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April 19, 2024

Investitionen: Geschichten, die zum Nachdenken anregen

Ein legendärer Casinoabend 1913 in Monte Carlo und eine abgewendete Katastrophe in New Orleans im Jahr 2004: Das Nachdenken über geschichtliche Ereignisse kann uns ermöglichen, bessere Entscheidungen zu treffen – insbesondere, wenn es um unsere Finanzen geht. myLIFE veranschaulicht anhand von zwei wahren Begebenheiten, wie sich kognitive Verzerrungen auf unsere finanziellen Entscheidungen auswirken.

Hüten Sie sich vor selbst erfundenen Geschichten!

Wir alle lieben Geschichten, und die Bandbreite an Genres ist dabei überaus groß: Neben Märchen, den großen klassischen Mythen und Hollywood-Blockbustern erfreuen sich Erfolgsstorys berühmter Unternehmer großer Beliebtheit. Haben Sie sich schon einmal gefragt, woran das liegt und warum Storytelling als Format in den sozialen Netzwerken so beliebt ist? Der Grund dafür ist einfach: Geschichten erfüllen unsere Welt mit Sinn.

Unser Gehirn ist unablässig damit beschäftigt, Geschichten zu konstruieren – es handelt sich dabei um eine ureigene Strategie des Menschen, um seine Umgebung besser zu verstehen. Insgeheim sind wir alle Drehbuchautoren! Indem wir verschiedene Elemente und Ereignisse – ähnlich wie in einem Filmszenario – zu eigenen Geschichten verknüpfen, stellen wir für uns sinnvolle Zusammenhänge her. Ohne diesen Automatismus würde uns unsere Umgebung zum größten Teil von Zufällen, Unordnung und Chaos beherrscht erscheinen.

Manchmal biegen wir uns die Realität allerdings so zurecht, wie es uns am besten passt – und das kann dramatische Folgen haben.

Die meisten Menschen haben eine ausgeprägte Abneigung gegen Zufälle, Risiken und – noch schlimmer – Ungewissheit. Wir versuchen deshalb stets, uns selbst ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und eine gewisse Kontrolle über unser Leben zu behalten. Wir strukturieren unseren Tag entlang von bestimmten Routinen, planen unsere Wochenendaktivitäten nach der Wettervorhersage oder verlassen uns bei der Planung unserer Finanzen auf die Analysen von Experten. Das funktioniert wunderbar – solange sich unser selbstentworfenes Szenario auf objektive Faktoren stützt. Manchmal biegen wir uns die Realität allerdings so zurecht, wie es uns am besten passt – und das kann dramatische Folgen haben.

Wenn Sie unsere myLIFE-Artikel zum Thema Finanzen und Verhaltensökonomie gelesen haben, wissen Sie bereits, wie wichtig es ist, sich vor kognitiven Verzerrungen zu schützen. Um rationale Anlageentscheidungen treffen zu können, müssen Sie Realität und Fiktion voneinander trennen. In diesem Artikel veranschaulichen wir Ihnen anhand von zwei wahren Begebenheiten, welche negativen Folgen kognitive Verzerrungen für Ihre Finanzen und Ihr Leben haben können.

Geschichte Nr. 1: Der Fehlschluss von Monte Carlo

Wir schreiben den 18. August 1913. Vor uns: ein Roulettetisch in einem Casino in Monte Carlo. Die Kugel ist bereits mehrmals hintereinander auf einer schwarzen Zahl gelandet, und mehrere Spieler setzen immer höhere Summen auf Rot. Sie gehen davon aus, dass die schwarze Serie jeden Augenblick enden muss und die Kugel in der nächsten Runde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Rot landen wird. Doch die Kugel bleibt erst nach 26 aufeinanderfolgenden Runden Schwarz endlich in einem roten Nummernfach liegen. Das Ergebnis: Die Casinokasse ist am Ende mehr als gut gefüllt, und die Spieler gehen mit gigantischen Verlusten nach Hause. Dieser legendäre Abend gab dem Phänomen des Spielerfehlschlusses, auch bekannt als „Monte-Carlo-Fehlschluss“, seinen Namen. Was ist geschehen?

