt dafür, wie viel Risiko man bei seinen Anlagen eingehen kann. Dabei sollte das Risikoniveau jedoch nicht höher als nötig sein.
Allgemein gesagt steigt die Rendite mit der Länge des Anlagezeitraums. Wenngleich dies nicht bedeutet, dass Sie einmal getätigte Anlagen völlig ignorieren können – denn Sie müssen überprüfen, ob sich diese weiterhin gut entwickeln –, so erweisen sich Strategien, die darauf abzielen, Titel zu erwerben und über einen längeren Zeitraum zu halten, in der Regel als besonders rentabel.
„Investitionen zu tätigen ist heute kein unlösbares Problem mehr. Machen Sie es sich nicht zu kompliziert, halten Sie die Kosten niedrig, achten Sie auf Diversifizierung, investieren Sie mit langfristiger Perspektive und lassen Sie den Zinseszinseffekt für sich arbeiten. Statistisch gesehen ist dies für die meisten Anleger eine höchstwahrscheinlich gewinnbringende Lösung.“ – Dave Nadig (ETF.com)