Der Spielerfehlschluss beschreibt die (falsche) Annahme, dass die zukünftige Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Ereignisses von früheren Ereignissen derselben Art beeinflusst wird. In anderen Worten: Wir stellen gerne kausale Verbindungen zwischen vergangenen und künftigen Zufallsereignissen her. Dabei handelt es sich allerdings um einen Fehlschluss. Warum? Der Zufall hat kein Gedächtnis – er wird in keiner Weise von bereits Geschehenem beeinflusst. Bei einem Münzwurf beträgt die Wahrscheinlichkeit für „Kopf“ und „Zahl“ immer jeweils exakt die Hälfte, ganz gleich, ob die Münze bei den letzten 3, 10 oder 100 Würfen auf Kopf gefallen ist.

Der Zufall hat kein Gedächtnis – er wird in keiner Weise von bereits Geschehenem beeinflusst.

Wie lässt sich diese Art von Fehlschluss vermeiden? Indem Sie darauf achten, dass Sie keine Kausalität herstellen, wo es keine gibt. Dies gilt immer und überall – also auch beim Anlegen. Der Monte-Carlo-Fehlschluss lässt sich besonders im Bereich der Finanzanalyse beobachten. Die Wirtschaftswissenschaftler Hersh Shefrin und Meir Statman haben nachgewiesen, dass Anleger dazu neigen, Aktien bei einem Wertverlust lange zu halten und bei einem Wertzuwachs schnell zu verkaufen.

Überraschenderweise sehen manche Anleger den anhaltenden Kursanstieg einer Aktie als Anzeichen dafür, dass sie bald zusammenbrechen wird, und tendieren deshalb zu vorzeitigen Verkäufen. Umgekehrt glauben Anleger bei Verliereraktien oft an eine Erholung und halten sie weiterhin im Depot, obwohl sie auf diese Weise fortlaufend Geld verlieren. Die Bewegungen der Aktienkurse werden von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst, weshalb man in Anlegerinformationen stets den Hinweis „Wertentwicklungen in der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf künftige Wertentwicklungen zu“ liest.

Es ist daher naiv und gefährlich, wenn Sie Ihre Anlageentscheidungen basierend auf der Vorstellung von „Serien“ oder dergleichen fällen. Dieser Fehler findet sich auch bei Anlegern, die Ihre bisherige Gewinnbilanz als Indikator für Ihren zukünftigen Erfolg betrachten.

Was Sie aus dieser Geschichte lernen können: Wiegen Sie sich nicht in falscher Sicherheit! Zu glauben, dass die Vergangenheit die Zukunft bestimmt, ist immer gefährlich. Sie müssen ausreichend Kenntnisse erwerben, um Ihre eigenen Anlagen vollständig zu verstehen. Nur so werden Sie echte Indikatoren erkennen und sich nicht blind auf Ihr vermeintliches Gespür oder ein „gutes Blatt“ verlassen – denn dabei fallen Sie Ihren Illusionen zum Opfer. Verlassen Sie sich lieber auf Einschätzungen von Experten, als sich eine eigene Geschichte auszumalen und falsche Zusammenhänge herzustellen.

Geschichte Nr. 2: Superdome oder die Vogel-Strauß-Taktik

Unsere zweite Geschichte spielt im Jahr 2004 in New Orleans. Die örtlichen Behörden erhalten Warnungen: Ein schwerer Hurrikan namens Ivan nähert sich New Orleans, und das Deichsystem ist in einem zu schlechten Zustand, um den tiefer liegenden Teil der Stadt vor Überschwemmungen zu schützen. 100.000 Menschen könnten durch den Sturm vom Wasser eingeschlossen werden. Es wird ein Notfallplan erstellt, der die Evakuierung der betroffenen Familien in den Superdome, ein städtisches Stadion, vorsieht. Die Infrastrukturbetreiber schlagen direkt Alarm, da sie nicht alle zu evakuierenden Personen im Stadion aufzunehmen können. Glücklicherweise ändert der Sturm 2004 nach dem Auftreffen auf die Karibik seinen Kurs und wendet sich von New Orleans ab. Alle atmen auf und kehren zum normalen Leben zurück. Niemand kümmert sich um die Verstärkung der Deiche oder die Entwicklung eines funktionierenden Evakuierungsplans.

Ein Jahr später löst der Hurrikan Katrina eine wahre Katastrophe aus. Der Superdome erweist sich als zu klein für die große Anzahl der in Not geratenen Menschen, die Deiche brechen an über 50 Stellen und mehr als 1.500 Menschen verlieren ihr Leben. Diese Tragödie veranschaulicht, welch verheerende Folgen es haben kann, wenn man bei Gefahr den Kopf einfach in den Sand steckt. In New Orleans versagte nicht das Katastrophenwarnsystem, sondern die Behörden waren ganz einfach unfähig, angesichts eines bekannten Risikos die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

Häufig treffen wir angesichts vorhersehbarer Katastrophen oder schwerwiegender Ereignisse schlechte Entscheidungen – oder weigern uns schlichtweg, aktiv zu werden.

Natürlich kann dies auch in anderen Lebensbereichen geschehen. Ganz gleich, ob Einzelperson oder Behörde: Häufig treffen wir angesichts vorhersehbarer Katastrophen oder schwerwiegender Ereignisse schlechte Entscheidungen – oder weigern uns schlichtweg, aktiv zu werden. Doch woran liegt das? Wenn wir mit außergewöhnlichen Ereignissen konfrontiert sind, verstärkt sich unser Normalitätsbias: Wir gehen davon aus, dass alles automatisch wieder in Ordnung kommt und unser Leben so wird, wie es vorher war. Es mag Ihnen unvorstellbar erscheinen, dass ein Virus aus China die ganze Welt über Monate lahm legen könnte – oder dass Ihr Master-Plan zur Verwaltung Ihrer Ersparnisse ernstzunehmende Schwachstellen aufweist.

Die Geschichte aus New Orleans veranschaulicht noch ein weiteres Problem: unsere Tendenz zum Vergessen. Nachdem Sie die Zerstörung durch den Hurrikan Katrina miterlebt hatten, entschieden sich viele Menschen für eine Absicherung gegen Überschwemmungen. Doch nur drei Jahre später befand sich die Nachfrage nach Hochwasserversicherungen wieder auf dem Niveau von vor dem Wirbelsturm. Grund dafür ist ein kognitiver Schutzmechanismus: Wir vergessen den Schmerz, der mit schlimmen Ereignissen in der Vergangenheit, wie einer Naturkatastrophe oder einer Finanzkrise, verbunden ist. Die Ereignisse selbst vergessen wir nicht, aber die unmittelbare emotionale Erinnerung an die Auswirkungen verblasst.

Auch bei finanziellen Entscheidungen setzen wir manchmal auf die Vogel-Strauß-Taktik. Dem Wirtschaftswissenschaftler George Loewenstein zufolge trifft dies vor allem auf Personen zu, die ihre Intelligenz lieber zum Untermauern ihrer eigenen Überzeugungen als zur Wahrheitssuche einsetzen. Wie das konkret aussieht? Wir entwickeln Strategien, um Informationen aus dem Weg zu gehen, die unseren Glaubenssätzen zuwiderlaufen. Gemeinsam mit seinen Kollegen untersuchte Loewenstein die Bewegungen auf mehr als einer Million Sparkonten in den Jahren 2007 und 2008. Er beobachtete dabei einige typische Verhaltensweisen von Menschen, die die Vogel-Strauß-Taktik anwenden. Sie meldeten sich zum Beispiel seltener in ihren Handelskonten an, wenn der Markt am Vortag Rückschläge erlitten hatte – auch wenn sie angesichts der allgemeinen Marktdynamik ihre persönliche Anlagesituation hätten überdenken sollen. Umgekehrt überprüften sie ihre Konten oft mehrfach an Wochenenden, wenn die Kurse nach Handelsschluss höher oder zu ihren Gunsten ausfielen, oder zu Zeiten, wenn die Märkte geschlossen waren und gar keine Entwicklung sichtbar war!

Diese Art von Verhalten tritt nicht nur bei unerfahrenen Kleinanlegern auf – ganz im Gegenteil. Glaubt man Loewenstein, so erhöht sich mit dem Wert des Anlageportfolios auch die Wahrscheinlichkeit, dass Anleger den Kopf in den Sand stecken. Seien Sie also vorsichtig!

Je höher der Wert des Anlageportfolios, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Anleger den Kopf in den Sand stecken.

Was Sie aus dieser Geschichte lernen können: Stecken Sie nicht den Kopf in den Sand! Denn wer dies tut, vermeidet weder Gefahren noch Verluste. Hoffen Sie das Beste und bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor – das bringt Ihnen in jedem Fall mehr, als wenn Sie schwierige Situationen einfach ignorieren. Zudem sollten Sie bestimmte Versicherungen nicht ohne Weiteres kündigen, nur weil Ihnen längere Zeit nichts passiert ist. Eine Versicherung zahlt sich aus, wenn wirklich einmal ein Schadensfall auftritt! Ein mangelhafter Versicherungsschutz kann dramatische Folgen haben.